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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 1


  
Sein Geldbeutel war fast leer. Jens stülpte ihn um und entleerte den Inhalt auf den Tisch. Auch Zählen der Geldstücke ergab kein befriedigendes Ergebnis. Er fragte sich, ob sich in der Schreibtischschublade wohl noch ein Notgroschen finden ließ. Ein paar Münzen lagen tatsächlich zwischen den Stiften; achtlos hineingeworfen in besseren Zeiten, aber unbewusst für Tage wie diese zurückgelegt. Insgesamt reichte Jens' gesammelte Barschaft nur für einen kleinen Einkauf, aber mit magenfüllenden Billigprodukten würde er wohl bis zum Monatsende auskommen.

Jens verließ seine Single-Wohnung, sprang die Treppen hinunter, immer zwei Stufen aufeinmal nehmend und schwang sich auf sein Fahrrad, um zum nächstgelegenen Supermarkt zu fahren. Im Kopf stellte er unterwegs seinen Einkauf zusammen und strich die Cola als zu teuer; billiger Pulvereistee musste reichen.

"Verdammte Autos!", schimpfte Jens, als er hinter einer Kurve fast auf eine Tankstellenschlange aufgefahren wäre. Autos sah er nur noch selten fahren, meistens begegnete er ihnen inzwischen an Tankstellen wartend. So wie jetzt: voller Unruhe drängelnd und hupend, als hinge das Leben der Fahrer davon ab, fünf Minuten früher ihren Tank füllen zu können. Seit das Benzin so knapp war, musste das Leben für Autofahrer die Hölle sein, dachte Jens; froh mit seinem Fahrrad unabhängig zu sein. Mit einem Schlenker fuhr er an den stehenden Autos vorbei und ließ die Schlange hinter sich.

Im Supermarkt angekommen, zwang sich Jens, seinen knurrenden Magen zu ignorieren, verdrängte den verlockenden Duft der Backabteilung und schob seinen Wagen zügig an den Luxusartikeln vorbei, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen. Er konzentrierte sich darauf, nur die Produkte wahrzunehmen, die zu seinem schmalen Geldbeutel passten. Eine Packung Toastbrot wanderte in den Einkaufswagen, zusammen mit einem Glas Erdbeermarmelade.

Als er bei den billigen Spaghetti ankam, gähnte ihm ein Loch entgegen. Auch die preiswerten Spiralnudeln waren alle. Das warf Jens' Pläne gründlich durcheinander, denn Nudeln waren sein wichtigstes Grundnahrungsmittel und die anderen Sorten kosteten dreimal soviel wie seine bevorzugten Spaghettis. Für die preiswerten Nudeln würde er wohl noch in einen anderen Laden fahren müssen. Bei den Pizzas hatte er mehr Glück, denn eine einsame Billig-Pizza lag noch in der Kühltruhe.

Aber auch in vier anderen Läden gab es keine bezahlbaren Nudeln mehr. Überhaupt fiel Jens auf, dass die Produkte der unteren Preisklasse mehr oder weniger ausverkauft waren. An ständige Preissteigerungen hatte er sich ja schon gewöhnt, aber bisher konnte man immer auf billigere Ersatzprodukte zurückgreifen. Wenn die jetzt nur noch schwer zu kriegen waren, sah es allerdings düster aus.

Beim Gemeindezentrum sah Jens eine Menschenschlange, die an einem Wagen anstand. Er verlangsamte seine Fahrt etwas, denn er war neugierig, was dort geboten wurde. Die Leute, die sich vom Wagen fortbewegten, hatten Schalen in der Hand, aus denen sie im Stehen löffelten. Jetzt fiel Jens auf, dass die ganze Umgebung nach Erbseneintopf roch. War das ein Straßenfest oder eine Armenspeisung? Für ein Straßenfest fehlten die Musik und die Dekoration, und die schäbigen Klamotten, die einige der Schlangesteher trugen, deuteten eher auf eine Armenspeisung hin. Dass es eine Armenspeisung gab, fand Jens natürlich gut, aber er war entsetzt, wieviele Leute darauf anscheinend angewiesen waren. Hoffentlich würde er nie eine Armenspeisung nötig haben.

Zuhause fand er einen gelben Zettel an seiner Wohnungstür kleben. Darauf stand: "Limitierung Ihres Stromanschlusses auf 3 kW. Details entnehmen Sie bitte dem Informationsbrief in Ihrem Briefkasten.".

Jens brachte schnell seine Einkäufe in die Wohnung und rannte dann nochmal nach unten, um sich den angekündigten Brief aus dem Briefkasten zu holen. Ausser dem Brief von der Stromgesellschaft gab es wie üblich nur Rechnungen. Eigentlich sollten viel öfter Liebesbriefe im Briefkasten liegen, dachte sich Jens, als er die Briefumschläge flüchtig durchblätterte.

Den Strombrief riss er schon beim Treppesteigen auf, weil er wissen wollte, was es mit der Limitierung auf sich hatte. Der Brief besagte, dass die Kapazitäten der Stromgesellschaft nicht ausreichten, um alle Bewohner mit beliebig viel Strom zu versorgen. Um Ausfälle durch Stromspitzen zu vermeiden, waren alle normalen Stromverträge auf 3 kW Spitzenleistung begrenzt worden. Die Hauptsicherungen der Wohnungen waren ausgetauscht worden, sodass die Sicherung rausspringen würde, wenn man das Limit überschritt. Für einen Aufpreis wurden auch Stromverträge mit 4 oder 5 kW angeboten. Jens fand den Aufpreis jedoch geradezu unverschämt, den würde er sich auf keinen Fall leisten können.

Seufzend machte er sich in seiner Wohnung daran, die Einkäufe richtig zu verstauen. Durch die lange Odyssee durch die Supermärkte war die Pizza schon aufgetaut und drängte darauf, gebacken zu werden. Da ging es schon los mit der Stromreduzierung, denn Jens war bewusst, dass Backöfen besonders viel Strom verschlangen. Er überprüfte den aktuellen Stromfluss an seinem Stromzähler in der Abstellkammer. Ohne dass er ein Gerät wirklich nutzte, flossen schon 600 Watt. Das waren bestimmt sein Computer und die ganzen Geräte, die zwar ausgeschaltet waren, aber im Stand-By-Modus liefen. Um die Werte für den Backofen zu erfahren, musste er die Gebrauchsanweisung suchen. Er erinnerte sich genau, dass sie beim Einzug in der Wohnung gelegen hatte, zusammen mit anderen Unterlagen. Bei den Computer-Unterlagen waren sie nicht, obwohl sich dort all die anderen Gebrauchsanleitungen seiner Geräte befanden. Schließlich fand er das gesuchte Heftchen bei seinem Mietvertrag. Der Backofen wurde als besonders stromsparend angepriesen: er verbrauchte 2900 Watt.

Um den Backofen zu betreiben, würde er also allen anderen Geräte ausschalten müssen. Obwohl seine Wohnung sehr klein war, hatten sich einige Geräte angesammelt, die unablässig Strom fraßen. Das war nicht nur der Fernseher und die Stereoanlage, sondern auch der Anrufbeantworter und der Kühlschrank. Die meisten dieser Geräte ließen sich gar nicht richtig abschalten. Also entschloss sich Jens, einfach alle Stecker in seiner Wohnung zu ziehen, in der Hoffnung, dass nicht alle Geräte durch diesen selbstgemachten Stromausfall ihre Programmierungen verlieren würden. Nachdem in seiner Wohnung gar nichts mehr blinkte oder summte, stand der Stromzähler endlich auf 0 Watt.

Diese Stromrationierung erschien Jens wie ein sehr schlechtes Zeichen für die zukünftige Energieversorgung. Schon lange wurde das Energiesparen überall gepredigt, aber dass die Höhe des Stromverbrauchs gekappt worden war, stellte einen massiven Einbruch in die Lebensgewohnheiten der Menschen dar. Er selbst wusste immerhin, wie man den Stromverbrauch dosieren konnte, aber viele Leute wären damit bestimmt überfordert.

Jens heizte den Backofen auf und bereitete die Pizza vor. Für eine zusätzliche Belegung fehlten ihm die Zutaten, also musste sie so reichen, wie sie war. Damit sie nicht ganz so billig schmeckte, streute er noch ordentlich Oregano drauf, denn davon hatte er noch genug.

Während die Pizza im Ofen langsam Farbe annahm, dachte Jens über sein Leben nach. Monat für Monat um jeden Euro ringend, war nicht sein Plan gewesen. Auch nicht, dass er sich mit dem Belegen von Baguettes in einem Bistro den grössten Teil seines Lebensunterhaltes verdienen würde. Selbst die wenigen Webdesign-Aufträge, die ihm die Butter aufs Brot gaben, entsprachen nicht seinen eigentlichen Vorstellungen, aber davon dürfte es trotzdem deutlich mehr geben.

Jens' Leben hatte sich sowieso ganz anders entwickelt als erhofft. Auf Anraten seiner Eltern und Lehrer hatte er Informatik studiert, weil er gut in Mathe gewesen war. Dabei wäre er viel lieber ein berühmter Erfinder geworden. Aber nein, Informatik galt zu der Zeit, als er sein Abi frisch in der Tasche hatte, als der sicherste Zukunftsberuf überhaupt. Da er seine Eltern nicht enttäuschen wollte, hatte er sich also der Informatik gewidmet, was ihm tatsächlich auch gut lag und sogar Spass machte, als er es mal akzeptiert hatte. Aber schon während des Studiums wurde von Jahr zu Jahr deutlicher, dass die Einstellungschancen für Informatiker immer schlechter wurden. Fast alle Programmentwickler-Jobs wanderten nach und nach ins Ausland ab und ein Heer von Programmierern drängte sich in den Bürger-Agenturen, um ihre wöchentliche "Grundsicherung II" den dortigen Auszahlungsautomaten zu entlocken.

Also hatte Jens sich besonders viel Mühe gegeben, um wenigstens ein sehr gutes Examen hinzulegen, denn die Besten bekommen meistens einen Job, selbst wenn die Chancen schlecht stehen. Zwar hatte er sein Studium deshalb nicht, wie erhofft, in Rekordzeit durchgezogen, dafür aber die zweitbeste Abschlussnote seines Jahrgangs geschafft. Trotzdem fand er keinen Job als Informatiker, so sehr er auch suchte. Arbeitsplätze, die seiner Qualifikation entsprachen, gab es inzwischen kaum noch, und die wenigen noch übrigen waren mit sehr engagierten Informatikern besetzt, die ihre Stelle hüteten wie den heiligen Gral. Jobs für schlechter ausgebildete Programmierer gab es hin und wieder noch, aber dort wurde er nicht genommen, weil er überqualifiziert war.

Nur die Bundeswehr hatte ihn gewollt. Fast wäre er schon zu alt für die Einberufung geworden und die Wehrpflicht stand sowieso seit Jahren kurz vor der Abschaffung, aber die musternden Soldaten und Ärzte waren hocherfreut, jemanden vor sich zu haben, der nicht nur intelligent, sondern auch körperlich fit war. Die körperliche Fitness hatte er wohl seinem Karatetraining und dem ständigen Fahrradfahren zu verdanken. Vor lauter Freude, dass ihn jemand gerne haben wollte, vergass er völlig zu verweigern (obwohl er das eigentlich vorgehabt hatte). Die Zeit beim Bund hatte ihm überraschend gut gefallen. Nach der Grundausbildung wurde er einer Truppe der elektronischen Kriegsführung zugeteilt und hatte dort die Aufgabe, Hackerangriffe zu simulieren und abzuwehren. Dabei entstanden einige nette kleine Programme, die wie Wachhunde durchs interne Netz patroullierten und Angreifer abwehrten. Eigentlich war es fast ein Traumjob, nur die militärische Umgebung behagte Jens auf Dauer nicht wirklich. Als ihm dann empfohlen wurde, sich zu verpflichten, war er zwar kurz in Versuchung, schlug aber doch nicht ein.

Und so hatte die Bundeswehr ihn nach der Wehrdienstzeit wieder ausgespuckt und er musste sehen, wie er sich über Wasser hielt.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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