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Die Virenjägerin

Kapitel 5


  
Die nächsten Tage verliefen zäh wie Kaugummi. Das Taxifahren ödete Iris an, vom Robert Koch Institut hörte sie nichts und bei ihrer alten Firma tat sich auch nichts. Das schien Iris jedoch eher positiv, denn jede zu erwartende Änderung wäre ein weiterer Abbau des Inventars gewesen.

Mehrere Male fuhr sie in der Firma vorbei und brachte Igor ein paar Lebensmittel mit. Sie wusste nämlich, dass er nur ungern einkaufen ging. Doch jedes Mal brach sie zügig wieder auf, weil der Anblick der halb geplünderten Firma sie noch trauriger machte als gar nicht dort zu sein.

Eine kurze Zeitungsnotiz ließ Iris vorübergehend aufschrecken. Ein Kindergarten hatte geschlossen, weil die meisten Kinder an grippalem Infekt litten; ungewöhnlich viel für diese Jahreszeit. Bei diesem miesen Wetter aber auch nicht weiter verwunderlich. Das ist ja schlimmer als im November.

Auch beim Taxifahren hatten sich die erkälteten Fahrgäste vervielfacht. Außer Iris selbst schien fast jeder erkältet zu sein.

Aus Sorge um Siegfried rief Iris bei ihm an. Er wirkte so, als hätte sie ihn gerade bei etwas besonders wichtigem gestört.

"Erkältet? Und deswegen rufst du extra an? Ich bin längst wieder gesund. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich habe zu tun."

Iris konnte sich lebhaft vorstellen, wie eine tumbe Blondine mit aufgespritztem Schmollmund selbigen genervt verzog, weil ihr die kostbare Aufmerksamkeit für einen Moment entzogen worden war.

Vermutlich jage ich einem Phantom hinterher. Der reine Frust, weil mir die Arbeit im medizinischen Bereich so fehlt. Ich sollte mich besser auf meine Bewerbungen konzentrieren.

Eines Tages erhielt Iris eine Email von Yakup aus der Türkei.

"Hallo Iris,

ihr fehlt mir alle ganz arg. Obwohl hier das halbe Dorf aus Verwandten besteht, fühle ich mich hier wie ein Ausländer. Mit den bleichgesichtigen Touristen, die sich von mir durchkneten lassen, fühle ich mich vertrauter als mit der eigenen Familie. Mein Onkel wollte mir sogar seine Tochter als Braut anbieten. Dabei kenne ich die junge Dame gar nicht und sie ist auch kaum mehr als ein Kind. Außerdem steht mir der Sinn noch nicht danach, zu heiraten. Ich fürchte, ich bin gar kein richtiger Türke mehr.

Mir fehlt auch die interessante Arbeit. Hier bin ich zwar sehr gefragt, weil ich die Gäste massieren und ihre Wehwehchen mit Chiropraktik lindern kann. Aber das ist eigentlich nicht das, womit ich mein Leben verbringen will. Vielleicht hätte ich mir auch, wie du, einen Job als Taxifahrer suchen sollen, bis ich wieder eine Stelle als Pharmakologe finde.

Wie geht es denn bei euch im kühlen Norden? Trefft ihr euch noch ab und zu in der Firma?
Grüß die anderen, wenn du sie mal wieder triffst.

Euer Yakup"

Ach, der Arme! Dem gehts wohl ganz ähnlich wie mir. Und dann noch so weit weg in der Ferne. Wie pervers: hier war er immer der Ausländer, der Türke. Und dort ist er auch wieder der Fremde, der Deutsche. Aber immerhin hatten wir viel Spaß miteinander bei der Arbeit. Als Kollege war es völlig schnuppe, welcher Herkunft er ist. Wahrscheinlich wäre er doch besser hier geblieben. Ein guter Pharmakologe müsste doch bestimmt einen Job finden können.

Ein paar Tage später fand Iris einen Brief vom Robert Koch Institut in ihrem Briefkasten. Schon im Hausflur riss Iris den Briefumschlag auf und zerrte das Schreiben hervor.

"...bedauern sehr.... leider keine freien Stellen.... wünschen viel Erfolg...."

Oh Mist, die wollen mich nicht. Wahrscheinlich stimmt das sogar, was die schreiben. Man hört ja schließlich ständig, dass die Mittel überall gekürzt werden. Na ja, irgendwas werde ich bestimmt finden. Und wenn ich hier in Berlin auf Dauer nicht fündig werde, kann ich es ja immer noch in München versuchen. Oder vielleicht in der Schweiz. Dort finde ich sicherlich etwas. Und bis es soweit ist, kann ich ja noch ausgiebig den Verlust unserer eigenen Firma beweinen. Es war einfach so ein schöner Traum: Medikamente zu entwickeln, die vielen Leuten helfen könnten, ihre schlimmen Krankheiten zu überwinden. Tja, wir waren eben nicht schnell genug mit der großen Entdeckung oder hatten zu wenig Mittel.

Frustriert schleppte sich Iris in ihre Wohnung und schaltete den Fernseher ein, um sich abzulenken. Dort endete gerade ein Bericht, bei dem Hausmittel gegen Erkältungen empfohlen wurden. Sogar das Fernsehen stürzt sich zur Zeit auf jede Laufnase. Die sind ja schlimmer als ich. Fast merkwürdig, dass ich die ganze Zeit über keine Erkältung bekommen habe, obwohl so viele meiner Passagiere kränklich sind. Na ja, mir reichen auch schon die ewigen Kopf- und Magenschmerzen.

Als Iris das nächste Mal vor der Klinik abends auf Fahrgäste wartete, stieg wieder die junge Frau bei ihr ein, deren Mutter das Tagebuch geschrieben hatte.

"Hallo, schön, Sie wieder zu sehen", begrüßte Iris ihre Passagierin. "Das Tagebuch Ihrer Mutter habe ich übrigens gelesen. Ich fand es sehr interessant. Hat mir gut gefallen. Grüßen Sie sie bei Gelegenheit."

Anstelle einer Antwort hörte Iris ein Schluchzen. Dann kramte die Frau nach einem Taschentuch und putzte sich geräuschvoll die Nase. Erst jetzt fiel Iris auf, dass die Frau rot geschwollene Augen hatte. Bei dem schwachen Abendlicht hatte sie es vorher nicht sehen können.

"Oh, sorry! Ist Ihnen nicht gut?"

"Meine Mutter!" stieß die Frau zwischen zwei Schluchzern hervor. "Meine Mutter ... ist vorhin gestorben. Die Ärzte ... die Ärzte ... konnten ihr nicht mehr helfen. Und das bei all den Maschinen."

"Das tut mir aber leid für Sie", Iris war froh, dass sie noch nicht losgefahren war, denn so konnte sie die Frau, wenn auch umständlich, in den Arm nehmen und etwas trösten.

"Und Vater ... Vater geht es auch immer schlechter. Wenn es so weiter geht, stirbt er auch. Er hat noch nicht mal mitbekommen, dass Mutter gestorben ist."

"Wie schrecklich!"

"Ja, ... es ist furchtbar!"

"Das ist ja eine schreckliche Zeit für Sie", welch plumpe Sprüche angesichts so einer grausamen Situation. Aber was soll man sonst sagen?

"Ja, stimmt. Sowas Schlimmes habe ich noch nie erlebt. Ich ... ich glaube, von den anderen sind auch schon welche gestorben. Da war in den letzten Tagen mehrmals so ein Durcheinander. Aber mir wird ja nix gesagt, nur wenn es die eigene Familie angeht."

Von Schluchzern geschüttelt kuschelte sich die Frau an Iris.

Die Virenjägerin

Expeditionen ins Reich der Seuchen
von Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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