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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 2


  
Am nächsten Tag hatte Jens schon mittags Dienst in der Bistroküche. Ein Vorteil seiner Arbeit war, dass er dort an Arbeitstagen essen konnte, was sein Budget spürbar entlastete. Tina, die Kellnerin, begrüsste ihn fröhlich, als Jens das spärlich besuchte Bistro betrat. Gegen Monatsende wurde es immer schlimmer mit den schwindenden Gästen. Jetzt am Mittag waren nur drei Tische besetzt und gegen Abend war es oft auch nicht viel besser. Der Arbeitseinsatz würde wohl mal wieder langweilig werden.

Angesichts der wenigen Gäste bereitete Jens nur eine Handvoll Baguettes zum Überbacken vor. Auch von den Sandwiches, die am Tresen auf hungrige Käufer warteten, ersetzte er nur diejenigen, die oll aussahen. Im Laufe des Vormittags waren offensichtlich kaum welche verkauft worden. Dann widmete er sich noch eine halbe Stunde dem Putzen, damit es wenigstens so aussah, als hätte er genug zu tun. Während er gerade die Friteuse einer gründlichen Reinigung unterzog, kam Ricardo, der Bistroinhaber, in die Küche.

"Ah, gut, die Friteuse hatte es sowieso mal wieder nötig. Was ich mit dir besprechen wollte, ... ähem, du siehst ja, was hier los ist, nämlich nichts. Bis zum nächsten Monatsanfang werde ich dich mittags hier nicht brauchen. Die paar Baguettes kann Tina auch locker mit erledigen. Und abends brauche ich dich eigentlich auch nur zur Stosszeit, und dass die zur Zeit kurz ist, weisst du ja selbst. Dann kannst du die Küche noch klar machen und danach ist Feierabend. Tja, und hoffen wir, dass zum Monatsanfang wieder mehr zahlungsfreudige Gäste kommen", sagte Ricardo.

Jens schluckte, sagte aber: "Geht in Ordnung. Also mittags gar nicht und abends nur kurz. Hoffen wir mal auf den Monatsanfang". Stattdessen hätte er heulen können. Diese unerwartete Arbeitsverkürzung bedeutete für ihn einen empfindlichen Verdienstausfall. Und das ausgerechnet jetzt, wo alles ständig teurer wurde. Blitzartig schoss ihm die Szene mit der Armenspeisung durch den Kopf, aber er versuchte, sie schnell wieder zu verdrängen.

"Ach, und noch was, bevor ich es vergesse: Die Zutaten werden in letzter Zeit immer teurer, wie dir bestimmt auch schon aufgefallen ist. Mach die Tomatenscheiben etwas dünner und nimm weniger Salatblätter für die Sandwiches", fügte Ricardo seiner Hiobsbotschaft noch hinzu.

Diesmal nickte Jens nur. Ihm war klar, dass diese Anweisung sinnvoll war, wenn man die Situation des Bistros bedachte. Aber es war alles andere als ein gutes Zeichen, wenn er sogar bei der Dicke der Tomatenscheiben sparen sollte.

Schon bald war die Friteuse sauber und da Jens mittags sowieso nicht mehr gebraucht wurde, beendete er seinen Putzeinsatz. In der ganzen Zeit war nur ein einziges überbackenes Baguette verkauft worden. Das war ein absoluter Minusrekord, selbst für ein Monatsende.

Frustriert setzte er sich mit einem Glas Wasser an einen der vielen freien Tische. Trinkwasser gab es noch kostenlos und einen Kaffee wollte er sich selbst zum Personalpreis nicht leisten.

Tina setzte sich zu ihm, denn auch sie hatte momentan nichts zu tun. Darauf hatte Jens gehofft, weil ein Schwätzchen mit Tina meistens zu den angenehmeren Dingen des Lebens gehörte. In der Zeit, seit Jens in dem Bistro arbeitete, hatte Tina sich zu einem echt guten Kumpel entwickelt. Ziemlich am Anfang hatten sie auch mal ausprobiert, ob da noch mehr zwischen ihnen sein könnte und waren miteinander in die Kiste gesprungen, aber obwohl es Spass gemacht hatte, war bei keinem der beiden Verliebtheit entstanden. Das hatte ihrer Freundschaft aber keinen Abbruch getan, eher im Gegenteil.

"Ricardo hat dich auf Schmalspur-Arbeit gesetzt, oder?" eröffnete Tina ihr Gespräch.

"Ja, leider. Das gefällt mir gar nicht, aber man kanns wohl auch nicht ändern", antwortete Jens und zuckte mit den Achseln.

"Wirklich beschissen, wie alles in letzter Zeit den Bach runtergeht. Statt dass es besser wird, wird es immer schneller schlimmer. Was da wohl schief läuft?"

"Naja, Anfang des Jahrtausends haben wir wohl die Quittung bekommen für die Jahrzehnte, die wir seit den 1970ern alle über unsere Verhältnisse gelebt haben. Aber der Absturz, den wir jetzt erleben, liegt anscheinend an der Ölknappheit."

"Aber ich hab immer gehört, dass noch etwa die Hälfte des gesamten Erdöls vorhanden ist. Das müsste uns doch noch ne Weile reichen."

"Das ist aber genau das Problem, denn ab der Hälfte soll es viel langsamer und schwieriger gehen, das Öl aus dem Boden zu holen. Gestern hab ich mich mal im Internet etwas schlau gemacht, denn die Entwicklung in letzter Zeit kam mir auch sehr suspekt vor. Also, das läuft folgendermaßen:

Schon in den 1950ern hat ein Erdölgeologe namens Hubbert herausgefunden, dass die Erdölförderung in der ersten Hälfte eines Ölfeldes recht einfach und billig ist, weil das Öl quasi raussprudelt. Die Förderrate nimmt ständig zu, bis etwa die Hälfte des Öls in dem Feld gefördert ist. Danach wird es schwieriger, weil das Öl nicht mehr freiwillig aus dem Boden kommt. Damit man das Öl aus dem Boden kriegt, muss man zum Beispiel mit hohem Druck Wasser in das Ölfeld spritzen, um den Druck wieder zu erhöhen. Auch mit waagrechten Bohrlöchern kann man die Ölförderung noch eine Weile aufrechterhalten. Das alles kostet aber Geld und Energie und man kann es nicht beliebig steigern. In der Praxis sieht das dann so aus, dass eine alte Ölquelle nach und nach immer weniger Öl pro Tag hergibt, bis sie eines Tages ganz versiegt.

Dieses Prinzip lässt sich auch auf die weltweite Ölförderung übertragen. Das heisst, nachdem die Hälfte des Erdöls gefördert wurde, wird die jährliche Fördermenge ständig weniger."

"Und wann war das mit der Hälfte?"

"Um den Zeitpunkt der höchsten Fördermenge, nach dem es dann bergab geht, wurde jahrlang gestritten, denn die Politiker und Ökonomen haben den offiziellen Angaben über die restliche verfügbare Ölmenge geglaubt. Diese Mengen waren aber seit den 1980ern stark überhöht angegeben, vor allem bei der OPEC, also den wichtigsten Ländern, die Erdöl exportieren. Diese Übertreibungen bei den Zahlen über die Ölreservern hatte denen wohl erhebliche Vorteile verschafft.

Die meisten Entscheidungsträger haben sich also kaum um das kommende Ölproblem gekümmert, denn sie dachten, das würde erst lange nach ihrer Regierungszeit auftreten. Da hat es auch nichts genützt, dass mehrere namhafte Erdölgeologen, wie beispielsweise Colin Campbell, vor den falschen Zahlen gewarnt hatten. Diese Geologen haben dem Phänomen auch den Namen "Peak Oil" gegeben, um klarzumachen, dass das Problem mit der Ölverknappung ab dem Moment der höchsten Fördermenge anfängt. Ihre Warnungen wurden jedoch einfach als Panikmache abgetan, wahrscheinlich auch, weil die Regierungen damals schon kaum mit den anderen aktuellen Problemen klarkamen."

"Logo, die ganze Arbeitslosigkeit und die vielen Pleiten. Ich möchte nicht in der Haut von den Politikern stecken. Aber haben die Ökonomen die kommende Gefahr nicht erkannt?"

"Auch die Wirtschaftswissenschaftler konnten mit den Warnungen vor Erdölknappheit nicht viel anfangen, weil es in ihrer Denkweise nur Angebot, Nachfrage und Geld gibt. Dass irgendetwas sich nicht nach der Nachfrage richtet, auch wenn die Preise hoch sind, hat einfach nicht in ihr Weltbild gepasst.

Und so verstrich der gefürchtete Moment des Peak Oil nahezu unbemerkt kurz nach der Jahrtausendwende. Fast alle, die sich mit Erdöl beschäftigten, hatten erwartet, dass die weltweite Förderung nochmal ansteigen würde. Die Fördermenge blieb aber nach 2000 für ein paar Jahre etwa gleich hoch, mit unwesentlichen Schwankungen, und hat dann allmählich nachgelassen. Da halfen dann auch massive Suchbohrungen nach neuen Ölfeldern nicht mehr, denn die kleinen Ölfelder, die noch gefunden wurden, sind weniger als ein Tropfen auf den heissen Stein.

Unglücklicherweise wurde die Situation noch verschärft, weil China sich ausgerechnet in dieser Zeit zu einer Industrienation entwickelte und enorm energiehungrig wurde. Daher sind dann auch recht bald die Spritpreise angestiegen. Aber das wurde damals noch alles auf die "böse" OPEC geschoben, die sich "frecherweise" weigerte, die Förderquoten zu erhöhen und die Preise zu senken.

Der Knaller kam dann aber, als sich herausstellte, dass die Ölfelder im ölreichsten Land Saudi Arabien kurz vor dem Versiegen standen. Selbst die meisten Warner waren davon ausgegangen, dass das Öl in Saudi Arabien noch viele Jahre reichen würde. Es gab zwar jemanden, der schon 2004 behauptete, dass die grössten Ölfelder in Saudi Arabien schon sehr erschöpft seien, aber das hatte kaum jemanden interessiert. Als es dann allgemein bekannt wurde, fing das mit den Tankstellen ohne Benzin an. Seitdem gibt es die riesigen Schlangen an den Tankstellen, wenn es mal Benzin gibt. Du erinnerst dich bestimmt an die Schlagzeilen dazu."

"Ja, ich erinnere mich. Das mit dem Benzin leuchtet mir auch ein. Und dass das Heizöl unerschwinglich geworden ist, versteh ich auch. Aber was hat das Erdöl mit dem Essen zu tun? Wir essen schließlich kein Erdöl."

"In gewisser Weise essen wir durchaus Erdöl. Da spielt nicht nur der Sprit eine Rolle, der für die Traktoren und die LKWs gebraucht wird, sondern auch Dünger und Pestizide werden aus Erdöl und Erdgas hergestellt. Jetzt versuchen sie anscheinend, Dünger aus Kohle herzustellen, weil wir davon noch genug haben, aber der Kohledünger ist genauso unerschwinglich teuer, wie der andere Dünger geworden ist. Und die moderne Landwirtschaft kommt ohne Kunstdünger nicht aus. Ok, es wächst schon noch ein bisschen was, wenn man auf Dünger verzichtet. Aber das ist nur etwa ein Achtel bis ein Viertel von dem, was man mit Kunstdünger ernten kann. Das ist sogar der Fall, wenn man diverse natürliche Düngeverfahren wie zum Beispiel Gründüngung benutzt. Ohne genügend Pestizide, also Schädlingsbekämpfungsmittel, wird das hochgezüchtete Getreide ruckzuck Opfer der immer stärker werdenden Schädlinge, und dann gibt es gar keine Ernte mehr. Genau das ist wohl im Lauf des letzten Jahres an zu vielen Stellen passiert."

"Hm, das leuchtet ein. Das waren dann wohl die ganzen nervigen Nachrichtenmeldungen von wegen Missernte und so, oder?"

"Ja, genau. In den Medien haben sie ausführlich darüber berichtet, aber hier in Mitteleuropa kommt ja keiner auf die Idee, dass Missernten irgendwas mit dem Angebot in unseren Supermärkten zu tun haben könnten. Missernten lassen aus unserer Sicht die Leute in Entwicklungsländern verhungern, aber bei uns kann es ja keinen Hunger mehr geben. Wenn wir Pech haben, wird es aber auch bald bei uns echten Hunger geben und das nicht nur bei ein paar wenigen armen Schluckern."

Tina riss entsetzt die Augen auf und sagte erstmal gar nichts. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, fand sie einen Teil ihrer Fassung wieder und fragte: "Meinst du im Ernst, dass wir auf eine Hungersnot zusteuern?".

"Wenn das stimmt, was ich gestern gelesen habe, dann könnte das durchaus passieren. Ich kann es mir allerdings auch kaum vorstellen, denn es ist irgendwie fast undenkbar in meinem Weltbild. Allerdings, wenn ich so sehe, wie sich das Angebot in den Supermärkten verschlechtert, dann scheint eine Hungersnot doch nicht so ganz unwahrscheinlich."

"Ohje, das muss ich erstmal verdauen. Das heisst, dann würden auch Menschen an Hunger sterben, oder?"

Jens erklärte: "Ja, das heisst es wohl. Manche Autoren schreiben sogar vom Aussterben. Diese extremen Schwarzseher gehen von Milliarden Toten weltweit aus. Und wenn wir uns zusätzlich noch in Kriegen zerfleischen, könnte es sogar das Ende der Menschheit sein.".

"Hm, das klingt ja grauenvoll. Ich fand es jetzt schon schlimm."

"Wahrscheinlich wird es erst noch sehr viel schlimmer, bevor es wieder besser wird."

"Ich glaub, mir wird schlecht. Das kann ich alles kaum fassen, aber irgendwie passt es total zusammen. Aussterben? Nein, das darf nicht sein! Und keiner hat gemerkt, dass das Öl knapp wird?"

"Manche haben es ja durchaus gemerkt und sogar schon vorher immer wieder gewarnt. Aber außer dass ein paar grüne Politiker ein Programm für alternative Energien durchgeboxt haben, hat das keiner wissen wollen. Sogar als die Ölpreise Anfang des Jahrtausends drastisch angestiegen sind, hat man nach tausend anderen Gründen dafür gesucht. Und die Ölfirmen haben die Öffentlichkeit immer mit Märchen von neuen Ölfeldern oder neuen Energiespendern, wie beispielsweise Teersand, bei Laune gehalten. So langsam setzt sich die Erkenntnis wohl durch, dass die Zeit der Ölknappheit gekommen ist, aber jetzt ist es zu spät, um den Absturz noch abzufedern."

Tina war inzwischen ziemlich blass geworden. Sie warf einen Blick auf ihren halb getrunkenen Kaffee, dann ließ sie den Blick durch das ganze Bistro schweifen, so als ob sie sich in Gedanken schon den Niedergang aller Details ausmalen würde.

"Aussterben.... aussterben...", sagte sich zu sich, als ob sie die schwere Bedeutung dieses Wortes auf ihrer Zunge schmecken wollte. "... aussterben - das muss verhindert werden!"

"Ja, wir sollten das verhindern", sagte Jens entschlossen, "aber wie?"

Jenseits des Ölgipfels

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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