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Die Virenjägerin

Kapitel 25


  
Zornbebend warf Iris den Hörer auf die Gabel.

"Nicht gut?" erklang es hinter Iris.

Sie drehte sich um und sah Igor in der Tür stehen.

"Nein, gar nicht gut. Ich könnte sie alle mal! Diese Papierkrieger! Wenn ich das schon höre: ich sehe keinerlei Möglichkeit."

"Hm."

"Was soll denn das schon wieder heißen? Dass du aber auch immer so einsilbig sein musst!"

"Hm."

"Sprich dich aus! Was willst du mir damit sagen?" Iris war kurz davor aufzustampfen, aber im selben Moment tat es ihr schon wieder leid, denn Igor konnte ja nichts dafür, dass Iris bei der Botschaft nichts erreicht hatte.

"Also gut, ich lass mir was einfallen."

"Oh, Igor, du bist ein Schatz!" Iris gab Igor einen Schmatzer auf die Wange und war von ihrem plötzlichen Stimmungsumschwung selbst überrascht.

Igor setzte einen verdatterten Gesichtsausdruck auf, nickte Iris dann zu und verließ den Raum.

Hoffentlich fällt dem Igor was Gescheites ein. Aber im Allgemeinen ist er ja recht findig, auch wenn man ihm die Worte einzeln aus der Nase ziehen muss. Jetzt knurrt mir aber ordentlich der Magen. Mal sehen was die Küche so zu bieten hat.

Iris ging in die Küche und traf dort auf Martin, der wohl auch hungrig war. Sie warf zwei Toasts in den Toaster, holte sich einen Kaffee aus der Kaffeemaschine und setzte sich zu Martin.

"Na, hat's geklappt mit der Botschaft?" fragte Martin.

"Nein, nicht im Geringsten. Erinnere mich bloß nicht daran, sonst bekomme ich wieder einen Wutanfall. Igor kam aber und hat versprochen, sich etwas einfallen zu lassen."

"Das klappt bestimmt, wenn Igor seine Hände im Spiel hat. Seine merkwürdigen russischen Freunde kriegen anscheinend jedes Problem in Windeseile klein."

"Was das wohl für geheimnisvolle Freunde sind?"

"Das wollen wir gar nicht so genau wissen, soviel ist klar."

Iris kicherte.

"Apropos Freunde. Wenn Yakup kommt, dann ist uns schon mal viel geholfen, aber eigentlich bräuchten wir auch einen Virologen. Ich kenn mich zwar mit den Grundzügen aus, aber beim Spezialwissen fehlt mir doch so einiges. Siegfried dürfte noch eine Weile flach liegen, oder?"

"Allerdings! Von Siegfried können wir so schnell keine Arbeitsleistung erwarten. Ich bin schon froh, dass er sich inzwischen selbst umdrehen kann, dadurch spare ich mir das ständige Umbetten. Aber Arbeit? Wahrscheinlich wird er bettlägerig sein, bis wir ein Medikament entwickelt haben. Er ist dann unser Versuchskaninchen."

"Hm, das klingt ja gar nicht gut. Dann sollten wir uns nach einem Ersatzmann umsehen."

"Ja, das sollten wir tun."

"Gut, dann ist das abgemacht. Ich werd mal im Netz stöbern und du kannst ja auch mal auf die Suche gehen, wenn du gerade mal nicht bei Siegfried bist."

Martin nickte. Dann war Iris' Toast fertig und sie vertiefte sich in ihre Mahlzeit.

Später ging Iris auf die Toilette und stellte mit Entsetzen fest, dass sie ihre Periode bekommen hatte. Hastig durchsuchte sie ihre Handtasche, doch sie fand nur zwei Notfalltampons. Damit würde sie gerade mal über die nächsten Stunden kommen.

Aufgeregt durchsuchte sie alle Räume und Schränke und fand nicht nur keine weiteren Tampons, sondern entdeckte außerdem, dass die Toilettenpapier-Vorräte sich dem Ende näherten.

Oh je, das ist ja schlimmer, als wenn das Essen oder der Kaffee ausgehen würde. Das kann uns aber auch bald blühen, so leer wie die Küchenschränke inzwischen schon sind. Ich sollte unbedingt einkaufen gehen.

Iris ging zu Martin, der inzwischen wieder im Krankenzimmer war.

"Du Martin, ich fahr geschwind zum Einkaufen, denn uns gehen die Vorräte aus."

"Bist du nicht mehr recht bei Trost? Da draußen gibt es nichts mehr zu kaufen und außerdem herrscht der Ausnahmezustand."

"Bestimmt gibt es irgendwo noch was zu kaufen. Andere Leute haben doch auch nichts mehr zu essen."

"Die anderen Leute müssen teilweise auch hungern. Außerdem haben wir doch noch Vorräte für ein paar Tage."

"Ja, aber - ähem - mir fehlt es an Hygieneartikeln."

"Ach so. Aber trotzdem halte ich überhaupt nichts davon, wenn du das Labor verlässt."

"Lass das mal meine Sorge sein. Ich werde schon klar kommen."

"Bleib besser hier!"

"Nein, ich werd' jetzt aufbrechen. Soll ich irgendwelche bestimmten Leckereien mitbringen? Siegfried, darf es was Bestimmtes sein?"

"Ein bisschen Obst wäre nicht schlecht", krächzte Siegfried.

"Ich brauche nichts. Mir wäre es lieber, wenn du hier bleiben würdest. Aber pass wenigstens gut auf dich auf und komm heil wieder."

"Es wird schon gut gehen. Tschüss ihr beiden!"

Iris warf sich ihre Jacke über, schnappte ihre Handtasche und verließ die Laborräume. Unterwegs traf sie Igor, der sie stirnrunzelnd ansah und grummelte. Iris schmetterte ihm ein fröhliches "Tschüss" entgegen und trat durch die Tür nach draußen.

Auf der Straße sah es ganz normal aus, bis auf die Tatsache, dass keine Autos unterwegs waren. Auf der Hauptstraße, die Iris von weitem sehen konnte, fuhr ein Polizeiauto vorbei.

Am besten fahre ich nur auf Nebenstraßen, damit ich der Polizei nicht begegne. Hier ist es ja ruhig wie auf dem Friedhof. Hoffentlich hat der Supermarkt geöffnet, wo ich immer einkaufe.

Nachdem Iris das Taxileuchtschild abgenommen hatte, stieg sie ins Auto und fuhr los. Sie fand es gar nicht so einfach, nur Nebenstraßen zu benutzen, denn sie war die großen Achsen gewohnt. Aber sie hatte Glück und traf nicht auf Polizeiautos. Alle Straßen lagen wie ausgestorben da - kein Verkehr, keine Menschen. Auch der Taxifunk war wie tot.

Als sie beim Supermarkt ankam, sah Iris dort ein großes, dunkelgrünes Zelt auf dem Parkplatz. Sie stellte ihr Auto ab und stieg aus.

Kaum näherte sich Iris dem Zelt kamen ihr zwei vollständig vermummte Gestalten entgegen.

"Sind Sie krank oder bringen Sie einen Kranken?"

"Nein, ich wollte hier einkaufen."

"Einkaufen gibt's hier nicht, hier gibt es nur noch ein Lazarett. Wenn Sie keinen Kranken haben, dann müssen Sie schnellstmöglich wieder verschwinden. Oder soll ich Sie als Quarantänebrecher melden?"

"Nein, nein, ich geh ja schon wieder."

Hastig bestieg Iris wieder ihr Auto und verließ den Parkplatz. Die vermummten Männer waren ihr unheimlich gewesen, obwohl in ihrem Labor noch viel unheimlichere Anzüge hingen.

Iris fuhr ein paar Straßen weiter zu einem anderen Einkaufszentrum. Dort stieg sie gar nicht erst aus, denn schon vom Parkplatz aus konnte sie sehen, dass der Supermarkt ausgebrannt und die Scheiben alle zerstört waren. Sie wendete ihr Auto und schickte sich an, den Parkplatz wieder zu verlassen.

Im Rückspiegel konnte sie sehen, wie eine Horde junger Männer aus dem Supermarkt gestürmt kamen. Die meisten hatten Harken oder Sensen in der Hand und fuchtelten damit. Einer warf einen Hammer nach Iris' Auto, doch er warf zu schwach und der Hammer prallte kraftlos am Kofferraum ab. Iris gab Gas und beeilte sich, die Straße zu erreichen.

Drei der Männer sprangen auf die Straße und versuchten, Iris den Weg abzuschneiden. Doch sie hatten nicht mit Iris' Fahrkünsten gerechnet. Froh, dass die Straße so frei war, trat Iris das Gaspedal durch und schlug einen Haken, bevor sie mit Höchstgeschwindigkeit davonsauste. Die Männer blieben hinter ihr zurück.

Puh, das war knapp! Martin hatte anscheinend Recht. Kaufen kann man zur Zeit nichts. Wie machen das wohl die ganzen anderen Menschen? In unserer Instantgesellschaft müssen die meisten doch täglich einkaufen gehen, weil sonst der Kühlschrank leer ist. Es gibt Millionen von Menschen in Berlin. Woher bekommen die ihr Essen? Und ihr Toilettenpapier? Wie gut, dass ich noch ein paar Sachen zu Hause habe. Das bringt uns bestimmt locker über die nächsten Tage. Also fahr ich jetzt erst Mal nach Hause und plündere meine dortigen Vorräte.

Auf Schleichwegen fuhr Iris zu ihrer Wohnung. Unterwegs kam sie hin und wieder an marodierenden Banden vorbei, von denen einige versuchten, sich ihr in den Weg zu stellen. Aber Iris konnte ihnen problemlos entkommen. Ansonsten waren die Straßen leer. Die meisten Geschäfte, an denen Iris vorbei kam, hatten eingeworfene Fensterscheiben, vor manchen türmte sich Sperrmüll.

Einmal glaubte Iris auf dem Gehweg einen Menschen liegen zu sehen. Aber sie traute sich nicht, anzuhalten und nachzuschauen, denn obwohl sie den Banden entkommen war, flößte ihr die ganze Situation Angst ein.

Endlich erreichte Iris ihr Zuhause. Sie parkte ihren Wagen in der zweiten Reihe, verschloss ihn sorgfältig und betrat das Haus. Mit großen Schritten nahm sie immer zwei Stufen auf einmal, denn sie wollte schnell ihre Wohnung erreichen, um sich sicher zu fühlen. Als ihre Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel, atmete sie auf und ließ sich erleichtert auf ihr Sofa sinken. Nach einer kurzen Pause kochte sie sich einen Kaffee, den sie genussvoll schlürfte.

Wenn ich mir ganz große Mühe gebe, kann ich mir fast vorstellen, dass alles ganz normal ist. Ich sitze hier zu Hause und die ganze Seuche ist nur ein schlimmer Traum. Aber es gelingt nur fast. Der ausgebrannte Supermarkt und die wilde Horde, die daraus hervorgequollen kam, gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich hätte wirklich besser im Labor bleiben sollen. Martin hatte Recht, auch wenn mir das eigentlich nicht passt. Aber jetzt bin ich hier und das ist besser als im Labor ohne Vorräte. Wenn man es genau nimmt, kann ich der Seuche sogar dankbar sein, denn durch sie habe ich wieder eine sinnvolle Aufgabe. Aber dass dafür Millionen von Menschen sterben müssen, ist ein viel zu hoher Preis. Es wird Zeit, dass wir ein Medikament entwickeln. Eines, dass sich schnell und billig herstellen lässt.

Nachdem Iris ihren Kaffee ausgetrunken hatte, ging sie ins Bad und holte dort die benötigten Hygieneartikel. Sie schnurrte zufrieden, als sie die zwei Packungen Tampons und die anderthalb Pakete Toilettenpapier in eine große Tüte stopfte. Wegen ihrer reichlichen Vorratshaltung hatte sie sich manchmal albern gefühlt, aber jetzt waren die gehorteten Dinge sehr nützlich.

In ihrer Küche packte Iris den Kaffee und die Bestände ihrer Küchenschränke in eine Klappkiste.

Damit kommen wir bestimmt eine Woche aus, wenn wir sehr sparsam essen. Ich könnte meinen Küchenschrank knutschen, dass er jetzt so wichtige Schätze für mich bereithält. Jetzt sollte ich aber losfahren, denn wenn ich hier rumhocke, gewinne ich nichts. Vielleicht hat auch Igor schon Neuigkeiten über Yakup. Das wäre echt toll.

Sicherheitshalber rief Iris kurz im Labor an und berichtete Martin, dass es ihr gut ging und dass sie sich auf dem Rückweg machte. Von ihren Erlebnissen bei den Supermärkten erzählte sie erstmal nichts, denn sie wollte Martin nicht unnötig beunruhigen.

Schwer bepackt verließ Iris ihre Wohnung. Die Kiste musste sie hinstellen, um die Wohnungstür abschließen zu können.

Einen Stock weiter unten hörte sie eine quengelnde Kinderstimme. Als sie die Wohnungstür erreichte, aus der die Stimme kam, konnte sie genau verstehen, was das Kind sagte.

"Mama, ich hab so einen Hunger. Mein Bauch tut mir so weh. Warum gehst du nicht einkaufen?"

Dann hörte Iris eine genervt klingende Frauenstimme.

"Es gibt nichts zum Einkaufen. Außerdem wird man krank, wenn man die Wohnung verlässt. Du weißt doch, wie es Vater ergangen ist. Und jetzt ist er tot. So geht es uns auch, wenn wir raus gehen."

"Aber Mama, wenn ich nichts zu essen bekomme, werde ich auch krank."

Ein Patschen klang durch die Tür und dann jaulte das Kind auf.

Iris stellte ihre Kiste ab und entnahm ihr eine Dose Ravioli. Sie klopfte an die Tür.

"Hallo, Sie da drinnen, ich habe etwas zu Essen für Sie."

"Gehen Sie weg!" ertönte es von innen. "Wir wollen uns nicht anstecken."

"Hören Sie, ich bin nicht krank. Nehmen Sie das Essen an, Ihrem Kind zuliebe."

"Verschwinden Sie! Wir nehmen nichts."

"Seien Sie doch nicht so starrköpfig! Ich stelle Ihnen eine Dose Ravioli vor die Tür und gehe dann weg. Sie können sie ja anschließend reinholen. Sie können beruhigt sein, ich bin wirklich keine Gefahr für Sie."

Mit einem deutlich hörbaren "Klock" stellte Iris die Raviolidose vor der Tür ab. Sie hob ihre Kiste wieder auf.

"Also, die Dose steht vor der Tür. Ich gehe jetzt. Alles Gute für Sie und ihr Kind."

Aus der Wohnung klang ein zaghaftes "Danke", dann ging Iris weiter nach unten. Im Erdgeschoss angekommen hörte sie, wie oben eine Tür aufging. Eine Kinderstimme rief ein kräftiges "Danke" nach unten und nachdem Iris mit einem "Gern geschehen" geantwortet hatte, schloss sich die Tür wieder.

Was werden sie wohl essen, wenn die Raviolis verdaut sind? Ob der Vater noch tot in der Wohnung liegt? Und was ist, wenn sie krank werden? Wer hilft ihnen? Was machen all die anderen Menschen, denen ich keine Raviolis gebracht habe? Hilfsorganisationen habe ich nirgendwo gesehen. Welch ein schreckliches Debakel!

Verunsichert linste Iris nach rechts und links, bevor sie den Schutz des Hauses verließ und ihre Kiste zu ihrem Auto schleppte. Am Ende der Straße sah sie eine umherstreifende Horde junger Männer. Iris spurtete zu ihrem Wagen, schloss auf, warf die Kiste und die Tüten in den Kofferraum und eilte zur Fahrertür.

Kaum hatte sie Platz genommen, kamen auch schon die ersten der jungen Männer an und bedrohten sie mit Knüppeln. Sie schlugen auf die Motorhaube und die Windschutzscheibe.

Iris ließ den Motor anspringen, was auf Anhieb gelang. Sie trat so heftig aufs Gaspedal, dass der Motor ein giftiges Jaulen hören ließ. Doch die Angreifer schlugen weiter auf die Windschutzscheibe ein. Zwei der Männer machten sich an der Fahrertür zu schaffen.

Zackig ließ Iris den Rückwärtsgang einrasten und fuhr schnellstmöglich rückwärts die Straße entlang. Damit hatten die Angreifer nicht gerechnet. Sie rannten ihr zwar hinterher, kamen aber nicht weit. Bei der erstbesten Gelegenheit wendete Iris den Wagen und fuhr so schnell sie konnte in Richtung Labor.

Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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