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Die Virenjägerin

Kapitel 20


  
Martin hielt Siegfrieds Oberkörper fest, während Iris einige medizinische Utensilien aus einer Nierenschale schüttete und Siegfried die Schale unter den Mund hielt. Doch es kam nicht mehr viel aus Siegfrieds ausgezehrtem Körper.

Nach kurzer Zeit ergebnislosen Würgens blickte Siegfried Iris mit roten, tränengefüllten Augen an und keuchte: "Wasser!"

"Ok", Iris stellte die Nierenschale wieder zur Seite und rannte in die Küche, um dort ein Glas mit Wasser zu füllen und ins Krankenzimmer zu bringen.

Siegfried streckte ihr seinen Arm entgegen, zitterte dabei jedoch so stark, dass Iris beschloss, ihm das Glas direkt an den Mund zu halten, anstatt es ihm in die Hand zu drücken. Gierig trank Siegfried die ersten Schlucke.

"Langsam, langsam", mahnte Martin. "Sonst kommt gleich alles wieder raus. Für den Anfang reicht es jetzt schon, später kannst du mehr haben."

Widerstrebend ließ Siegfried Iris das Glas wegstellen und folgte dem kostbaren Nass mit den Augen.

"Wie geht es dir jetzt?" fragte Iris.

"Mies ist gar kein Ausdruck. Noch nie solche Kopfschmerzen gehabt und übel ist mir immer noch. Vor allem aber tut mir jeder Atemzug weh. Was habt ihr mit mir angestellt?"

Iris erzählte Siegfried die ganze Geschichte während Martin zunächst Siegfrieds Kissen aufschüttelte, um es ihm bequemer zu machen und anschließend das Erbrochene aufwischte. Mit einem Auge schielte Iris auf Martin, froh, dass er diese lästige Pflicht übernahm, die ihm nichts auszumachen schien. Siegfried konnte kaum glauben, was sich inzwischen auf der Welt ereignet hatte und dass er mit seiner Krankheit mitten drin im Geschehen stand.

"Wahrscheinlich bist du weltweit der Allererste, der ein Mittel gegen die Pandemie bekommen hat, doch leider wissen wir noch nicht, wie es sich zusammensetzt", schloss Iris ihren Bericht.

"Dann kann ich mich ja wohl noch freuen, dass mir so übel ist, oder wie hast du das gemeint?"

"Genau, dank der Übelkeit bist du wieder unter den Lebenden, obwohl die Übelkeit natürlich nicht erwünscht ist."

"Viel Leben ist aber noch nicht wieder in mir. Ich fühl mich, wie nach einem anstrengenden Tag auf dem Sportplatz."

"Gut, dass du es erwähnst", meldete sich Martin zu Wort. "Du musst dich jetzt unbedingt ausruhen, um die Krankheit zu überwinden. Nur dass du wieder bei Bewusstsein bist, heißt noch lange nicht, dass du übern Berg bist."

Mit einem Nicken bedeutete Martin Iris, dass sie besser den Raum verlassen sollte. Während Iris sich verabschiedete, sah sie aus dem Augenwinkel, dass Martin nach einem Lappen griff, wahrscheinlich um Siegfried notdürftig zu waschen. Iris sah ein, dass sie bei dieser Zeremonie fehl am Platz war.

Ihr erster Weg führte sie zu Igor, den sie wie erwartet unter den medizinischen Geräten fand. Was er da wohl immer alles zu Reparieren findet? Ich wusste gar nicht, dass diese Maschinen kaputt sind. Na ja, er wird schon wissen, was er tut.

Igor nahm die Nachricht von Siegfrieds Erwachen mit dem üblichen "Hm" entgegen, aber sein Blick sprach eine ganz andere Sprache. Die Sorge um Siegfried schien ihm förmlich aus dem Gesicht zu fallen, fast so als würde er freundschaftliche Gefühle für Siegfried hegen und sich ernsthafte Sorgen um ihn gemacht hätte. Doch aller Erleichterung zum Trotz wandte sich Igor schnell wieder seinen Maschinen zu.

Als nächstes informierte Iris die Ärzte im Mediziner-Forum über die Entdeckung des unbekannten Heilmittels und seine positive Wirkung auf Siegfried. Schon nach kürzester Zeit erhielt sie Antworten auf ihren Bericht und wurde bedrängt, schnellstmöglich die Zusammensetzung der Stoffe heraus zu finden. Manch einer wollte es kaum wahr haben, dass sie über ein Heilmittel verfügte, aber nicht wusste, was es war. Iris war froh, dass die aufgebrachten Ärzte weit weg waren, sonst hätten sie ihr wohl die Bude eingerannt und den Laborkittel vom Leib gerissen.

Doch auch sie selbst jagte sich innerlich, das Mittel heraus zu finden. Ungeduldig starrte sie auf die Geräte, die mit der Analyse der Stoffzusammensetzung beschäftigt waren. Hastig stöberte sie durch die Aufzeichnungen ihrer früheren Forschungsarbeit, so hastig, dass sie nur die Hälfte aufnehmen konnte.

Irgendwo hier muss doch das Geheimnis verborgen sein. Da draußen sterben in jeder Sekunde Menschen; Menschen die vielleicht überleben könnten, wenn ich nur schnell das Mittel analysieren könnte. Was kann es nur sein, das die positive Wirkung auf Siegfried hat? Oh, wenn doch bloß Yakup hier wäre. Der versteht sich viel besser als ich auf die Medikamente. Selbst Siegfried könnte ich dringend zur Unterstützung gebrauchen, denn als Virologe ist er eigentlich ganz passabel. Aber Yakup fehlt noch viel mehr. Was der wohl treibt in der Türkei? Ob dort auch alle krank sind? Ich schreib ihm am besten mal ne Email.

Kurzentschlossen schrieb Iris eine Email an Yakup, in der sie die Ereignisse und ihre Entdeckungen schilderte. Alle paar Minuten überprüfte sie anschließend, ob schon eine Antwort angekommen war. Doch nach einer Stunde schalt sie sich einen Dummkopf, so schnell mit einer Antwort zu rechnen. Yakup hatte bestimmt andere Dinge zu tun, als ständig nach Email zu schauen. Iris wollte Yakup aber schnellstmöglich erreichen, daher entschied sie sich, ihn anzurufen.

In ihrem Adressbuch suchte Iris nach seiner Telefonnummer, fand dort aber nur seine Berliner Nummer, die ihr nicht weiterhalf. Schließlich erinnerte sie sich, dass Yakup im Fuß seiner letzten Email eine Adresse als Signatur stehen hatte und tatsächlich fand sie dort Yakups türkische Telefonnummer.

Iris wählte die Nummer und wartete auf die Verbindung. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis das erste Klingeln zu hören war. Dann, nach dem dritten Klingelton nahm endlich jemand ab und sagte etwas türkisches zu Iris. Oh, Mist, daran habe ich gar nicht gedacht. Ich kann ja überhaupt kein türkisch.

"Hallo, ich möchte gerne Yakup sprechen. Verstehen Sie: Yakup?"

Unverständliche Worte schwallten Iris entgegen, von denen nur ein "Yakup" raus zu hören waren.

"Ja, Yakup, bitte!"

Wieder ein Schwall Worte, die Iris nicht verstand. Dann hörte sie, wie der Hörer hingelegt wurde und anschließend ein fernes Rufen. Bestimmt holen sie Yakup jetzt. Sehr gut.

"Yakup nix hier", verkündete eine weibliche Stimme.

"Wo ist Yakup denn dann? Es ist wichtig!"

"Yakup nach Deutschland. Yakup arbeiten. Yakup Medizin finden."

"Sie meinen Yakup ist in Deutschland, um eine Medizin zu entwickeln?"

"Ja, Yakup Medizin finden."

"Aber er ist nicht hier. Wir brauchen ihn hier, um eine Medizin zu finden."

"Laaange Reise Yakup. Viel Problem. Viel krank."

"Sie meinen, Yakup sei krank?"

"Nein Yakup nicht krank. Viele krank sind. Viel Problem."

"Ach so, dann ist ja gut, wenn Yakup nicht krank ist. Sie meinen, er ist noch auf der Reise nach Deutschland?"

"Ja, lange Reise. Lange dauert."

"Gut, wenn er wenigstens unterwegs ist. Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen. Auf Wiederhören."

"Bitte gern, auf Wiedersehen", mit einem Klacken wurde die Verbindung getrennt.

Er ist also unterwegs hier her - sehr gut - ganz wunderbar. Dann haben wir bestimmt eine Chance, das Mittel zu analysieren. Wo er wohl steckt? So lange kann das doch gar nicht dauern. Aber wer weiß, ob zur Zeit überhaupt Züge fahren. Oder ob er mit dem Auto unterwegs ist? Wenn ich ihn doch bloß erreichen könnte.

Iris vertiefte sich wieder in ihre Forschungsprotokolle, bis es ihr vor den Augen verschwamm.

Die Virenjägerin

Expeditionen ins Reich der Seuchen
von Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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