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Die Virenjägerin

Kapitel 21


  
Yakup raufte sich seine schwarzen Locken. Hier gab es beim besten Willen kein Durchkommen mehr. Die ganze Straße stand voller querstehender LKWs und zwischendrin hatten sich PKWs in den Lücken verkeilt. Yakup wusste, dass in den meisten dieser Autos schwer kranke Menschen saßen oder eher hingen, Menschen für die es wohl keine Rettung mehr gab.

Zu oft schon hatte Yakup in den letzten Tagen Halt gemacht, um sich um die kranken Menschen zu kümmern. Aber er hatte erkennen müssen, dass er nichts ausrichten konnte. Weder hatte er eine wirksame Medizin, um den Kranken Heilungschancen zu geben, noch hatte er genügend Wasser, um auch nur den schlimmsten Durst der Kranken zu lindern. Viele der kranken Menschen dämmerten sowieso im Fieberdelirium vor sich hin und waren kaum noch in der Lage zu schlucken. Der Anblick der vielen Schwerkranken bestärkte Yakup in seinem Entschluss, so schnell wie möglich nach Berlin zu kommen, um bei der Entwicklung eines Medikamentes mitzuwirken.

Seine Wasserflaschen hatte Yakup zuletzt an einem Bächlein aufgefüllt, das man wohl treffender Rinnsal hätte nennen sollen. Ob das Wasser sauber genug zum Trinken war, wusste Yakup nicht, aber bisher hatte er keine Darmkrämpfe davon bekommen, wenn ihm auch manchmal etwas übel war, aber das war auch schon vorher der Fall gewesen.

Noch war er nicht von dieser Monstergrippe befallen worden und er hoffte, dass er sich bei dem Kontakt zu den Kranken noch nicht angesteckt hatte.

Glücklicherweise hatte er aus Sentimentalität seinen Labormundschutz mitgenommen, als er nach Hause in die Türkei gefahren war. Der Mundschutz stank zwar etwas nach den Chemikalien, die er im Labor verwendet hatte, aber das erinnerte Yakup an gute Zeiten und störte ihn daher kaum. Vor allem half ihm der Mundschutz jetzt gegen Ansteckung, Zu kaufen gab es nirgendwo solche Schutzmasken, denn erstens gab es bei weitem nicht genügend und zweitens hatte sowieso kaum ein Laden offen.

Yakup fuhr am Straßenrand weiter und bog bei der nächsten Abfahrt von der Hauptstraße auf eine holprige Nebenstraße ab. Seine Verwandten hatten ihn zwar händeringend davor gewarnt, im Balkan von der Straße abzufahren, aber was blieb ihm denn anderes übrig?

Auf der kleinen Holperstraße kam Yakup erheblich schneller vorwärts als vorher. Er musste jedoch höllisch aufpassen, dass er nicht in eines der Schlaglöcher fuhr, darum glich seine Fahrt dem Slalom eines Betrunkenen.

Nach knapp zwanzig Kilometern näherte sich die Anzeige seiner Benzinuhr der Reserve. Eine Tankstelle musste her und zwar bald. Mit jedem weiteren Kilometer wurde Yakup unruhiger. Ohne Treibstoff war er hier im Balkan völlig aufgeschmissen. Er sprach nicht einmal die hiesige Sprache.

Da, endlich sah Yakup in der Ferne die typische Silhouette einer Tankstelle zwischen Wohnhäusern hervorlugen. Erleichtert fuhr er auf den Platz neben einer Zapfsäule. Die Scheiben des Tankstellenladens wirkten stumpf und staubig. Nichtsdestotrotz öffnete Yakup seinen Tankdeckel und zog den Zapfhahn aus der Zapfsäule. Doch nichts rührte sich. Die Anzeige an der Zapfsäule blieb blind. Als Yakup dennoch versuchte, ob Benzin aus dem Schlauch kam, blieb dieser trocken. Die ganze Anlage wirkte tot.

Damit wollte sich Yakup aber nicht abfinden und ging zu dem Laden, um an die Tür zu klopfen. Keine Reaktion. Yakup spähte durch das staubige Glas, konnte im Innern aber nichts erkennen. Er klopfte noch einmal und rief.

Hinter sich hörte Yakup Geräusche. Ob da wohl jemand gekommen war, um ihm das Tanken zu ermöglichen? Yakup drehte sich um.

Er sah gerade noch, wie zwei Männer eine stöhnende Frau in sein Auto wuchteten und sich dann auf die Vordersitze setzten. Der Mann auf dem Fahrersitz hantierte unter dem Armaturenbrett.

Yakup stürzte auf sein Auto zu, um es wieder in Besitz zu nehmen. Wenn er erstmal Benzin hätte, wäre er ja gerne bereit, die Leute ein Stück mitzunehmen.

Als Yakup bei der Beifahrertür anlangte, streckte ihm der Beifahrer eine Pistole entgegen. Yakup ging um sein Auto herum, gefolgt vom Lauf der Pistole. Er riss die Fahrertür auf. Ein Schuss knallte und verfehlte Yakup nur knapp. Yakup sprang ein Stück zurück.

In der Zwischenzeit hatte es der Mann auf der Fahrerseite geschafft, das Auto anzulassen. Yakup rief noch, dass das Benzin bald alle sein würde. Er versuchte es auf türkisch, deutsch und englisch, aber die beiden Autoentführer ließen sich davon nicht beeindrucken.

Der Beifahrer streckte seine Pistole am Fahrer vorbei in Yakups Richtung und schoss noch einmal knapp an ihm vorbei. Dann schloss der Fahrer die Tür mit einem lauten Knall und Yakups Auto fuhr davon.

Yakup stand allein auf der Straße, eingehüllt vom Staub seines Autos. Er hatte nichts mehr; keine Wasserflaschen, keinen Proviant, keine Klamotten, keinen Schlafsack - alles war im Kofferraum seines Autos. Nur der Pass in seiner Jackentasche, sein Handy und etwas Geld waren Yakup geblieben.

Zu Fuß gab es kaum eine Chance, dass Yakup jemals nach Berlin kommen könnte. Dabei war es so wichtig - er wurde dort dringend gebraucht. Wer weiß, ob seine Kollegen nicht auch erkrankt waren, aber eins wusste er: Sie hatten die Aufgabe in Angriff genommen, ein Mittel gegen die Pandemie zu entwickeln. Soviel hatte Iris ihm in der letzten Email geschrieben, die ihn erreicht hatte. Darum war er ja auch aufgebrochen, um bei der Entwicklung zu helfen. Ohne ihn waren die in Berlin doch aufgeschmissen, das wusste er genau.

Und jetzt stand er mutterseelenallein in einem kroatischen Geisterdorf, mit nichts, als den Klamotten auf seinem Leib.

Trotz der Aussichtslosigkeit machte sich Yakup auf den Weg, die staubige Straße entlang.

Obwohl es erst Frühling war, brannte die Sonne gnadenlos auf Yakup herunter. Schon nach kurzer Zeit wurde er durstig. Aber bisher war er noch an keinem Bach vorbeigekommen.

Nach einer Stunde fingen Yakups Füße an weh zu tun. Er war das Wandern nicht gewöhnt und seine Schuhe waren nicht für weite Strecken geeignet. Dennoch schleppte sich Yakup weiter, so schnell, wie seine schmerzenden Füße es zuließen.

Zum Zeitvertreib rechnete er sich aus, wie lange es dauern würde, wenn er die gesamte Strecke bis Berlin zu Fuß laufen würde. In der Zeit, die er brauchen würde, wäre wohl die halbe Menschheit ausgestorben, wenn die Kranken weiterhin so starben wie die Fliegen. Ob es dann überhaupt noch die Metropole Berlin gab, oder war es bis dahin nur noch eine Geisterstadt, wie die Dörfer hier auf seiner Strecke.

Ein Laster näherte sich von hinten. Yakup drehte sich um und winkte dem Laster zu. Seine Chance, um schneller voran zu kommen. Doch der Fahrer des Lasters gab Gas und heizte an Yakup vorbei, so dass ihm der aufgewirbelte Staub trotz seiner Schutzmaske fast den Atem nahm.

Hustend lief Yakup weiter.

Viele schmerzhafte Blasen an den Füßen später hörte Yakup wieder einen Laster näherkommen. Ein neuer Versuch. Yakup winkte, als hinge sein Leben davon ab, dass der Fahrer ihn mitnahm.

Und tatsächlich: der Laster hielt an und der Fahrer öffnete die Beifahrertür. Ein Schwall fremder Worte tönte Yakup entgegen. Er antwortete auf türkisch, aber der Fahrer verstand ihn offensichtlich nicht, wie auch nicht anders zu erwarten. Yakup zeigte in Richtung Norden, woraufhin der Fahrer nickte und Yakup bedeutete einzusteigen.

Erleichtert kletterte Yakup auf den Beifahrersitz und dankte Allah, als die Fahrt gen Norden losging. Nach einer Weile stellte sich heraus, dass der Fahrer ein paar Brocken deutsch konnte, denn in seiner Jugend hatte er ein paar Jahre als Gastarbeiter dort gearbeitet. Yakup war erleichtert, denn so konnten sie sich wenigstens leidlich verständigen. Die Tour des Lastwagenfahrers führte bis nach Wien, was Yakup seinem Ziel ein deutliches Stück näher bringen würde.

Sogar Wasser hatte der Fahrer reichlich dabei, sodass Yakup sich den Staub aus der Kehle spülen konnte.

Nach einer Stunde Fahrt hielt der Fahrer an, stieg aus und holte unter der Ladefläche einen großen Kanister hervor, den er in den Tank entleerte. Das Gleiche wiederholte er mit weiteren Kanistern. Yakup war sehr froh, mit so einem umsichtigen Menschen unterwegs zu sein.

Doch der Fahrer wirkte fahrig und seine Augen sahen glasig aus. Außerdem hustete er immer öfter.

Die Fahrt ging weiter, aber Yakup war besorgt und betrachtete den Fahrer fortan aufmerksam.

Der Fahrer schien immer unkonzentrierte und der Husten wurde von Minute zu Minute stärker. Außerdem begann der Fahrer schwer zu atmen.

"Was ist los? Wirst du krank?" fragte Yakup besorgt.

"Nicht wissen. Nicht gut - immer husten."

"Fahr am besten rechts ran und ruh dich ein wenig aus. Vielleicht wird es ja besser."

"Nicht möglich ausruhen. Ladung sehr eilig."

Weiter ging die Fahrt und der LKW rumpelte immer öfter durch Schlaglöcher. Yakups Besorgnis nahm zu.

Schließlich kippte der Fahrer einfach zur Seite und der Laster geriet ins Schlingern.

Die Virenjägerin

Geißeln der Menschheit. Die Kulturgeschichte der Seuchen
von Stefan Winkle

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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