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Die Virenjägerin

Kapitel 10


  
Oh je, was mach ich nur? Martin und Igor warten doch auf mich. Ohne die Vorräte sind die doch aufgeschmissen. Und Siegfried braucht mich auch. Was sag ich nur diesem Polizisten?

Iris holte tief Luft und setzte sich aufrecht hin, so gut es auf dem Autositz ging.

"Hören Sie, ich bin schon für ein medizinisches Institut unterwegs. Sehen Sie nicht, dass ich mit Vorräten und wichtigen Medikamenten beladen bin?" dabei deutete Iris auf die Tüte aus der Apotheke, die auf dem Beifahrersitz lag.

"Ok, dass Sie Medizin dabei haben, kann ich erkennen. Aber das beweist noch lange nicht, dass Sie im Auftrag eines Krankenhauses unterwegs sind."

"Kein Krankenhaus! Ein medizinisches Institut! Wir erforschen den Erreger der Lungenentzündung und entwickeln ein Heilmittel. Unsere Mission ist lebenswichtig für die ganze Menschheit. Also lassen Sie mich endlich durch! Ich habe schon viel zu viel Zeit in diesem Stau verbracht."

"Hm. Wir haben aber Anweisung, alle Taxis in den Dienst des Gesundheitsamtes zu stellen."

"Sie wollen doch nicht Schuld daran sein, dass kein Heilmittel gefunden wird. Moment, ich zeige Ihnen meine Karte vom Institut", mit zitternden Fingern Iris kramte in ihrer Handtasche und zog schließlich eine Visitenkarte heraus. Wie gut, dass ich die immer noch einstecken habe. Hoffentlich hilft es.

Der Beamte nahm die Visitenkarte entgegen und studierte sie gründlich. Er runzelte die Stirn. Die wartenden Autos hupten. Oh Mann, entscheide dich! Lass mich weiterfahren! Der Uniformierte drehte die Visitenkarte um, schaute Iris an, als würde er ein nicht vorhandenes Bild mit ihrem Antlitz vergleichen und kratzte sich dann am Kopf. Ratsuchend schaute er zu seinem Kollegen, der mit einem anderen Auto beschäftigt war. Dieser nickte auffordernd und warf einen Blick auf die Autoschlange.

"Ich kann Ihnen auch noch meinen Personalausweis zeigen, wenn Ihnen das weiterhilft", bot Iris an.

"Ne, ne, lassen Sie mal. Sie können durchfahren. Aber nur bis zu Ihrem Institut!"

"Ok, danke."

Mit klopfendem Herzen fuhr Iris zügig von der Kontrollstelle weg. Am liebsten hätte sie Vollgas gegeben, um möglichst schnell Distanz zu den Beamten zu gewinnen, aber sie wollte sich nicht verdächtig machen.

Erst als Iris zum Gewerbegebiet, in dem sich ihr Firmengebäude befand, abgebogen war, konnte sie wieder entspannter atmen und auch ihr Herzklopfen beruhigte sich, wenn auch nicht vollständig. Vor ihrer Firma parkte Iris das Taxi und spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie griff nach der Medikamententüte, schnappte sich soviel von den Einkäufen, wie sie tragen konnte und betrat die Firma mit einem Gefühl als würde sie nach Hause kommen. Wie pervers, ich freue mich richtiggehend darauf, hier für eine Weile eingesperrt zu sein.

Leicht keuchend betrat Iris die Teeküche und stellte ihre Tüten auf eine Ablagefläche. Martin und Igor starrten ihr entgegen, nachdem sie ihre Augen von dem kleinen Fernseher losgerissen hatten, der inzwischen in der Küche stand.

"Oh, Iris! Endlich bist du wieder da! Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht. Wo warst du so lange? Warum hast du dich nicht gemeldet?" Martin fuchtelte aufgeregt mit den Armen.

"Hm", selbst Igors Kommentar klang sorgenvoll.

"Immer langsam Jungs! Ok, ich hab im Stau gesteckt, das war ziemlich lästig. Fast hätten sie mich nicht durchgelassen. Ich musste ihnen erst erzählen, dass wir hier ein Heilmittel entwickeln, bevor sie mir die Weiterfahrt erlaubt haben. Das tun wir doch, oder? Wenn wir hier schon festhängen. Ich meine natürlich, ein Heilmittel entwickeln."

"Aber warum hast du uns nicht informiert?"

"Mein Handyakku war mal wieder leer. Du müsstest doch inzwischen wissen, wie sehr ich Handies hasse."

"Für so einen Zweck sind Handies aber sehr nützlich. Wir sahen dich schon abgestochen irgendwo verbluten."

"Wie kommt ihr denn auf solche perversen Ideen? Habt wohl zu viel Fernsehen geguckt?"

"Daran wirds liegen. Hast du denn kein Radio gehört? In vielen Läden ist es zu Plünderungen gekommen, teilweise mit Messerstechereien. Überhaupt: das totale Chaos ist ausgebrochen in der Zeit, in der du weg warst."

"Oh, das war mir nicht bewusst. Im Radio habe ich zwar hin und wieder von Plünderungen gehört, habe das aber nicht auf mich bezogen. Denn schließlich war ich davon ja nicht betroffen."

"Wie hörst du denn Nachrichten? Plünderungen! Hier in Berlin! Und auch in anderen Städten. In unserem braven Deutschland! Mit meuchelnden Raubrittern. Und du warst da draußen, mitten im Getümmel. Geht das in deinen Schädel rein?"

"Ok, ok, ich habs ja kapiert. Dass es gleich so schlimm wird, damit habe ich eben nicht gerechnet."

"Hier, guck dirs im Fernsehen an! Dann weißt du, warum wir uns Sorgen gemacht haben. Sie bringen die ganze Zeit nichts anderes außer Krankenhaus- und Plünderungsszenen."

Auf dem Bildschirm konnte man gerade sehen, wie sich in der Eingangshalle einer Klinik Feldbett an Feldbett reihte. Auf jeder dieser Pritschen lag ein Kranker, der hechelte, als ginge es um sein Leben. Sauerstoffmasken waren nicht zu sehen. Zwischen den Feldbetten eilten Menschen in Seuchenanzügen, die an Raumanzüge erinnerten, hin und her. Sie verteilten Wasserflaschen, maßen die Körpertemperatur und gaben Spritzen.

"Wie geht es eigentlich Siegfried?" wollte Iris wissen.

"Der schläft inzwischen und es scheint ihm besser zu gehen. Aber jetzt schau weiter! Die liegen in der Eingangshalle, weil die Gänge in den Stationen schon längst voll sind. Sauerstoffflaschen sind längst Mangelware. Das Militär baut auf dem Vorplatz Zelte auf. Zeigen sie bestimmt gleich noch mal."

Wie angekündigt wechselte die Szenerie und Iris sah Soldaten, die Massenunterkünfte aufstellten. Dann wurden die Plünderungen gezeigt. Man konnte einen Supermarkt sehen, bei dem die Fensterscheiben eingeworfen worden waren. Eine junge Frau verließ den Laden mit einem vollen Einkaufswagen. Drei Männer sprangen auf sie zu und rissen an ihrem Einkaufswagen. Als sich die Frau wehrte, zückte einer der Männer ein Messer und stach mehrmals auf die Frau ein. Blutüberströmt blieb die Frau auf dem Parkplatz liegen. Die Plünderer verschwanden mit ihrem Wagen.

Die Szene wechselte und Iris sah eine bunt zusammengewürfelte Horde, die einen Laden stürmte, den der Inhaber gerade geschlossen hatte. Aus einem anderen Geschäft strömten bepackte Menschen. Einige trugen unnötige Artikel wie Musikanlagen mit sich. Eine Frau, die einen Fernseher ergattert hatte, blieb mitten bei der Flucht stehen und taumelte. Der Fernseher fiel ihr aus den Armen und zersprang auf dem Asphalt, während sich die Frau mit dem Arm über die Stirn wischte. Man konnte sehen, wie ihr der Schweiß über die Augen lief. Sie taumelte noch einmal, dann glitt sie wie in Zeitlupe zu Boden, neben die Bruchstücke ihrer Beute. Die nachfolgenden Plünderer stolperten über sie. Erst als die Kamera verwackelte und sich der Kameramann anscheinend einmischte, griffen einige der Menschen die gefallene Frau an den Armen und zerrten sie aus dem Weg.

"Oh je, kein Wunder, dass ihr euch Sorgen gemacht habt. Das geht ja zu wie in einer Bananenrepublik. Dort wo ich eingekauft habe, war alles ruhig. Ich war die einzige, die etwas Aufsehen erregt hat, mit meiner Schutzmaske. Aber das ist jetzt auch schon gute zwei Stunden her", Iris wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erschrocken hielt sie inne. Geht das womöglich jetzt auch bei mir los? Ach iwo, ich hatte viel Stress und jetzt hat mich auch noch die Angst gepackt. Ansonsten fühle ich mich völlig gesund.

"War das eigentlich alles, was du eingekauft hast?"

"Nein, natürlich nicht. Ach du liebes Bisschen! Unten steht das beladene Taxi und wartet auf uns. Ich habe es noch nicht einmal abgeschlossen."

"Dann lass uns gleich mal runtergehen! Igor, dein Typ ist gefragt!"

Zu dritt entluden sie das Auto in wenigen Minuten. Anschließend ging Martin ins Krankenzimmer, um nach Siegfried zu schauen, während Iris die Nahrungsmittel so gut es ging in der Teeküche verstaute.

"Er schläft immer noch. Aber seine Sauerstoffwerte sind nach wie vor schlecht. Es scheint ihn ziemlich erwischt zu haben", berichtete Martin als er wieder zurückkam. Seine Schutzmaske hatte er sich in die Stirn geschoben, sodass sie aussah, wie eine Narrenkappe.

"Soll ich uns erst mal was zu trinken machen, auf den Schreck? Und vielleicht einen kleinen Imbiss?" Iris sehnte sich danach, etwas Normalität in die Situation zu bringen.

"Gute Idee, ich habe heute noch gar nichts richtiges gegessen. Igor, du willst bestimmt auch was essen, oder?"

"Hm."

In der Enge zwischen all den Einkäufen gelang es Iris, einen Topf voll Spaghetti zu kochen. Zum Trinken bot sie den Männern mit Wasser verdünnten Rotwein an. Rotwein, damit ein wenig lockere mediterrane Stimmung aufkam und Wasser, damit die wenigen Flaschen, die Iris gekauft hatte, länger hielten und damit niemand betrunken wurde. Schließlich mussten sie sich ja rund um die Uhr um Siegfried kümmern.

Igor trank einen Schluck des verdünnten Weins, runzelte die Stirn und stürzte das Getränk mit einem weiteren Schluck komplett runter. Dann holte er eine Flasche aus seiner Kitteltasche und füllte eine klare Flüssigkeit in das Glas. Zufrieden nickte er und ließ sich die Nudeln schmecken. Martin schüttelte seinen Kopf und nippte am wässrigen Rotweinglas.

"Eine Frage habt ihr noch nicht beantwortet, vor lauter Fernsehchaos: wir arbeiten doch daran, ein Heilmittel zu entwickeln, oder?" Iris blickte von einem ihrer Kameraden zum anderen.

"Ja, klar! Du hast ja recht. Wenn wir hier schon festsitzen, können wir auch unsere Arbeit machen. Aber es wird schwierig, wo uns doch die ganzen Hochleistungsgeräte fehlen."

"Igor besorgt uns bestimmt alles, was wir brauchen, nicht wahr, Igor?"

"Hm!"

"Sehr gut, auf dich kann man sich verlassen."

Später saß Iris an Siegfrieds Bett und überwachte seinen Zustand. Die Maske störte sie beim Atmen, aber ihr war klar, das sie sie aus Sicherheitsgründen unbedingt tragen musste.

Siegfried atmete flach und so schnell als hätte er gerade ein Wettrennen hinter sich gebracht. Wie er dieses schnelle Atmen nur so lange durchhält? Bestimmt hat er sich schon die Kehle wundgehechelt. Wahrscheinlich bleibt ihm aber gar nichts anderes übrig.

Ob wir alle krank werden? Wir hatten ja schließlich alle Kontakt zu Siegfried. Wer pflegt uns dann bloß? Wie schrecklich, wenn wir dann so daliegen wie Siegfried und keiner ist da, der uns hilft. Werden wir alle sterben?

Die Virenjägerin

Die kommenden Plagen
von Laurie Garrett

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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