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Die Virenjägerin

Kapitel 3


  
Am Nachmittag bestieg wieder ein erkälteter Fahrgast Iris' Taxi. Ob das wohl irgendwas zu sagen hat? Ist da was im Anmarsch? Mach dich nicht lächerlich, Mädel! Im März, und vor allem bei diesem kalten Regenwetter, ist es völlig normal, dass ein Großteil der Menschen erkältet ist. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit den Lungenkranken auf der Isolierstation zu tun. Keine der bekannten Tropenkrankheiten fängt mit einem milden Schnupfen an. Achte lieber auf die Straße, statt dich in Spekulationen zu verstricken.

Bei einer längeren Wartezeit am Taxistand vor dem Bahnhof konnte Iris es sich jedoch nicht verkneifen, ihre Kollegen zu fragen, ob sie auch Verwandte von erkrankten Asienreisenden transportiert hatten.

"Ne", war die einhellige Antwort.

Davon bin ich jetzt auch nicht schlauer. Ich weiß nur, dass einer Handvoll von Taxifahrern kein solcher Kunde aufgefallen ist. Vielleicht haben andere Kollegen hunderte von Lungenkranken in verschiedenen Krankenhäusern untergebracht. Aber das glaube ich eher nicht. So eine Häufung hätte sich bestimmt herumgesprochen. Na ja, später mal im Internet stöbern. Da finde ich bestimmt was, wenn sich irgendetwas Auffälliges getan hat.

Ohne dass es Iris richtig bewusst wurde, zählte sie jedoch ihre schniefenden Fahrgäste. Als sie sich am frühen Abend eine Pause gönnte und nach Hause fuhr, notierte sie sich die Zahl auf einen Zettel und kam sich dabei albern vor.

Im Internet stöberte sie auf den Seiten der WHO, des CDCs, des Robert Koch Instituts und auf mehreren inoffiziellen Seuchentickern, die normalerweise am meisten hergaben, weil sie die Informationen aus vielen lokalen Quellen sammelten. Doch sie fand nichts in der gesuchten Richtung. Außer einem milden Cholera-Ausbruch und fortgestzter Malaria-Häufigkeit schien Asien weitgehend seuchenfrei.

Fast schon unheimlich. Sonst ist in Asien ja immer die Hölle los. Ein paar Hühnergrippe-Fälle gibt es sonst immer. Und wo sind die Denguefieber-Ausbrüche? Obwohl Denguefieber ja eigentlich gar nicht so ins Bild passt. Da gibt es normalerweise keine Lungenentzündungen nur hohes Fieber und superstarke Gliederschmerzen. Die lange befürchtete Supergrippe würde passen und auch SARS käme in Frage. Aber dann wären nicht nur die Seuchenticker voll davon, sondern auch das Fernsehen würde kaum noch was anderes bringen. Ich mach mir einfach zu viele Gedanken. Bestimmt fehlt mir die Arbeit im Labor. Ob ich mich je daran gewöhnen werde, eine einfache Taxifahrerin zu sein?

Bei ihrer Spätschicht stellte sich Iris dennoch am Krankenhaus in die Taxischlange. Einerseits, weil man dort meistens schnell auf Fahrgäste stieß und andererseits ließ die Neugier sie einfach nicht los. Doch außer den üblichen Schniefnasen, die von ihren Besuchen heimfuhren, musste sie nur Kunden mit gebrochenen Handgelenken, genähten Platzwunden und Halskrausen transportieren.

Bis zum Sonntag stellte Iris eine leichte Steigerung der Erkältungen fest, war aber immer mehr der Überzeugung, dass sie Gespenster sah. Besucher von lungenkranken Asienreisenden sah Iris nicht mehr. Es wurmte sie, nicht zu wissen, was hinter den Mauern der Isolierstation vor sich ging.

Die Vorfreude auf das Treffen mit ihren ehemaligen Kollegen drängte diese Thematik jedoch in den Hintergrund. Auf dem Weg zum Labor hielt sie bei einer Konditorei und kaufte einen Kuchen, um den Nachmittag etwas gemütlicher zu gestalten.

Als sie ankam, war Siegfried schon da. Sie konnte schon am Eingang hören, dass er wegen irgendeines Gerätes auf Igor einredete. Er klang verschnupft.

"Hallo Leute! Ich habe euch Kuchen mitgebracht."

"Wie aufmerksam von dir, Iris", Siegfried gab Iris einen Begrüßungskuss auf die Wange.

"Hm."

"Tag Igor! Hier hast du ein Stück."

"Und hier Siegfried, eins für dich. Bist du erkältet?"

"Mhm, lecker der Kuchen, danke. Ja, seit gestern. Schnupfen, Husten, das Übliche eben."

"Und weißt du, bei wem du dich angesteckt hast?"

"Das kann nur bei dieser süßen Stewardess gewesen sein. Die war auch erkältet."

"Stewardess?! Die kam nicht zufällig gerade aus Asien?" Iris Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals.

"Ne, aus Atlanta und New York. Die fliegt meistens zwischen den Staaten und Deutschland."

"Ist ja merkwürdig."

"Was ist denn an einer Erkältung im März merkwürdig? Vor allem bei dem Wetter?"

"Stimmt! Du hast eigentlich Recht. Mir ist halt eine Erkältungshäufung aufgefallen."

"Bei deinen Taxifahrten?"

"Ja, genau. Immer mehr meiner Fahrgäste sind erkältet. Aber das hat wohl nichts zu sagen."

"Ich frag mich immer noch, warum du dir so einen Job zumutest. Das hättest du doch bestimmt nicht nötig. Wenn du schon arbeiten willst, dann such dir doch wenigstens eine Stelle, die deiner Qualifikation entspricht."

"Ein paar Monate könnte ich wohl auch ohne Arbeit überbrücken. Aber dann würde ich bestimmt vor lauter Grübelei umkommen. Ich halte mir schließlich keinen Stall voller Gespielinnen."

"Na, jetzt macht aber mal halblang. Die eine oder andere Lady, die den Weg in meine Gemächer findet, ist doch kein Stall voll", betont elegant strich Siegfried sich seine blonden Haare zurück. Er funkelte Iris herausfordernd an.

"Na gut, lassen wir das Thema. Ich bin ja schon zufrieden, wenn du mich diesbezüglich verschonst. Wo bleibt wohl Martin?"

"Bestimmt bei seinen Krebskindern, wo denn sonst?"

"Igor, hast du was von Martin gehört?"

"Ne."

"Na ja, er kommt bestimmt bald. Gibt es was Bestimmtes zu besprechen?"

"Eigentlich nicht. Nächste Woche soll ein Teil der Büroschreibtische abgeholt werden, aber das dürfte ja keinen von uns besonders schockieren. Ist doch so, oder Igor? Die holen ein paar unbezahlte Tische ab."

"Hm."

Am Eingang hörte man die Tür ins Schloss fallen. Martin betrat den Raum und setzte sich an den Tisch. Er wirkte daran wie ein Grizzlybär, wuchtig wie er war. Dabei war er wie ein freundlicher Teddybär, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Genau das richtige für seine neue Arbeit als Arzt in einer Kinderkrebsstation, fand Iris.

"Tach, alle miteinander. Hatte noch einen kleinen Notfall auf der Station. Wie geht's, wie steht's?"

"Hallo Martin. Schön, dass du es einrichten konntest. Hier gibt es Kuchen."

"Oh, lecker! Meine Lieblingssorte. Und Kaffee! Sehr gut, der wird wohl gegen die lästigen Kopfschmerzen helfen."

"Hast du etwa auch immer Kopfschmerzen, die vom Kaffee etwas besser werden?" Iris war sofort hellhörig geworden.

"Ja, und leichte Übelkeit. Aber wahrscheinlich fühle ich nur mit meinen kleinen Patienten mit. Denen ist schließlich ständig übel. Bei mir hilft wenigstens der Kaffee."

"Mir gehts genauso. Aber ich habe keine kleinen Patienten, mit denen ich mitleide. Ich dachte, es käme vom Frust wegen der Pleite."

"Kann natürlich auch sein."

"Siegfried, Igor, habt ihr auch Kopfschmerzen und Übelkeit?" vielleicht sollte ich mir doch einen Job als Ärztin suchen. Ich scheine ja richtig ausgehungert zu sein, mit allen Krankheitsthemen.

"Hm."

"Nicht dass ich wüsste. Ich achte ja auch darauf, dass ich solche Gefühlsduselei nicht so nah an mich ranlasse."

"Warum wundert mich das nicht? Und Igor, hilft bei dir auch das Kaffeetrinken?"

"Ne, russische Medizin."

"Meinst du etwa Wodka?"

"Hm, nur wenig."

"Du meinst also, dass du dir regelmäßig einen kleinen hinter die Binde kippst und damit deine Kopfschmerzen in Schach hältst?" Iris hatte sich schon daran gewöhnt, dass man von Igor meistens nur eine detaillierte Information erhielt, wenn man sie für ihn vorformulierte.

"Hm."

"Richtig gesprächig heute, unser Igor!" Martin schlug Igor freundschaftlich auf die Schulter, was dieser mit einem schiefen Grinsen quittierte.

"Sag mal Martin, du bist doch in der Klinik und erfährst bestimmt auch einiges aus anderen Stationen. Gibt es in der Isolierstation eine Häufung von unklaren Lungenentzündungen?"

"In der Tat, die gibt es. Woher weißt du das?"

"Von meinen Fahrgästen. Einige davon haben Verwandte dort. Schieß schon los: wie viele Patienten sind es und was haben sie?"

"Details dürfte ich dir sowieso nicht verraten, aber es gibt keine, daher spielt das auch keine Rolle und schließlich bist du ja eine Kollegin. Es sind sieben Patienten und keiner weiß, was sie haben. Alles ausgetestet, alles negativ. Keine Influenza, kein Denguefieber, keine Malaria, was sowieso nicht passen würde, und auch kein SARS. Zwei haben leichten Pneumokokkenbefall, aber da wird eine Superinfektion vermutet. Ich geh dort natürlich gar nicht hin, wegen meiner kleinen Schützlinge. Aber natürlich muss ich auf dem neuesten Stand bleiben. In anderen Großstädten gibt es übrigens auch ein paar solcher Fälle."

"Erstaunlich! Und international? Das war doch eine Kreuzfahrt, auf der die Betroffenen waren, oder?"

"Was du alles weißt! Die meisten der Kreuzfahrtteilnehmer liegen jetzt in Krankenhäusern, egal ob sie aus dem Amiland, Frankreich oder Deutschland kommen. Aber in Asien ist kein Ausbruch bekannt. Das ist ja das Mysteriöse an der Angelegenheit."

"Sehr interessant! Ich hatte auch schon den Eindruck, dass es mysteriös ist. Aber so scheint es ja noch viel geheimnisvoller und vor allem unheimlicher."


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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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