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Die Virenjägerin

Kapitel 19


  
"Wie? Die Viren in unserem Blut sind alle tot?" fragte Martin fassungslos.

"So ist es. Ich kann mir auch überhaupt keinen Reim darauf machen", Iris schüttelte den Kopf und warf noch einen Blick auf dem Bildschirm, wo man einige der zerstörten Viren sehen konnte.

"Aber wodurch sind die Viren gestorben?"

"Das ist ja das große Rätsel. Ich habe keine Ahnung. Aber eines ist klar: wenn die Viren nicht tot wären, hätten wir alle genug davon in unseren Adern, um uns genauso umzuwerfen wie Siegfried."

"Das würde ja heißen, dass wir das Heilmittel schon in uns haben, ohne davon zu wissen."

"Genau! Verrückt, nicht wahr?"

"In der Tat. Lass uns das mal bei einem Kaffee bequatschen. Zwischen Tür und Angel werden wir sowieso keine Lösung finden."

Gemeinsam gingen sie in die Küche, wo sie Igor von der seltsamen Entdeckung berichteten.

"Hm", sagte Igor und runzelte die Stirn.

Fortan starrte Igor angestrengt auf den Fußboden und ließ sogar den Kaffee unangetastet, den Martin ihm brachte. Iris und Martin versuchten derweil, Ideen zusammenzutragen, woran es liegen könnte, dass die Viren in ihrem Blut tot waren.

Doch ihnen fiel nichts Konkretes ein, so sehr sie sich auch das Hirn zermarterten. Iris zogen immer wieder ihre Träume mit den Kobolden durch den Kopf. Sie empfand diese Gedanken als störend bei ihrer Suche nach Anhaltspunkten. So kommen wir nicht weiter. Ob ich besser wieder ins Labor gehen sollte? Doch was kann ich dort tun? Tote Viren bewundern? Das bringt auch nichts. Genauso wenig, wie Martins nicht vorhandene Ideen. Die anderen Forscher im Mediziner-Forum können uns bei dieser Problematik bestimmt auch nicht weiterhelfen. Eigentlich müsste die Antwort auf die Frage hier bei uns liegen. Warum sind wir drei gesund? Warum sterben in unserem Körper die Viren? Oh, wenn ich bloß nicht diesen Knoten im Kopf hätte!

Igor starrte weiter auf den Fußboden.

"Was ist mit dir, Igor? Du verfolgst doch irgendeine Idee, das sehe ich dir doch an", zog Martin den starrenden Igor auf.

"Hm."

"Bestimmt hat Igor im Geheimen schon das Heilmittel im Kopf", setzte Iris noch einen drauf.

"Igors Geheimmischung - so geheim, dass nicht mal Igor die Zusammensetzung kennt", Martin konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen.

Igor starrte immer noch auf den Fußboden.

Plötzlich kam Bewegung in den Russen und er ging zur Spüle, wo er Kehrblech und Handfeger aus dem Schrank holte. Dann begann er die Küche zu kehren.

"Was ist denn in dich gefahren, Igor? Du hast doch noch nie geputzt", Iris beugte sich besorgt zu Igor runter. Der schüttelte nur den Kopf und fuhr fort, den Boden zu kehren.

Als Igor endlich mit dem Kehren fertig war, warf er den Kehricht nicht etwa in den Abfall, sondern hielt Martin und Iris die Kehrschaufel unter die Nase.

"Hm!"

"Was meinst du? Ja, du hast den Boden aufgekehrt, was an sich schon sehr merkwürdig ist. Aber was soll das jetzt?"

"Hier drin muss die Lösung stecken!" so eine lange Rede hörte man nur selten von Igor.

"Die Lösung? In diesem Dreck?" Martin schaute skeptisch auf die Krümel in der Schaufel.

"Hm!"

"Wart mal!" Iris blitzte ein Gedanke durch den Kopf. "Igor hat vermutlich Recht. Wir haben ja schließlich unter anderem nach Mitteln gegen Erkältung geforscht. Leider hatten alle hoffnungsvollen Stoffe zu starke Nebenwirkungen für die Behandlung simpler Schnupfen. Und die neue Krankheit ist ja verwandt mit Erkältungen, aber so schlimm, dass man Nebenwirkungen gern in Kauf nimmt, wenn ein Mittel nur hilft."

"Du meinst, wir haben bei unseren früheren Forschungsarbeiten schon mit dem Heilmittel oder der Heilmittelkombination gearbeitet, nach der wir jetzt suchen?"

"Genau"

"Hm", Igors Bestätigung kam gleichzeitig mit Iris' Antwort.

"Ob wir soviel zusammenkratzen können, dass wir Siegfried etwas davon einflößen können? Der macht mir nämlich inzwischen ziemliche Sorgen."

"Davon hast du mir ja noch gar nichts gesagt", empörte sich Iris.

"Du warst so mit deinen Viren beschäftigt, dass ich dich nicht aus dem Konzept bringen wollte. Zumal es ja nichts gebracht hätte, dich in zusätzliche Sorge zu versetzen."

"Stimmt auch wieder. Tja, ob wir genug zusammenkriegen von der heilsamen Mischung, weiß ich auch nicht so recht. Diese Mischung vom Boden können wir ihm ja schlecht geben."

Dein Kittel! Der Schutzmantel, von dem du geträumt hast! Denk an deinen Kittel!

"Ob die gesuchte Mischung wohl auch in unseren Kitteln steckt? Meiner riecht immer so schön nach Labor."

"Gute Idee, das könnten wir versuchen. Lasst uns ins Labor gehen und sie dort an einer saubereren Stelle ausschütteln. Vielleicht kommt ja was zusammen."

Alle drei betraten das Labor und zogen ihre Kittel aus. Iris schnupperte an ihrem Kittel und zog die Nase kraus. Er roch nicht nur nach Chemikalien, sondern inzwischen auch nach alt werdendem Schweiß. Wie konnte ich mich nur so in die Arbeit verlieren, dass ich regelmäßiges Duschen ganz vergessen habe? Na ja, vielleicht ist es jetzt ja sogar ganz gut; wenn ich den Kittel gewaschen hätte, wäre das gute Heilmittel im Abfluss gelandet.

Durch ausgiebiges Schütteln über einem sauberen Tisch sammelte sich ein feiner Staubfilm an. Am ergiebigsten waren die umgedrehten Taschen und die hochgekrempelten Ärmel. Vorsichtig strich Iris das Pulver zu einem winzigen Haufen zusammen.

"Hier wird sich doch wohl nicht die Entdeckung des Penicillins wiederholen", Martin grinste inzwischen breit.

"Du meinst, weil das Penicillin auch durch unabsichtliche Verschmutzung entdeckt wurde?"

Martin nickte.

"Wir werden sehen. Einen Teil sollten wir analysieren und den Rest können wir Siegfried geben", Iris trennte eine kleine Menge von dem Häufchen ab und brachte die Substanz in einem Reagenzglas in Sicherheit.

Den Rest strich Martin ein. "Am besten lassen wir Siegfried das Zeug inhalieren, denn seine Lunge ist ja am stärksten betroffen."

Igor verzog sich wieder zu seinen Geräten und Iris folgte Martin ins Krankenzimmer.

Beim Anblick von Siegfried hielt sie die Luft an, um nicht erschreckt aufzuschreien. Wie eingefallen er aussieht. Als wäre er um Jahrzehnte gealtert. Und sein gräuliches Gesicht ist richtig unheimlich. Erinnert an Zombies. Dass er so schnell verfällt, hätte ich ja nicht erwartet. Hoffentlich hilft ihm der Dreck aus unseren Kitteln.

"Hilf mir mal, ihn auf den Rücken zu drehen."

"Ok", Iris packte Siegfried an Schulter und Hüfte und hatte den Eindruck, dass er in den wenigen Tagen schon leichter geworden war. Der Schweiß stand ihm in Perlen auf der Stirn. Durch die aufgezwungene Bewegung wurde er unruhig und riss für einen Moment die Augen auf. Er schien aber nichts zu sehen. Ein Stöhnen schob sich zwischen die schnellen, flachen Atemzüge und Siegfried schloss die Augen wieder.

Als Siegfried auf dem Rücken lag, unterstützt von einem dicken Kissen, das ihn etwas aufrichtete, um die Atmung zu erleichtern, befüllte Martin einen Inhalationsapplikator mit einem Teil der Pulvermischung.

"Drück die Daumen, dass es hilft."

"Alles klar!" Iris presste die Daumen so fest sie konnte und schickte gegen ihre Gewohnheit ein Stoßgebet gen Himmel.

Martin hielt den Applikator auf Siegfrieds untere Gesichtshälfte und drückte auf den Auslöseknopf. Siegfried bäumte sich auf, hustete und atmete dann unter lautem Pfeifen tief ein. Dann hustete er wieder, sodass man den Eindruck hatte, er würde sich seine Lunge aus dem Leib husten. Dabei riss er die Augen so weit auf, als würden sie ihm aus dem Kopf fallen.

Iris schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Oh je, das sieht aber nicht gut aus. Hoffentlich bringt ihn das Zeug nicht um.

Mit beruhigender Stimme redete Martin auf Siegfried ein, der sich nach kurzer Zeit wieder beruhigte, die Augen schloss und wie zuvor flach und schnell atmete. Sein Gesicht nahm wieder die graue Färbung von vorher an.

"Danke", sagte Martin zu Iris. "Jetzt wird es bestimmt ein paar Stunden dauern, wenn überhaupt eine positive Wirkung eintritt. Ich passe hier auf, du kannst dich eigentlich wieder deinen Forschungen widmen."

"Mach ich. Du rufst mich aber, wenn sich was tut, ja?"

"Ok, ich hole dich dann."

Iris ging in ihr Labor und begann, die Proben vom Küchenboden und den Kitteln zu untersuchen.
Während die Geräte die Stoffzusammensetzung analysierten, holte sich Iris die Protokolle ihrer früheren Experimente auf den Bildschirm und blätterte sie durch, in der Hoffnung, dass ihr wichtige Erkenntnisse ins Auge stechen würden. Die alten Protokolle nahmen sie völlig gefangen. So vergingen die Stunden und Iris vergaß fast, dass sie auf Neuigkeiten von Siegfried wartete. Daher war Iris ganz überrascht, als die Tür aufging und Martin den Raum betrat.

"Wenn du willst, kannst du mal rüberkommen. Das Fieber ist deutlich gesunken und er atmet scheinbar etwas freier."

"Gut, ich komme", sagte Iris, nachdem sie wieder in der realen Welt angekommen war.

Siegfried wirkte deutlich verändert, fand Iris. Er sah wieder mehr aus wie er selbst, auch seine Gesichtsfarbe schien wieder menschlicher. Die Atemzüge waren zwar immer noch schnell, aber hörbar tiefer als zuvor. Siegfrieds Augenlider zuckten.

Ob er wohl gleich aufwacht? Sieht ja fast so aus.

Tatsache. Siegfried schlug die Augen auf und sah sich um. Er setzte sich auf, fasste nach seiner Sauerstoffmaske und zog sie herunter, bevor Martin eingreifen konnte. Dann nahm Siegfried einen tiefen Atemzug.

"Was ist denn hier los? Oh, Mann, ist mir übel!"

Kaum hatte er das gesagt, beugte sich Siegfried aus dem Bett und erbrach sich auf den Fußboden.

Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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