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Die Virenjägerin

Kapitel 2


  
Zwei Fahrten später wurde Iris müde und fuhr nach Hause. In ihrem Appartement schenkte sie sich ein halbes Glas Rotwein ein und ließ sich auf ihr Ledersofa fallen. Langsam ließ sie den Wein, einen Medoc, durch ihre Kehle rinnen und genoss das samtige Aroma. Sie überlegte kurz, ob sie den Fernseher einschalten sollte, doch ließ es lieber bleiben, als sie daran dachte, was ihr dort in den letzten Nächten geboten worden war.

Der Hunger trieb Iris schließlich in die Küche. Auf dem Weg dorthin kam sie an ihrem Laborkittel vorbei, der wie ein Ausstellungsstück an der Wand hing, so als würde sie ihn jederzeit wieder schnappen und mit in ein Labor nehmen können. Verlegen blickte sie sich um, wohl wissend, dass sich außer ihr niemand in ihrem Appartement befand, drückte ihr Gesicht in den Kittel und atmete tief ein.

Ah, welch ein Duft! Nach Forschung und Abenteuer. Auf Dauer sollte ich mir wohl doch wieder eine Stelle in einem Forschungslabor suchen. Schade, dass es hier in Berlin so wenige Stellen dieser Art gibt. In München hätte ich wohl schon längst eine gefunden. Aber ich mag nicht nach München, zu den Bayern. Hier in Berlin pulsiert das Leben. Hier will ich bleiben.

In ihrer Küche belegte sich Iris ein Käsesandwich, dann ging sie wieder zurück zum Sofa. Einigermaßen gesättigt legte sie sich schließlich ins Bett, wo sie sofort einschlief.

Um zehn Uhr morgens schrillte der Wecker und riss Iris unsanft aus dem Schlaf. Schon wieder Kopfschmerzen, welch ein Elend. Und dann auch noch diese Übelkeit. Fast als wäre ich schwanger: jeden Morgen mit flauem Magen erwachen. Dabei weiß ich ganz genau, dass ich keinesfalls schwanger sein kann. Na ja, der Kaffee wird es richten, wie jeden Tag.

Auf dem Weg zur Dusche befüllte Iris ihre Kaffeemaschine und setzte sie in Gang. Dann ließ sie erst warmes, dann kaltes Wasser über ihren Körper strömen. Dadurch verlor sich schon ein Teil ihres Unwohlseins. Der Kaffee verhalf ihr vollends wieder zu Wohlbefinden. Gegen den ersten Hunger verspeiste sie noch eine Banane, dann war sie bereit für neue Taxifahrten.

Ihr erster Kunde schnäuzte sich ständig die Nase und berichtete, dass er gerade seinen Vater ins Krankenhaus gebracht hatte, der nach einer Kreuzfahrt plötzlich Fieber und Atembeschwerden bekommen hatte.

"Eine Kreuzfahrt in Asien?"

"Ja, genau. Thailand, Hongkong, Taiwan, Philippinen, Borneo und was so alles dazu gehört. Soll phantastisch gewesen sein. Strahlende Sonne, blaues Meer, exotische Speisen. Wie gerne würde ich sowas auch mal erleben. Aber jetzt isser krank. Die Ärzte befürchten eine Tropenkrankheit, wissen aber noch nichts Genaues. Moment, ich muss mir schon wieder die Nase putzen. Tschuldigung."

Iris nickte und konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. Ob das wohl die selbe Kreuzfahrt gewesen ist? Anscheinend gab es da einen Ausbruch. Aber wohl erst so spät, dass sie schon in alle Winde verstreut sind. Wenns was Ernstes ist, werde ich es bestimmt in den Nachrichten erfahren. Später kann ich ja mal im Internet schauen. Vielleicht ist es ja auch was ganz Alltägliches. Irgendein Dengue-Fieber, scheußlich aber verbreitet.

Den dritten Kunden musste Iris ganz in der Nähe ihres Labors absetzen. Ob ich wohl mal reinschaue? Zeit hätte ich ja und es ist auch fast zwölf: eine gute Zeit, um in die Firma zu gehen.

Sie parkte ihr Taxi in einer Seitenstraße und betrat das Laborgebäude. Alles totenstill. Igor schläft wohl noch. Aber bestimmt nicht mehr lange. Werd ihm mal einen Kaffee anwerfen, dann kriecht er vielleicht aus seinem Loch.

In der kleinen Teeküche stapelten sich die schmutzigen Tassen. Das ist ja mal wieder typisch Igor. Na ja, dafür hat er seine anderen Qualitäten. Iris warf die Kaffeemaschine an und räumte das Geschirr in die Spülmaschine, die danach voll genug war, um sie einzuschalten.

Das Röcheln der Kaffeemaschine schien eine belebende Wirkung auf Igor zu haben. Schon nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür seiner Kammer und seine untersetzte Gestalt schlurfte mit fast geschlossenen Augen an Iris vorbei zur Quelle des Morgengetränkes.

"Hm", sagte Igor und nickte dabei fast unmerklich.

"Das heißt nicht 'Hm', sondern 'Guten Morgen, liebe Iris. Danke für den Kaffee'", zog Iris ihn auf. Dabei hatte sie sich eigentlich schon an Igors Schweigsamkeit gewöhnt.

"Hm", Igor schenkte sich eine Tasse voll und setzte sich an den Küchentisch. Laut schlürfend trank er einige Schlucke.

"Und? Alles klar hier?"

"Hm."

"Haben die Gläubiger noch mehr Geräte abgeholt?"

"Ne!"

"Sehr gut! Hat dir der Insolvenzverwalter inzwischen mitgeteilt, wann diese unselige Versteigerung sein soll?"

"Hm."

"Ja, und wann? Lass dir noch nicht alles wie Würmer aus der Nase ziehen."

"Drei Monate."

"Ok, das dauert ja noch ein Weilchen. Mir grausts vor dem Moment, wenn hier alles abgewickelt ist."

"Hm."

"Weißt du denn inzwischen wo du dann hausen kannst, wenn hier mal Sense ist?"

"Ne."

"Na ja, hast ja noch Zeit bis dahin."

"Hm."

"Ich geh mal ein wenig Ordnung in meinen alten Arbeitsplatz bringen. Lass dir nur Zeit mit dem Aufwachen."

"Hm."

Iris betrat das Labor, in dem sich ihr Arbeitstisch befand. Fast zärtlich strich sie über ihr Mikroskop und tat so, als würde sie es entstauben, dabei wurde es durch seine Haube fast vollständig vor Staub geschützt. Eigentlich war ihr Platz in perfekter Ordnung, sodass es nicht wirklich etwas zu tun gab. Daher ordnete sie nur ihre Reagenzgläser anders an und stapelte die Objektträger, säuberlich abgestaubt, in eine der Schubladen. Anschließend kontrollierte sie das verbliebene Elektronenmikroskop, das sie günstig gebraucht erstanden hatten. Das größere Elektronenmikroskop war schon abgeholt worden, weil sie die Raten nicht mehr hatten zahlen können. Es hinterließ eine schmerzhafte Lücke im Labor.

Sie warf einen Blick in die Unterdruckkammer, in der gefährliche Stoffe untersucht werden konnten. Die Anzüge, die so aussahen, als wären sie für Mondlandungen geeignet, hingen im Vorraum ordentlich in Reih und Glied. Ob zukünftige Nutzer dieser Räume die speziellen Besonderheiten überhaupt richtig würdigen können, oder werden sie ihr Gerümpel dort abstellen, wo wir einst seltene Viren untersucht haben? Wahrscheinlich wird das Labor sowieso jahrelang leerstehen, denn schon normale Büroräume sind ja massenweise verwaist. So eine Verschwendung. Am besten mache ich mich wieder an die Arbeit, sonst werde ich noch ganz wehmütig. Mir wird schon wieder übel. Ist bestimmt nur psychosomatisch. Noch ein Schlückchen Kaffee und dann auf zum Taxifahren.

Igor hatte die Kanne schon halb geleert, aber für Iris reichte es noch locker. Er sah sie durchdringend mit seinen schwarzen, schmalen Augen an, als sie beim Einschenken leicht zitterte. Ja, du gefühlskaltes Ungeheuer. Mir gehts nicht gut mit unserer Pleite. Du scheinst es ja gelassen zu nehmen. Geht dir überhaupt mal was an die Nieren?

"Hm", grunzte Igor, als hätte er Iris Gedanken gelesen. Er schob ihr eine offene Packung Kekse hin und versuchte so etwas wie ein Lächeln, was aber eher zu einer schiefen Grimasse geriet.

"Danke!" Iris war überrascht von Igors Fürsorglichkeit. Ob er wohl immer so gewesen ist? So schweigsam? Oder war er früher in Russland leutseliger? Was er dort wohl getrieben hat? Auf jeden Fall hat er viel gelernt. Wenn man ihn lässt, kann er schließlich fast alles, vor allem wenn es mit Maschinen zu tun hat. Das geht über seine Berufsbezeichnung als Chemiker weit hinaus. Ob er wohl wieder einen neuen Job findet, wenn hier alles vorbei ist? Seltsamer Typ, dieser Igor, aber irgendwie mag ich ihn.

"Ich fahr dann mal wieder. Muss Geld verdienen. Pass gut auf den Laden auf, Igor!"

"Hm. Sonntag Nachmittag ist Treffen. Siegfried und Martin kommen."

"Ok, dann komme ich auch", welch lange Rede für Igor. Hat ihn bestimmt Überwindung gekostet, so geschwätzig zu sein.

Die Virenjägerin

Geißeln der Menschheit. Die Kulturgeschichte der Seuchen
von Stefan Winkle

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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