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Die Virenjägerin

Kapitel 11


  
Der Sandsturm hatte nachgelassen. Schon lange hatte der Sandsturm aufgehört. Iris sah Siegfried auf dem Wüstenboden liegen, aus Mund und Nase quollen winzige schwarze Kobolde. Ganz dicht verstopften die kleinen Wesen Siegfrieds Atemöffnungen. Siegfried zappelte und rang nach Luft. Er versuchte, die Kobolde abzuwischen, aber immer mehr quollen aus seinem Mund. Schnurstracks marschierten diese Miniungeheuer auf Iris zu. Iris war kurz davor in Panik auszubrechen, doch dann erinnerte sie sich an ihren Laborkittel und hüllte sich vollständig damit ein. Die Kobolde verlangsamten sich, doch einige hüpften auf den Kittel und trippelten darauf herum, sodass es Iris kitzelte. Nach kurzer Zeit fielen die Kobolde jedoch von Iris ab und ihre Genossen versuchten es gar nicht erst, Iris näher zu kommen. Iris wunderte sich und sog genießerisch den Duft ihres Kittels ein. Dann nahm sie einen der herunterhängenden Ärmel in ihre Hand und kroch zu Siegfried, der immer noch um jeden Atemzug kämpfte. Iris wischte mit ihrem Kittelärmel die Kobolde ab und ihr schien es, als würden die schwarzen Dinger langsamer nachkommen als zuvor. Siegfried holte tief Luft und öffnete für einen kurzen Moment die Augen.

Erschrocken setzte Iris sich aufrecht hin und öffnete ihre eigenen Augen. Ihr Nacken schmerzte und sie fühlte sich am ganzen Körper verspannt. Siegfried lag immer noch schlafend auf dem Krankenbett und atmete hastig in die Sauerstoffmaske. Was ist los? Habe ich geschlafen? Was für ein unsinniger Traum! Immer wieder diese Kobolde. Wie weh mir alles tut! Eine schöne Überwacherin bin ich ja - schlafe einfach so ein. Dem armen Siegfried hätte sonst was passieren können. Immerhin scheint sich bei ihm nichts verändert zu haben. Das ist ja auch schon was wert, wenn es nicht schlimmer geworden ist. Mal schauen, ob ich Martin finde und dann sollte ich mich richtig hinlegen und eine Mütze Schlaf nehmen.

Beim Aufstehen spürte Iris noch mehr Verspannungen und konnte sich lautes Fluchen nur mühsam verkneifen. In den Firmenräumen schien alles ruhig. Nur aus einem der Laborräume hörte sie leise kratzende Geräusche. Iris öffnete die Tür und sah zwei Schenkel und Füße, die unter einer alten Zentrifuge hervor schauten. Den Schuhen zufolge, musste es sich um Igor handeln.

"Igor, was treibst du da unter der Maschine?"

"Optimieren."

"Das klingt nach einer guten Idee. Weißt du, wo Martin steckt?"

"Weck ihn!"

"Hat er dir das aufgetragen, dass ich ihn wecken soll?"

"Hm"

"Ok, dann geh ich ihn mal suchen."

Iris öffnete nacheinander alle Türen, doch Martin fand sie nicht. Schließlich entdeckte sie ihn im alten Buchhaltungsbüro, das schon fast vollständig ausgeräumt worden war. Dort lag er auf einem Feldbett und wachte sofort auf, als er Iris reinkommen hörte.

"Wie gehts Siegfried?" war das erste, was Martin wissen wollte.

"Unverändert."

"Ok, dann werde ich mal die Nachtwache übernehmen. Wenn du willst, kannst du dir hier das andere Feldbett aufstellen. Ich meine, falls es dir nichts ausmacht."

"Gute Idee. Macht mir nix aus. Du wirst ja bestimmt nicht des Nachts über mich herfallen, wenn ich das nicht will."

"Keine Sorge. Du weißt ja, dass ich ein harmloser Gutmensch bin", dabei grinste Martin verschmitzt. Er zog seinen Kittel über, griff nach der Schutzmaske und verließ den Raum.

An die Wand gelehnt fand Iris ein weiteres Feldbett, das sie an einer freien Stelle aufklappte. Ein freundlicher Zeitgenosse hatte ihre Reisetasche samt Schlafsack schon hergebracht, was Iris eine weitere Runde durch die Firma ersparte. Sie zog den Schlafsack aus dem Beutel, schüttelte ihn gründlich bis er sich aufgeplusterte, dann legte sie ihn auf das Feldbett und schlüpfte hinein. Als sie lag, spürte Iris, dass sie bleiern müde war. Der Traum mit den Kobolden ging ihr noch mal durch den Kopf, dann sah sie Siegfried vor sich, schwer atmend und schließlich fiel Iris in einen erschöpften Schlaf.

Die Sonne schien kraftvoll ins Zimmer als Iris erwachte. Geblendet blinzelte Iris und brauchte einige Minuten, um sich zu orientieren wo sie war. Martins Pritsche war leer, also war er nicht zurückgekehrt. Ob er wohl immer noch bei Siegfried wacht?

Iris stand auf, spritzte sich im Bad kaltes Wasser ins Gesicht und ging zum Krankenzimmer. So leise wie möglich öffnete Iris die Tür und linste in den Raum. Dort lag zu Iris Entsetzen Martin schlafend auf einem zweiten Bett, wachte aber sofort auf, als Iris den Raum betrat.

"Psst!" zischte Martin und legte den Zeigefinger an die Lippen. Dabei deutete er mit den Augen auf Siegfried, der nach wie vor hechelte und schlief. Martin stieg aus dem Bett und Iris konnte sehen, dass er vollständig bekleidet war. Er winkte in Richtung Ausgang und folgte Iris dann zur Teeküche.

Dort nahm Iris gleich die Kaffeemaschine in Betrieb. Martin verschwand kurz im Bad und kam anschließend mit rotem aber munterer wirkendem Gesicht zurück. Mit gefüllten Tassen setzten sich die beiden an den Tisch und schlürften eine Weile schweigend.

"Und? Alles klar mit Siegfried?" wollte Iris schließlich wissen.

"Nichts ist klar mit Siegfried, aber wenn du meinst, ob sein Zustand im Wesentlichen stabil ist, dann: ja. In der Nacht war er eine Weile wach. Da habe ich dann versucht, ihm Wasser einzuflößen, denn mit unseren Beständen für die Tropfflasche kommen wir nicht sehr weit. Der gute Siegfried hat sich ziemlich bockig angestellt, bis er mal getrunken hat. Aber dann ging es. Er hat gleich einen halben Liter runtergestürzt, nachdem er kapiert hatte, dass es ums Trinken geht."

"Gut, dass er getrunken hat. Und du hast dir das Nebenbett zurechtgemacht? Im ersten Moment dachte ich schon, dass du jetzt auch krank wärst, aber dass dem nicht so ist, wurde ja schnell klar."

"Ich habe Siegfried schließlich so verkabelt, dass es sofort piepsen würde, wenn sich sein Zustand deutlich ändert. An Bereitschaftsschlafen bin ich ja auch gewöhnt. In der Klinik gehört das zum Alltag."

"Du bist auch erstaunlich schnell aufgewacht."

"Tja, das kann ich", Martin grinste.

"Und wie gehen wir weiter vor? Überhaupt: werden wir auch krank werden?"

"Damit müssen wir rechnen. Nichts spricht dafür, dass uns die Pneumonie verschont. Wir sollten uns also darauf vorbereiten. So bequem wie Siegfried hätten wir es dann aber nicht, wenn wir mal alle darnieder liegen."

"Wie schaurig! Die Betten vorbereiten und dann darauf warten, dass es uns ereilt."

"Na na, so schlimm ja nun doch nicht. Bis es soweit ist, können wir ja durchaus an der Erforschung des Erregers arbeiten und wenn der mal gefunden ist, nach einem Heilmittel suchen. Schließlich ist das ja unsere Spezialität."

"Gut, nach dem Erreger suche ich gerne. In Siegfrieds Schleimhäuten müsste er schließlich in Massen sitzen."

"Tu das! Während Siegfried wach war, habe ich eine Probe entnommen. Mit der kannst du anfangen. Ich kümmere mich derweil um die Krankenbetten für uns. Wie gut, dass wir damals fünf Betten angeschafft haben, da könnte sogar noch einer dazukommen. Welch perverse Angelegenheit", kopfschüttelnd verließ Martin die Teeküche.

Iris schaltete zuerst den Fernseher an, einerseits um allgemeine Neuigkeiten zu erfahren und andererseits, um zu wissen, ob schon jemand anders den Erreger entdeckt hatte, denn in diesem Fall könnte sie sich die Suche sparen.

Weltweit war die Katastrophe ausgebrochen. Die meisten Länder hatten den Notstand ausgerufen. Ein großer Teil der Weltbevölkerung war inzwischen erkrankt und mit jeder Sekunde wurden es mehr Lungenkranke. Die Krankenhäuser waren samt und sonders überfüllt; dort einen Platz zu bekommen, war aussichtslos geworden. Neue Pneumoniekranke lagen inzwischen unversorgt in ihren Wohnungen, im besten Fall gepflegt durch ihre Angehörigen.

Die meisten Städte waren wie ausgestorben. Nur dort, wo die Ordnungsmacht es nicht schaffte, den Mob zurückzuhalten, wurde geplündert. Iris sah Aufnahmen, auf denen man zurückgelassene Plünderer sah, die auf ihrem Raubzug von der Lungenentzündung eingeholt worden waren. Die jungen Männer lagen einfach auf der Straße und wanden sich. Ihre Kollegen rannten eilig davon, sobald sie sahen, was mit ihren Freunden los war. In der Ferne hörte man ein Martinshorn, das jedoch nicht näher zu kommen schien.

Auf Luftbildern konnte man sehen, dass einige Städte in Flammen standen. Vor allem Innenstädte und die Stadtteile der Armen waren betroffen. In diese Gegenden wagte sich kein Reporter mehr hinein, berichtete der Nachrichtensprecher.

Als Iris den Kanal wechseln wollte, stieß sie auf exakt die gleichen Berichte, wie auf dem anderen Sender. Das galt auch für die meisten anderen Kanäle. Schließlich stieß sie bei einem Sender auf eine dezente Laufschrift am Bildschirmrand, die darauf hinwies, dass aus Krankheitsgründen auf einen öffentlichen Sender umgeschaltet worden war. Letztendlich gab es nur noch drei unterschiedliche Programme.

Um uns herum geht die Welt unter und ich hab einfach die ganze Nacht über geschlafen wie ein Murmeltier. Vielleicht war das die letzte Nacht meines Lebens in der ich frei atmen konnte und ich vergeude sie so einfach. Was bin ich nur für ein Dödel? Immerhin bin ich jetzt ausgeschlafen und habe Kraft, mich auf die Suche nach dem Übeltäter zu machen. Und sei es das Letzte, was ich tue.

Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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