Home
Romane
Vita
Projekte
News
Impressum

Die Virenjägerin

Kapitel 22


  
Der Laster drohte von der Straße abzukommen und näherte sich scheinbar unaufhaltsam einem Abhang. Yakup griff nach dem Lenkrad und zerrte daran, doch die Wucht des schweren Lasters schien zu stark, um den drohenden Unfall noch abzuwenden. Im letzten Moment gelang es Yakup, das Fahrzeug herumzureißen und wieder auf die Straße zu lenken. Doch der Wagen fuhr einfach weiter, denn der Fuß des Fahrers lastete nach wie vor auf dem Gaspedal.

Yakup ließ mit einer Hand das Lenkrad los, was den Laster sofort veranlasste, wieder in Richtung Straßenrand abzudriften. Hastig steuerte Yakup zurück und ergriff gleichzeitig mit der anderen Hand das Hosenbein des Fahrers und zerrte so lange daran, bis der Fuß des Fahrers vom Gaspedal glitt.

Allmählich wurde der Laster langsamer. Yakup dankte Allah, dass es nicht bergab ging. Dennoch dauerte es quälend lange, bis der Laster endlich zum Stillstand kam. Der Motor verschluckte sich, der Wagen machte einen letzten Satz und schließlich stand er.

Erleichtert atmete Yakup auf. Er wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und warf einen Blick auf den schwer atmenden Lastwagenfahrer. Der hatte die Augen geschlossen und schien bewusstlos.

Plötzlich stöhnte der Fahrer, japste nach Luft und riss für einen Moment die Augen auf. Ein Schwall unverständlicher Wörter kam aus seinem Mund. Yakup sprach beruhigend auf ihn ein. Das schien zu wirken, denn der Fahrer schloss die Augen wieder.

Doch das war eigentlich gar nicht so sinnvoll, fiel Yakup nach kurzem Überlegen ein. Der Fahrer musste den Fahrersitz verlassen. Am besten wäre er wohl in seinem Schlafkabuff aufgehoben. Yakup rüttelte den Fahrer wieder wach und half ihm auf sein Bett zu kriechen. Es war ein mühsames Ziehen und Zerren. Kurz bevor er sich hinlegen konnte, bekam der Fahrer Schüttelfrost und klapperte so stark mit den Zähnen, dass Yakup befürchtete, er könnte sich auf die Zunge beißen.

Schließlich glitt der Fahrer zitternd auf sein Lager. Yakup deckte ihn zu und strich ihm die verschwitzten Haare aus der Stirn. Er ärgerte sich, dass er nicht mehr tun konnte.

Dann setzte sich Yakup hinters Steuer. Er hatte noch nie einen Laster gefahren und selbst einen kleinen Transporter hatte er nur einmal kurz gelenkt, als er innerhalb einer Stadt umgezogen war. Ob er überhaupt in der Lage war, so einen großen LKW zu beherrschen? Was blieb ihm anderes übrig als es zu versuchen?

Schließlich konnte er nicht einfach hier stehenbleiben, er konnte auch nicht den Fahrer hier allein liegen lassen und zu Fuß weiter marschieren. Mal davon abgesehen, dass seine Fußsohlen höllisch schmerzten. Aber auch dem freundlichen Fahrer gegenüber wäre es ein Verrat mit tödlichen Folgen.

Also musste Yakup es riskieren.

Er ließ den Motor an, so wie er vorher gesehen hatte. Der Motor grollte kurz auf, verschluckte sich dann aber wieder und war still. Beim dritten Versuch sprang der Motor richtig an und schnurrte wie ein gutgelaunter Tiger.

Vorsichtig trat Yakup auf das Gaspedal und der Laster machte einen Satz nach vorne bevor er wieder stehenblieb, denn Yakup hatte vor lauter Schreck seinen Fuß wieder vom Gas genommen. Yakup gab noch einmal Gas, diesmal sanfter und schließlich setzte sich der Laster brav in Bewegung. Allmählich bekam Yakup ein Gefühl für das große Gefährt und nach wenigen Kilometern fühlte er sich schon halbwegs sicher als Ersatzfahrer des Lasters.

"Du fahren Wien?" hörte Yakup plötzlich von hinten den Fahrer mühsam stammeln.

"Ja, ich geb mir Mühe, es bis nach Wien zu schaffen. Aber erst bringe ich dich in ein Krankenhaus. Wie geht es dir jetzt?"

"Oh nix Krankenhaus, bitte nix Krankenhaus!"

"Ok, ok, aber wie geht es dir?"

"Nix gut, alles ...", der Rest ging in einem Hustenanfall unter. Danach hörte Yakup nichts mehr aus dem Fahrerlager, außer schweren Atemzügen.

Einige Kilometer weiter sah Yakup ein Schild, das eine Stadt in etwas über zwanzig Kilometern Entfernung ankündigte. Yakup hatte von der Stadt noch nie etwas gehört, aber der Namenszug auf dem Schild war so groß geschrieben, dass Yakup zumindest eine größere Kleinstadt erwartete. Yakup würde dort nach einem Krankenhaus suchen müssen, denn egal, ob der Fahrer das wollte oder nicht: er musste in ärztliche Behandlung, sonst hätte er wohl kaum eine Chance zu überleben.

Etwas später sah Yakup sein eigenes Auto am Straßenrand stehen, offen stehen gelassen und mit verbeultem Dach und Motorhaube. Ob die Autodiebe wohl in ihrer Wut auf das Auto eingeschlagen hatten als der Sprit alle war? Es sah fast so aus. Yakup schluckte, fuhr dann aber weiter, denn auch ihm würde das Auto jetzt nichts mehr nützen. Er fragte sich jedoch, wie die Diebe mit dem fast leeren Tank überhaupt so weit gekommen waren. Vielleicht hatten sie unterwegs Benzinnachschub erbeutet.

Kurz hinter seinem verlassenen Auto erblickte Yakup ein Bündel am Rand der staubigen Straße. Er erschrak, denn ihm wurde klar, dass es sich um die Frau handelte, die die Autodiebe in sein Auto gehievt hatten. Obwohl er sich selbst einen Idioten schalt, bremste Yakup so schnell er konnte, stieg aus dem Laster und lief zu der Frau. Er dachte sich, wenn er sowieso ein Krankenhaus suchen musste, könnte er die Frau auch dorthin mitnehmen.

Doch als er die Frau erreichte, sah er, dass sie von Fliegen umschwirrt wurde. Yakup erkannte schnell, dass er zu spät kam. Die Frau rührte sich nicht mehr, kein Atemzug war hörbar und kein Puls spürbar. Betrübt deckte Yakup sie mit ihrem Umhang ordentlich zu und ging wieder in Richtung Laster. Mehr konnte er in seiner Situation für die Frau nicht tun. Der Transport des kranken Fahrers zu einem Arzt war wichtiger, denn der Fahrer hatte vielleicht noch eine Chance zu überleben.

Die Füße waren Yakup schwer auf dem Weg zum Laster, nicht wegen der Blasen, sondern weil sich die fatale Lage allmählich auf sein Gemüt legte.

Als Yakup das Ende des Lasters erreichte, sprang aus dem Gebüsch nahe der Straße plötzlich einer der beiden Autodiebe hervor und näherte sich schnell der Fahrertür. Yakup schoss der Schreck durch den Körper und plötzlich war er hellwach. Er spurtete zur Tür, um sie vor dem Dieb zu erreichen. Doch dieser war einen Augenblick früher dort.

Der Dieb schwang sich hinauf zur Tür und schickte sich an, sie zu öffnen. Kurz bevor ihm dies gelang erwischte Yakup ihn an der Jacke und zerrte ihn daran von den Stufen. Der Autodieb wehrte sich heftig und Yakup entging einem Kinnhaken nur, weil er sich im richtigen Moment wegdrehte. Laut rief der Dieb nach jemand, aber Yakup konnte niemanden kommen sehen oder hören.

Dann kam Yakups Chance. Für einen Moment war der Autodieb unaufmerksam und Yakup platzierte erfolgreich einen Schlag an dessen Schläfe. Der Mann sank in sich zusammen. Yakup ließ ihn am Straßenrand zu Boden gleiten und beeilte sich, den Laster zu erklimmen.

So schnell er konnte, ließ Yakup mit zittrigen Fingern den Motor des Lasters an und fuhr davon. Im Rückspiegel konnte er noch erkennen, wie der Komplize des Autodiebes angerannt kam. Er trat seinen Kumpanen und drohte dem flüchtenden Yakup mit der Faust.

Yakup fühlte sich mies, denn normalerweise schlug er keine Menschen bewusstlos. Eigentlich hatte er angehalten um zu helfen, aber stattdessen hatte er einen anderen Menschen ziemlich kräftig geschlagen. Seine Fingerknöchel schmerzten auch nach fünf Minuten noch. Er rieb sich über die schmerzende Hand, doch das half nicht.

Die schlechte Straße forderte jedoch Yakups volle Aufmerksamkeit, sodass er nicht lange mit der Situation hadern konnte. Wichtig war jetzt nur, den Fahrer und den Laster heil in die Stadt zu bringen und anschließend weiter nach Wien zu kommen. An sein Endziel Berlin wagte er kaum zu denken, so unendlich weit weg schien es ihm.

Schließlich erreichte Yakup die ersten Ausläufer der Stadt. Sofort war auch die Straße wieder blockiert vor lauter stehenden Autos. Diesmal schienen sie jedoch nicht endgültig abgestellt, sondern sie warteten vor einer Kontrollstation. Yakup fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee war, in dieser Provinzstadt Halt zu machen, um für den Fahrer des Lastwagens einen Arzt zu suchen. Er sagte sich jedoch, dass jede Stunde zählte und dass der Fahrer es mit Sicherheit nicht bis Wien überleben würde, vor allem nicht unversorgt in der Kabine eines Lastwagens.

Also wartete Yakup geduldig in der Schlange mit den anderen Autos und schlich Meter um Meter vorwärts in Richtung Kontrollstation.

Endlich war es soweit.

Ein bewaffneter Mann signalisierte Yakup die Fahrertür zu öffnen. Ein Schwall Worte strömte aus seinem Mund. Yakup versuchte in den Sprachen, die er sprechen konnte, dem Mann klar zu machen, dass er ihn nicht verstanden hatte. Doch das Unverständnis stieß auf Gegenseitigkeit.

Mit Gesten signalisierte der Bewaffnete schließlich, dass er Yakups Papiere sehen wollte. Yakup reichte ihm seinen Pass und deutete auf den Kranken in der Kabine. Der Bewaffnete wich trotz seiner Atemmaske unwillkürlich zurück, gab Yakup den Ausweis mit spitzen Fingern wieder und deutete mit den Händen eine Wegbeschreibung an. Yakup nickte, obwohl er nur halb verstanden hatte, und fuhr im Schritttempo in die Stadt.

Die Straßen waren menschenleer doch hier und da patrouillierten bewaffnete Männer mit Schutzmasken. Sie winkten Yakup zu und zeigten ihm, wo er lang fahren sollte.

Nach einer Weile kam Yakup zu einem Gelände, das wie ein Sportplatz aussah. Jetzt reihte sich ein Großraumzelt ans andere. Daneben befand sich ein Parkplatz und Yakup wurde geheißen, den schweren Laster dort abzustellen. So gut er konnte, manövrierte Yakup das Fahrzeug in eine Lücke. Dann ging er zur Einfahrt des Parkplatzes, wo mehrere Sanitäter mit Tragen auf ihren Einsatz warteten.

Einer der Sanitäter folgte Yakup zum Laster und half ihm, den fiebrigen Fahrer, der inzwischen im Delirium vor sich hin murmelte, aus dem Laster zu ziehen und auf die Trage zu legen. Anschließend trugen sie den Fahrer mit vereinten Kräften zum vordersten Zelt.

Dort wurde der Fahrer von vermummten Pflegern in Empfang genommen. Yakup wurde weggeschickt ohne die Gelegenheit zu bekommen, noch einmal mit dem Fahrer zu sprechen. Er würde sich wohl ohne weitere Informationen bis nach Wien durchschlagen müssen.

Mit zügigen Schritten entfernte sich Yakup von dem Zelt, denn er wollte so schnell wie möglich von dieser Katastrophen-Szenerie fortkommen.

Zwei Hünen mit Helm und Atemschutzmaske stellten sich Yakup in den Weg und bedrohten ihn mit ihren Gewehren. Sie herrschten Yakup mit unverständlichen Worten an. Yakup verstand nicht, was sie von ihm wollten und fragte auf türkisch, deutsch und englisch.

Eine Antwort kam prompt.

"Du hierbleiben. Nix weg gehen!"

Die Virenjägerin

Die kommenden Plagen
von Laurie Garrett

Vollautomatisch
< <   > >

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16  17  18  19  20  21  22  23  24  25  26  27  28  29  30 

Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

Bestellen...