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Die Virenjägerin

Kapitel 30


  
Am nächsten Morgen klingelte es während des Frühstücks. Iris legte erstaunt ihren angebissenen Toast auf den Teller, doch Erich war schon aufgesprungen und ging zur Tür.

Vier schwarz gekleidete Männer betraten kurz danach die Küche. Jeder trug eine Plastikkiste, deren Inhalt man auf den ersten Blick nicht erkennen konnte. Innerhalb weniger Sekunden standen die Kisten als Stapel vor der Arbeitsfläche. Einer der Männer holte eine Packung Kaffee aus der obersten Kiste und stellte sie mit auffordernden Worten auf den Esstisch.

"Könnte jemand bitte einen extra Kaffee kochen?" übersetzte Erich die Worte des finsteren Mannes. Dann warf er noch ein erklärendes "Vorräte" in die Runde und verschwand wieder mitsamt den Männern.

Iris erholte sich als Erste von der Überraschung und fühlte sich angesprochen, den gewünschten Kaffee zu kochen. Sie füllte Wasser in die Kaffeemaschine, bestückte sie und schaltete sie ein. Erst dann genehmigte sie sich einen Blick in die oberste Kiste. Dort fand sie alle Arten von verschiedenen Nahrungsmitteln, teilweise sogar die Lieblingsspeisen von ihr und den Kollegen. Sie lupfte die Kiste an und fand darunter eine, die vor allem frisches Obst und Gemüse enthielt, die nächste Kiste beinhaltete Milchprodukte und Wurst.

Am besten räume ich die Sachen gleich in den Kühlschrank. Das gute Zeug soll ja nicht verkommen. Erstaunlich, diese "Freunde" von Igor und Erich. Sehen zum Fürchten aus, aber haben die Lage anscheinend voll im Griff und werfen mit Wohltaten nur so um sich.

Erst ein kleiner Teil der Frischwaren lag im Kühlschrank, als die Männer zurück kamen. Jeder trug einen schweren Sack.

"Wohin mit den medizinischen Substanzen?" wollte Erich wissen.

"Am besten ins Labor, wir sehen dann später weiter", antwortete Yakup.

Martin staunte schweigend. Auch Iris wusste kaum, was sie sagen sollte. Für das Verteilen von vier Kaffeetassen brauchte sie jedoch gar keine Worte. Die Männer schlürften geräuschvoll.

Gestern der Großhändler hatte nur noch wenige Kilos und diese Typen schleppen das Zeug gleich zentnerweise an. Die müssen gute Connections haben. Ich fasse es nicht. Gut, wenn solche Leute auf der eigenen Seite stehen.

Erich übergab den Männern eine Dose, die Iris als das Gefäß mit dem Drittel der Vorabmedizin wiedererkannte. Dann verschwanden die Männer so schnell wie sie gekommen waren.

Im Labor überschlug sich im Verlauf des Tages die Weiterentwicklung des Mittels. Der Variationsinkubator musste nur noch mit den infragekommenden Stoffen und den Virenproben gefüttert werden und übernahm die genaue Analyse der Wirkung. Da das Gerät auch mit den Computern verbunden war, berücksichtigte es bereits bekannte Nebenwirkungen der verschiedenen Stoffe und sogar die Forschungsergebnisse ihrer eigenen Firma.

Zwei Stunden nach der ersten Inbetriebnahme spuckte die Maschine schon eine Handvoll Stoffe aus, die als Bestandteil des späteren Medikamentes genauso geeignet schienen wie der wirksamere der beiden Stoffe des Vorabmittels.

Yakup stand fassungslos vor dem Variations-Inkubator und auch Iris wurde allmählich bewusst, was das Gerät vor ihren Augen für ein Wunder vollbrachte. Erich schmunzelte zufrieden, als wäre der Variations-Inkubator sein eigenes Werk.

Am frühen Nachmittag war die Liste der geeigneten Stoffe auf das Doppelte angewachsen. Ein zusätzliches Analyseprogramm ermittelte die potentiellen Wechselwirkungen und empfahl schließlich eine Kombination aus drei Stoffen. Yakup befahl dem Gerät, noch nach einem geeigneten Stoff zur Linderung der Nebenwirkungen zu fahnden, was die Maschine in Windeseile erledigte und einen vierten Stoff vorschlug. Sogar ein passendes Mengenverhältnis der Substanzen zueinander wurde vorgeschlagen.

Glücklicherweise fanden sich Testmengen von allen vier Stoffen im Labor, sodass eine Probiermischung schnell hergestellt war.

Nachdem Erich unerschrocken eine Testdosis inhaliert hatte und sich nach einer Stunde noch wohl fühlte, wurde das neue Mittel an Siegfried getestet, der sowieso eine neue Medikamentendosis brauchte. Er schimpfte nach der Einnahme weniger als bei den Vorläufern des neuen Mittels.

Martin musste immer wieder ans Telefon gehen, das kaum noch still stand und schließlich kamen wieder die beiden Männer vom Apothekengroßhandel, um eine Testmenge des neuen Mittels in die Charité zu fahren, wo es dringend erwartet wurde. Sogar von der alten Mischung nahmen sie eine große Dose mit, denn hierfür gab es schon genügend Ausgangsmaterial, um größere Mengen liefern zu können.

Die Wartezeit bis klar war, wie Siegfried und die Patienten der Charité das neue Mittel vertrugen, verbrachte Iris nach langer Pause mal wieder im Mediziner-Forum, wo die wenigen gesund gebliebenen Wissenschaftler ganz begeistert von der Medikamentenentwicklung in Iris' Labor waren. Iris verriet noch keine Einzelheiten, weil noch gar nicht klar war, ob das Mittel tatsächlich funktionieren würde.

Yakup tüftelte währenddessen an einem Verfahren, wie man die Medikamentenmischung mit möglichst einfachen Grundsubstanzen preiswert und schnell herstellen konnte. Er überschlug die benötigten Mengen und stöhnte ein ums andere Mal auf, sodass Iris besorgt zu ihm ging und ihm über die Schulter sah. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass die Hauptarbeit noch vor ihnen lag, denn mit ein paar Probierdosen konnten nur wenige Kranke geheilt werden.

Zur Stärkung der gesammelten Mannschaft kochte Iris einen großen Topf Spaghetti, diesmal mit einer leckeren Tomatensoße. Sie staunte nicht schlecht, als sogar Siegfried in der Küche erschien. Bekleidet mit einem Bademantel und Pantoffeln wurde er von Martin gestützt, aber er hatte schon wieder sein typisch aalglattes Lächeln aufgesetzt, das wohl signalisieren sollte, dass er etwas ganz Besonderes war.

Dem scheint es ja schon wieder richtig gut zu gehen. Das ging jetzt aber plötzlich. Und er schimpft auch nicht über die schreckliche Wirkung unseres Giftes. Mal sehen, ob er Appetit hat.

Martin half Siegfried beim Hinsetzen und ging dann zum Kühlschrank, dem er zwei Flaschen Champagner entnahm. Igor holte Sektgläser aus einer fast vergessenen Ecke im Küchenschrank und stellte sie auf den Tisch. Martin nahm dies als Startsignal, um die erste Champagnerflasche zu öffnen.

"Freunde, wir haben es geschafft! Das neue Mittel ist für den aktuellen Bedarf wunderbar geeignet. Schaut euch unseren Siegfried an! Auch der Leiter der Charité ist ganz entzückt. Sie wollen unbegrenzte Mengen von uns haben. Die ganze Welt will jetzt Medizin von uns. Freunde, ich bin sehr stolz auf euch!"

Schäumend goss Martin den Champagner in die Gläser und stieß anschließend mit allen an.

Iris konnte ihr Glück kaum fassen und war so dankbar über die letztlich extrem schnelle Medikamentenentwicklung, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.

Jetzt können wir den Menschen helfen. Sie müssen nicht mehr alle sterben, elendiglich ersticken. Die Menschheit hat wieder eine Chance, sich von der Pandemie zu erholen. Wie herrlich!

Dann fiel Iris siedendheiß der Haken bei der Sache ein.

"Ja, aber, wie sollen die großen Mengen produziert werden? In unserem kleinen Labor können wir nicht andeutungsweise genug Medikamente herstellen. Die Leute werden sterben, obwohl wir das Mittel hier haben. Außerdem ist es ja noch gar nicht zugelassen. Sowas dauert doch Jahre und bis es soweit ist, machen wir uns ja eigentlich strafbar, wenn wir das Mittel ausgeben, oder etwa nicht?"

"Keine Sorge, wir haben an alles gedacht", beruhigte Erich sie. "Die Menschen würden das Mittel wohl auch ohne Zulassung haben wollen, aber wohlgeordnet ist es natürlich viel besser. Unsere Freunde haben uns auch einen Anwalt zur Seite gestellt."

"Einen Anwalt?"

"Ja, der dürfte in diesem Moment bei der Zulassungsbehörde für Medikamente stehen, beziehungsweise bei dem, was davon personell übrig geblieben ist, zusammen mit einem der muskelbepackten Freunde, und kümmert sich darum, dass unser Mittel noch heute Abend zugelassen wird."

"Kümmern? Heißt das, dass der Muskelmann den Behördenmenschen mit der Waffe bedroht?"

"Aber nein! Solch rüde Methoden sind gar nicht nötig. Der Anwalt hat einen kleinen Beutel mit dem Medikament dabei, das der Beamte einnehmen darf, sobald er unterschrieben hat. Wir haben nur noch die ersten Tests abgewartet. Ah ja, ich höre es piepen im Büro. Das ist bestimmt das Fax mit der vorläufigen Zulassung."

Erich schritt in das Büro und kam kurz darauf mit einem Papier in der Hand zurück. Triumphierend zeigte er es der ganzen Runde. Dann steckte er das kostbare Papier in eine Plastikhülle. Im Büro piepte es noch einmal.

"Das ist bestimmt das vorläufige Patent, das der Juniorpartner des Anwalts durchgedrückt hat. Später kommen auch noch Formulare für Lizenzvereinbarungen, damit wir unseren entfernten Kollegen die Rezeptur verraten können."

Iris fiel ein Stein vom Herzen, denn sie hatte sich schon gefragt, wie sie es mit den Medizinern im Forum handhaben sollte, wenn diese nach dem Rezept für das Mittel fragen würden. Der unbekannte Anwalt hatte sich offenbar schon damit beschäftigt, wie man damit umgehen konnte.

"Jetzt müssen wir nur noch eine Möglichkeit finden, wie wir genügend Medikamente für Europa herstellen können", sorgte sich Iris immer noch. "Yakup hat mal durchgerechnet, wieviel gebraucht wird. Das ist echt erschreckend. Ganze Kolonnen von Lastern werden benötigt."

Igor lächelte Iris siegesgewiss an, was Iris in Erstaunen setzte, denn ein Lächeln von Igor war so selten wie Sonnenfinsternisse. Er stand auf und krümmte seinen Zeigefinger, um zu signalisieren, dass Iris ihm folgen sollte.

Schließlich führte Igor all seine Kollegen, außer den noch schwachen Siegfried, wie in einer Prozession aus dem Büro, über den Hof in die benachbarte Lagerhalle, von der sich Iris immer mal wieder gefragt hatte, was dort eigentlich vor sich ging.

Jetzt war die Halle hell erleuchtet und mehrere der dunkel gekleideten "Freunde" bauten große Maschinen auf. Einer der Männer fuhr mit einem Gabelstapler und brachte palettenweise Säcke, die sich in einer Ecke der Halle schon fast haushoch stapelten.

"Morgen früh beginnt dort die Produktion", erklärte Erich. "Von uns wird dort nur Igor gebraucht, um die Vorgänge zu überwachen. Die Auslieferung der fertigen Medikamente wird auch von Igors Freunden übernommen. Die freuen sich natürlich, dass ihr drittel Anteil durch die Massenproduktion so sehr angewachsen ist. Darum beliefern sie uns auch mit unbegrenzt vielen Materialien."

"Erstaunlich! Echt erstaunlich! Was man mit diesen merkwürdigen Freunden so alles bewerkstelligen kann", Iris fielen fast die Augen aus dem Kopf beim Anblick der Betriebsamkeit in der großen Halle.

"Und was machen wir dann ab morgen?" rätselte Yakup.

Iris schaute ihn an, dann glitt ihr Blick von einem ihrer Kollegen zum nächsten. Was machen wir ab morgen? Na klar, ich hab's!

"Wir entwickeln natürlich als nächstes einen Impfstoff gegen diese schreckliche Seuche."

"Die Freunde wollen dann bestimmt wieder ein Drittel haben, damit sie uns helfen, oder?" mutmaßte Martin.

"Ja, ein Drittel!" stellte Igor wortreich klar.

--- E N D E ---


Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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