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Die Virenjägerin

Kapitel 17


  
Mit zitternden Fingern bereitete Iris die Gewebeprobe für die Erbgutvervielfältigung im PCR-Gerät vor (PCR = Polymerase Chain Reaction - Vervielfältigung von DNA-Strängen). Erst nach dem Vergleich der Gene des gefundenen Erregers mit normalen Erkältungsviren würde sie Klarheit haben. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf den Tisch und sah dem Gerät bei der Arbeit zu. Doch ihr war klar, dass die Genvervielfältigung durch Anstarren nicht schneller vonstatten gehen würde. Daher beschloss sie, sich abzulenken.

Iris eilte aus dem Labor in die Küche und wäre vor lauter Aufregung beinahe über ein Kabel gestolpert. Sie zwang sich, ruhig zu gehen, doch das fiel ihr schwer. Die Küche war menschenleer.

Schließlich fand Iris Martin, wie erwartet, im Krankenzimmer. Durch aufgeregte Gesten gab sie ihm zu verstehen, dass sie Neuigkeiten zu berichten hatte. Bei dem schlafenden Siegfried wollte Iris nicht von ihrer Entdeckung erzählen, denn sie traute sich in ihrer Aufregung nicht zu, leise genug zu sein. Martin nickte, was Iris so verstand, dass er gleich zu ihr kommen würde. Sie nickte zurück und schloss die Tür so leise wie möglich. Unruhig lief sie im Gang auf und ab.

Als Martin nicht sofort kam, lief Iris zurück in die Küche und schaltete den Computer an, um mit anderen Wissenschaftlern Kontakt aufzunehmen. Im Medizinerforum herrschte Aufregung, weil Forscher in mehreren voneinander unabhängigen Labors erkrankten. Einer hatte bis fast zum Delirium weiter geschrieben. Alle konnten lesen, wie ihm plötzlich kalt wurde, wie er Kopfschmerzen bekam, wie ihm die Atmung zunehmend schwer fiel. Bei seinem letzten Beitrag standen in fast jedem Wort Tippfehler, was deutlich machte, wie er die Kontrolle über sich verlor. Er hatte sich darin verabschiedet und seinen Kollegen viel Erfolg bei ihrer Suche gewünscht. Andere Wissenschaftler wurden vermisst, aber man wusste nichts Genaues.

Beunruhigend an der Erkrankung des betroffenen Mediziners war vor allem, dass er, nach eigener Aussage, keinerlei Kontakt zu Erkrankten der Seuche gehabt hatte. Er arbeitete zudem in einem Labor der Sicherheitsstufe vier und setzte sich dem Virus nur in einer Druckkammer mit einem Schutzanzug aus.

Ob ich vielleicht auf dem Holzweg bin mit meiner Virusentdeckung? Ob der Virus vielleicht so winzig ist, dass er Schutzanzüge durchdringen kann? Ob es überhaupt ein Virus ist? Wenn ich daran denke, wie leichtfertig wir uns dem Erreger aussetzen, wird mir ganz mulmig. Aber nach dem engen Kontakt zu Siegfried war sowieso alles zu spät. Eigentlich müssten wir hier alle krank werden, statt dem Wissenschaftler in seinem Sicherheitslabor.

Ähnlich dachten wohl auch die anderen Forscher, denn in den Texten im Forum konnte man die nackte Angst durchlesen.

Iris überlegte, ob sie von ihrer möglichen Entdeckung berichten sollte, oder ob sie sich damit lächerlich machen würde. Während sie noch grübelte, betrat Martin die Küche. Auch Igor steckte seine Nase durch die Tür.

"Was gibt es denn so Aufregendes?" fragte Martin.

"Vielleicht habe ich den Virus gefunden, aber nur vielleicht. Ich bereite gerade eine DNA-Untersuchung vor."

"Das ist ja mal eine gute Nachricht. Was für ein Virus ist es denn?"

"Wenn es der richtige ist, dann wäre es ein Corona-Virus, ähnlich wie SARS. Aber vielleicht sind es auch nur Erkältungsviren, an denen Siegfried zusätzlich erkrankt ist."

"Ähnlich wie SARS würde ja durchaus Sinn machen. Fragt sich nur, warum er sich bei der Übertragung so merkwürdig verhält."

"Stimmt. Das Rätsel wird auch immer mysteriöser, dem Medizinerforum zufolge."

"Was sagen sie denn im Forum zu deiner Entdeckung?"

"Ich habe noch gar nicht davon berichtet, außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich mir damit meinen Ruf verderbe, wenn ich zu früh damit rausplatze. Schließlich weiß ich noch nichts Genaues."

"Welchen Ruf willst du denn verlieren? Außerdem steht jetzt mehr auf dem Spiel als ein Ruf unter Wissenschaftlern. Der Erreger muss so schnell wie möglich dingfest gemacht werden und dabei ist es fast egal wer ihn findet. Außerdem könnte es deinem Ruf sogar dienen, wenn du die Erste bist, die ihn erwähnt."

"Hm, damit könntest du Recht haben. Es ist wohl ein bisschen wie in der Lotterie. Also gut."

Selbst Igor ließ ein "Hm" hören und verzog sich dann wieder.

Iris setzte einen Text auf, in dem sie die Vielzahl der Coronaviren schilderte und dass sie den Verdacht hatte, dass es sich um den gesuchten Erreger handeln könnte. Als sie den Text korrigiert hatte, schickte sie ihn an das Forum. Zufrieden streckte sie sich auf ihrem Bürostuhl.

Dann wurde Iris schon wieder von der Unruhe gepackt und lief in ihr Labor zum PCR-Gerät, das wie erwartet noch lange nicht fertig war. Sie eilte zurück zu ihrem Netzrechner, wo sie schon die erste Antwort auf ihren Beitrag vorfand. Auch im Labor des Beitragsschreibers waren sie auf die Idee gekommen, dass der gesuchte Erreger ein Corona-Virus sein könnte. Um sicher zu gehen, lief auch dort eine DNA-Vervielfältigung per PCR.

Innerhalb einer Viertelstunde trudelte ein Beitrag nach dem anderen ein. Manche nahmen Iris' Erkenntnisse als Anregung, um selbst an neuer Stelle zu suchen, andere waren auch schon auf die Idee gekommen, hatten sie aber zunächst verworfen. Wenn es nicht um eine so ernsthafte Angelegenheit gegangen wäre, hätte Iris diese Diskussion unter Kollegen enorm genossen. Auch so fühlte sie sich so wohl wie lange nicht mehr, obwohl ein Wermutstropfen die Freude trübte.

Nach zwei Stunden beruhigte sich die Debatte und Iris spürte, wie müde sie war. Sie ging noch einmal in ihr Labor, wo das PCR-Gerät nach wie vor mit der Vervielfältigung beschäftigt war.

Das wird noch Stunden dauern. Ob ich mich ein Weilchen hinlege und schlafe? Ich fühle mich wie zerschlagen vor lauter Müdigkeit.

Im Forum meldete sie sich ab, denn inzwischen waren ihre Kollegen immer in großer Sorge, wenn sich einer der Diskussionsteilnehmer nicht mehr meldete. Mit ein paar hilflosen Witzen und guten Erholungswünschen wurde sie verabschiedet.

Anschließend sagte sie Martin Bescheid und legte sich auf ihr Feldbett, wo sie einschlief, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte.

Die Virenjägerin

Expeditionen ins Reich der Seuchen
von Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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