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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 37


  
Schon am Gartenzaun wurde Fritz vom Hund der Familie Ganter begrüsst. Sonst sass dieser meistens in der warmen Küche, weil er schon hochbetagt war, aber an diesem Tag bewachte er anscheinend das Haus. Frau Ganter kam auch sogleich an die Tür und rief den Hund zu sich, bevor sie Fritz freundlich willkommen hiess.

Der Hund trottete folgsam ins Innere des Hauses und machte es sich sogleich auf einem Flickenteppich in der Nähe des Ofens gemütlich. Vom Aussehen her wirkte er richtig gefährlich, denn als Schäferhund-Wolfshund-Mischling hatte er beachtliche Ausmasse, vom Wesen her war er aber freundlich wie ein Schosshund, wenn auch sehr aufmerksam. Da Herr Ganter unterwegs war, hatte Frau Ganter ihn als Wächter nach draussen geschickt.

Als Frau Ganter erzählte, dass ihr Mann gerade die Dorfjugend trainierte, musste Fritz an seine eigene Kindheit denken, als er von Herrn Ganter das Jagen gelernt hatte. Das brachte ihn zum Schmunzeln. Weil er sowieso eine weitere Ausspährunde im Gefangenlager unternehmen wollte, und der Übungsplatz auf dem Weg lag, entschied sich Fritz zu einem kurzen Besuch der Trainingsgruppe.

Als er ankam, standen gerade alle Jugendlichen wie angewurzelt auf einer Stelle, einige davon ziemlich verrenkt. Dann hörte man es Klatschen und sofort liefen die Jugendlichen los bis es wieder klatschte, was sie wieder einfrieren liess. Fritz gefiel, was der alte Herr Ganter mit den Jugendlichen übte. Bei dieser Übung wurden gleich mehrere Fähgigkeiten geschult. Herr Ganter winkte Fritz freundlich zu und machte ihm mit Gesten klar, dass sie später bei ihm zuhause reden könnten. Anscheinend wollte er die Jugendlichen nicht aus der Konzentration bringen.

Fritz zog weiter in Richtung Vorstadt, um das Gefangenenlager weiter auszukundschaften. Die Anzahl der Gefangenen hatte seit dem Vortag stark zugenommen. Am inneren Rand der Zäune lagen einige übel zugerichtete Leichen. Die Männer wurden wieder gezwungen, Wehrübungen abzuhalten und die Frauen als Druckmittel schikaniert.

Bei der Beobachtung der patroullierenden Wachposten fiel Fritz auf, dass sie immer wieder an einem Ende ihrer Runde hinter einem Busch ausser Sicht gerieten, bevor sie wendeten und in die andere Richtung marschierten.

In einem günstigen Moment huschte Fritz zu dem Gebüsch, denn es interessierte ihn, was sich darin verbarg. Doch er hatte die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der der nächste Wachtposten das Gebüsch erreichen würde.

Plötzlich starrte er in ein fremdes Gesicht. Der fremde Mann hatte seinen Blick jedoch auf etwas anderes geheftet, darum entdeckte er Fritz nicht sofort, obwohl sich zwischen ihnen nur ein knapper Meter Gebüsch befand. Fritz hielt die Luft an und rührte sich nicht. Der Wachtposten holte umständlich eine Flasche Schnaps aus dem Gebüsch und trank einen Schluck. Anschliessend versteckte er die Flasche wieder, um sich wieder auf den Weg zu machen.

Sobald der Wachtposten das Gebüsch verlassen hatte, schlich Fritz so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone. Als er sich sicher war, weit genug weg zu sein, setzte er sich auf einen Stein und atmete tief durch. Das war ja gerade noch mal gut gegangen. In Zukunft würde er besser aufpassen müssen. Schliesslich nützte er niemandem, wenn er auch gefangen genommen würde.

Nachdem er eine Weile über den Vorfall nachgedacht hatte, wurde Fritz klar, dass diese Unsitte der Wachtposten eine gute Chance für die Befreiung der Gefangenen bot. Wenn alle Wachtposten den ganzen Tag über schluckweise Schnaps tranken, konnten die Befreier den Schnaps mit Schlafmittel versetzen und die Wachtposten dadurch ausser Gefecht setzen. Blieben nur noch die ganzen anderen Gangster. Fritz beschloss solange wie möglich das Geschehen zu beobachten.

Als es langsam dunkelte, sammelten sich die heimkehrenden Bandenmitglieder wie zuvor in der Kneipe. Wieder wurden sie am Eingang entwaffnet. Wieder schlich Fritz sich im Schutz der Dunkelheit zur Rückwand der Kneipe, in der Hoffnung etwas sehen zu können. Diesmal liess ein anderer Vorhang einen Spalt offen, doch leider konnte Fritz kaum etwas erkennen an dieser Stelle. Stattdessen untersuchte er das Äussere des Gebäudes noch gründlicher als zuvor. Um die Ecke gab es einen Eingang zum Keller, der aber gut verschlossen wirkte und ausserdem im Blickfeld der Wachtposten vor der Eingangstür lag. Das gesamte Gebäude wirkte relativ hoch, zumindest höher als für eine ebenerdige Kneipe nötig wäre. Hier taten sich mehr Fragen als Antworten auf.

Grübelnd zog Fritz sich zurück und machte sich auf den Heimweg. Die Ganters würden bestimmt schon auf ihn warten. So war es auch. Herr Ganter wirkte leicht besorgt, als er Fritz die Tür öffnete und auch der Hund leckte Fritz ausgiebig die Hand ab, bevor er ihn durchliess. Der Küchentisch war so voll besetzt, wie noch nie zuvor, seit Fritz regelmässig herkam. Fritz erkannte fünf der alten Männer von der Dorfwehr und eine der Mütter, die die Überwachungsaktivitäten der Jugendlichen überwachten. Sie diskutierten gerade eifrig die Details des Dorfschutzes. Natürlich wollten alle wissen, was Fritz erfahren hatte, was Fritz auch gerne berichtete.

Bei der Erwähnung der Schnaps-Unsitte bei den Wachtposten bot Frau Ganter ein paar Schlaftabeltten an und erwähnte, dass wohl die meisten älteren Frauen ein paar Schlaftabletten spenden könnten.

Einer der Männer schlug vor, den Bürgermeister zu fragen, was den Aufbau der Kneipe anging. Der Bürgermeister sei früher beim Bauamt gewesen und könnte ihm bestimmt weiterhelfen.

Also plante Fritz für den nächsten Abend einen Besuch beim Bürgermeister. Tagsüber wollte er sich lieber nicht in die Stadt wagen, um nicht selbst gefangengenommen zu werden. Fraglich war natürlich, wo er den Bürgermeister finden würde. Infrage kamen das Rathaus, das Haus des Bürgermeisters, das Haus seines Sohnes und ein Gartengelände etwas ausserhalb.

Zuerst nahm Fritz sich das Rathaus vor, obwohl er eigentlich nicht erwartete, den Bürgermeister dort anzutreffen, aber das Rathaus lag auf dem Weg und so bot es sich an, dort zuerst nachzusehen. Die Türen des Rathauses hingen zerbrochen in ihren Angeln und im Erdgeschoss waren auch alle Fenster zerbrochen. Falls er den Bürgermeister nicht finden sollte, könnte er vielleicht durch eines der Fenster einsteigen und nach den Plänen der Kneipe suchen, aber das wäre bestimmt ein langwieriges Unterfangen.

Das Haus des Bürgermeisters stand dunkel und verwaist in einer Strasse, durch die Fritz die Plünderer schon oft hatte ziehen sehen. Drei Strassenzüge weiter befand sich das Haus seines Sohnes, vielleicht hatte sich der Bürgermeister dorthin geflüchtet, als sein Haus in Gefahr geriet. Die Tür des Hauses war mit Holzplatten verschlossen und die Rolladen heruntergelassen, Fritz konnte jedoch einen schwachen Lichtschimmer hinter den Rolladen erahnen. Also ging er am Haus vorbei auf der Suche nach einem Hintereingang. Die Terassentür wurde zwar auch durch einen Rolladen geschützt, aber auch hier schimmerte schwaches Licht und Fritz hörte gedämpfte Stimmen.

Fritz klopfte an den Rolladen der Terassentür und rief: "Hallo, Herr Schmidteisen? Herr Bürgermeister?".

Von innen kam ein erschreckter Schrei und eine Stimme rief: "Verschwinden Sie. Lassen Sie uns in Ruhe."

Fritz rief zurück: "Ich will Ihnen helfen. Ich heisse Fritz Burkhardt und habe oben am Berg ein altes Haus.".

"Was wollen Sie?", kam die Antwort von drinnen.

"Wir wollen die Gefangenen befreien und die Gangsterbande festsetzen. Dazu bräuchte ich ein paar Informationen von Ihnen.", antwortete Fritz.

"Hm, Informationen wollen Sie? Und wer sagt mir, dass ich Ihnen vertrauen kann?", fragte die Stimme.

"Herr Ganter und seine Jagdfreunde haben mich zu Ihnen geschickt. Wir bewachen zusammen unser kleines Dorf.", versuchte es Fritz mit seinen besten Referenzen.

"Ah, Herr Ganter. Also gut. Kommen Sie näher.", beschloss die strenge Stimme.

Der Rolladen wurde etwa einen halben Meter hochgezogen. Fritz musste sich darunter durchzwängen, was der Hausherr wohl für eine gute Massnahme hielt, um ihn gegebenenfalls niederschlagen zu können, falls Fritz doch nicht freundlich gesinnt sein sollte. Fritz fand diese Massnahme sehr wirksam, denn es schien ihm ziemlich entwürdigend, auf allen Vieren kriechend, vom Rolladen eingeklemmt, seinem bisher unbekannten Gastgeber zu begegnen.

Sein Gastgeber erwies sich als ein hochgewachsener Mann, der die sechzig schon deutlich hinter sich gelassen hatte. Anscheinend gab es überall nur noch Alte und Kinder, ausser im Gefangegenlager. Fritz stellte sich noch einmal vor, ausserdem begrüsste er die Dame des Hauses und die beiden Kinder, die sich an ihre Grossmutter drängten.

"Nun denn, setzen Sie sich her und erzählen Sie, was Sie auf dem Herz haben.", schlug Bürgermeister Schmidteisen vor.

"Wissen Sie, dass in der Vorstadt eine Gangsterbande haust, die viele Stadtbewohner gefangengenommen hat?", fragte Fritz einleitend.

"Wir haben es zumindest geahnt. Nachdem mein Sohn und seine Frau von ihrem Versuch Essen zu beschaffen nicht mehr wiedergekommen sind, haben wir schon Schlimmes befürchtet. Und als wir dann erfahren haben, dass es vielen Nachbarfamilien ähnlich ergangen ist, ist die Befürchtung fast zur Sicherheit geworden. Und Sie wollen gegen diese Gangster kämpfen? Mit dem alten Herrn Ganter?", berichtete der Bürgermeister.

"Ja, wir wollen die Gangster unschädlich machen und die Gefangenen befreien. Herr Ganter und seine Freunde werden wohl mithelfen und auch die Jugendlichen unseres Dorfes, aber in grosse Gefahr möchte ich sie möglichst nicht bringen.", erzählte Fritz. "Was ich bräuchte, wäre ein Bauplan der Kneipe in der Vorstadt.".

"Einen Bauplan brauchen Sie also, hm. Ich erinner mich genau, denn den Bauantrag hab ich damals genehmigt. Aber an den Plan kommen wir kaum ran ohne grössere Gefahr. Mal sehen, was ich noch im Kopf hab.", bei diesen Worten holte der Bürgermeister ein Blatt Papier und einen Bleistift.

"Also hier, so ungefähr sieht der Grundriss des Hauses aus. Da haben wir Eingang, Küche, Toiletten und den Tresen. Der Rest ist Gastraum. Ach ja, und dann gab es noch diese Besonderheit. Rundherum gibt es eine Empore. Die ist für zusätzliche Tische gedacht, wenn viel los ist. Aber der Aufgang liegt irgendwie ungünstig bei den Toiletten und die Kneipe war selten voll genug, sodass die Empore wohl kaum genutzt worden ist. Den Kellereingang haben Sie bestimmt schon gesehen. Nur die Hälfte des Gebäudes ist voll unterkellert, sehen Sie, hier unter den Wirtschaftsräumen und noch ein Teil des Gastraumes. Ein Aufgang führt in die Küche. So, das wäre wohl das Wichtigste. Ob Ihnen das wohl weiterhilft?", beendete Herr Schmidteisen seine Ausführungen.

"Oh, ja sehr. Das ist wunderbar. Damit werde ich bestimmt weiterkommen. Nun zu Ihnen. Sind Sie hier halbwegs versorgt?", bedankte sich Fritz und wechselte das Thema.

"Tja, nun ja, gut versorgt ist was anderes. Darum wollte mein Sohn und seine Frau ja etwas zu essen besorgen.", etwas verlegen druckste der Bürgermeister herum.

"Sie haben also gar nichts mehr zu essen?", fragte Fritz entsetzt und kramte zwei Doppelpackungen Fruchtriegel aus seinen geräumigen Westentaschen. Solche Riegel trug er jetzt immer mit sich, denn er wusste nie, wann er das nächste Mal zuhause sein würde, um eine richtige Mahlzeit einzunehmen. Er pries den Tag an dem er in seinem jugendlichen Überschwang eine Unmenge dieser Riegel für seinen Notvorrat eingekauft hatte.

Die Bürgermeister-Familie war ganz verlegen, aber auch erfreut über diese kleine Essensgabe.

"Vielleicht sollte ich Ihnen noch heute nacht noch was ordentliches zu Essen bringen. Oder, hm, - wissen Sie was? Am besten kommen Sie alle vier mit mir hinauf in unser Dorf. Dort sind Sie sicher und es gibt genug zu essen. Platz habe ich auch noch für vier Personen. Und wenn Ihr Sohn dann wieder frei ist, wird sowieso wieder alles besser.", schlug Fritz spontan vor.

"Das ist zweifellos ein sehr grosszügiges Angebot. Mathilda, was hältst du davon?", wandte sich Herr Schmidteisen an seine Frau.

"Ich wage mich zwar kaum aus dem Haus, aber wenn der junge Mann da sagt, im alten Dorf ist es sicherer, dann will ich das Wagnis gerne auf mich nehmen, schon allein der Kinder wegen.", antwortete die Frau nach kurzer Bedenkzeit.

"Ok, dann ist das geklärt. Haben die Kinder vielleicht kleine Rucksäcke für ein paar Kleider und Lieblingsspieltiere? Und vielleicht für Sie auch?", übernahm Fritz das Kommando.

"Ja, die Rucksäcke sind sogar schon gepackt und unsere Taschen haben wir schon bei unserer Flucht hierher benutzt. Geben Sie mir fünf Minuten.", sagte Frau Schmidteisen.

"Fünf Minuten sind in Ordnung. Euch Kindern will ich sowieso noch erklären, was auf euch zukommt. Wollt ihr wissen, was wir jetzt spannendes erleben werden?", fragte Fritz die Kinder.

"Ja.", kam die Antwort unisono, wenn auch etwas schüchtern.

"Wart ihr schon mal oben im kleinen Dorf?", fragte Fritz.

"Ja, da sind wir schon öfters mit unserm Opa hingegangen.", sagte das Mädchen, das Fritz auf etwa acht Jahre schätzte.

"Gut, da wollen wir jetzt hingehen, denn da hab ich ein grosses Haus mit leckerem Essen und da braucht ihr keine Angst vor den bösen Männern haben. Damit wir da gut hinkommen und uns die bösen Männer unterwegs nicht fangen, müssen wir einen Umweg machen und ganz leise sein. Habt ihr schon mal Indianer gespielt und habt euch irgendwo ganz leise angeschlichen?", versuchte Fritz, das heikle Thema kindgerecht zu verpacken.

"Ja.", rief der kleine etwa sechsjährige Junge begeistert. "Und dann haben wir ganz laut geschossen.".

Fritz stöhnte innerlich auf, versuchte aber, es sich nicht so sehr anmerken zu lassen. "Ok, beim Spielen war das laut schiessen bestimmt ganz lustig, aber wir müssen die ganze Zeit über ganz leise sein. Und das ist superwichtig - ernsthaft superwichtig. Habt ihr das soweit verstanden?".

Beide nickten.

"Also gut, dann üben wir das jetzt mal. Wir gehen jetzt ganz leise und zügig durchs Wohnzimmer und wenn ich so mache," dabei machte Fritz eine entsprechende Geste, "dann duckt ihr euch sofort. Und so zeige ich euch, wenn ihr euch irgendwo verstecken sollt.".

Ein paar Minuten lang ging Fritz mit den Kindern möglichst leise im Wohnzimmer auf und ab und liess sie sich mehrmals ducken oder verstecken. Als er den Eindruck hatte, dass die Kinder das Wesentliche begriffen hatten, waren die Grosseltern auch schon bereit für den Aufbruch.

Dank der Vorbereitung gelang es den Kindern tatsächlich erstaunlich leise ihren Weg anzutreten. Beim steilen Stück wurde deutlich, dass alle seit Tagen nichts oder nur wenig gegessen hatten, denn der Aufstieg fiel ihnen schwer. Daher nahm Fritz den Jungen auf die Schultern und das Mädchen und die Frau an die Hand und half ihnen beim Erklimmen der Anhöhe.

Zuhause angekommen, gab er allen erstmal einen Riegel BP5-Notnahrung, weil diese sehr gut geeignet ist, um einen ausgehungerten Magen wieder an Essen zu gewöhnen. Während seine Gäste an ihren Riegeln knabberten, kochte er eine leichte Nudelsuppe und verdünnten Kakao als Mahlzeit zum Eingewöhnen. Auf die fragenden Blicke seiner Gäste hin erklärte er ihnen, dass sie gerne auch festere Nahrung bekommen könnten, wenn sie die erste Mahlzeit gut vertragen hatten.

Die Grossmutter verstand sofort, was Fritz damit meinte und auch der Bürgermeister nickte andächtig. Wahrscheinlichkeit hatten sie die Nachkriegszeit am eigenen Leib erlebt. Die Kinder freuten sich sowieso über Nudelsuppe ud Kakao. Nach dem Essen wollten sie unbedingt noch welche von den "hellen Keksen" haben. Das zeigte Fritz, dass er die richtigen Nahrungsmittel für seine ausgehungerten Gäste ausgewählt hatte.

Seine Gästezimmer waren ziemlich schlicht, aber jedes hatte Platz für zwei Schläfer. So waren seine Gäste auch sehr zufrieden, als sie sich nach kurzer Zeit zum Schlafen zurückzogen.

Am nächsten Morgen nahm der die ganze Familie mit zu den Ganters, um gemeinsam zu beraten, wie es weitergehen sollte. Die Kinder wurden von Frau Ganter zu anderen Kindern gebracht, bei denen es lustiger war, als bei pläneschmiedenden Erwachsenen.

"Ich bräuchte eine Schusswaffe, mit der ich möglichst geräuschlos aus zirka zehn bis zwanzig Meter Entfernung drei Ziele schnell hintereinander treffen kann. Da ich kein Meisterschütze bin, wären mir zehn bis zwölf Schuss nicht unrecht.", sagte Fritz in die Männerrunde.

"Merkwürdige Waffe, die Sie da wollen.", sagte Herr Ganter. "Wie wärs mit einer Armbrust, wenns geräuschlos sein soll?".

"Eine Armbrust?", fragte Fritz entgeistert.

"Ja, eine Armbrust, ist geräuschloser als normale Gewehre und schiesst sehr präzise, wenn man damit umgehen kann. Ich könnte Ihnen eine zur Verfügung stellen. Und auch zeigen, wie es funktioniert.", endete Herr Ganter mit einem verschmitzten Grinsen.

Gesagt, getan.

Während Frau Schmidteisen sein Haus in ein gemütliches kleines Schmuckstück verwandelte und für regelmässige Mahlzeiten sorgte, die nach Fritz Einschätzung sehr vorratsschonend aber lecker waren, und die alten Männer zusammen mit den Jugendlichen das Dorf bewachten, übte Fritz das Schiessen mit der Armbrust und kundschaftete immer wieder die Vorstadt aus.

Er zählte sogar die Anzahl der Flaschen Schnaps, die die Wachtposten täglich tranken, beobachtete, ob der Keller jemals geöffnet wurde, wie der Tagesablauf war. Dabei wurden die Gefangenen von Tag zu Tag mehr und sahen täglich elender aus.

Mit den Frauen besprach er, wie man eine erste notdürftige Verpflegung und Versorgung der Gefangenen durchführen könnte. Er selbst spendete zwanzig Kilo Spaghetti, die kleingebrochen eine sehr gute Suppeneinlage darstellten. Die grosse Kochaktion sollte jedoch erst beginnen, wenn die Befreiungsaktion erfolgreich beendet wäre, um nicht zu riskieren, möglicherweise umsonst wertvolle Vorräte zu verkochen.

Endlich waren die Vorbereitungen abgeschlossen und Fritz beschloss zusammen mit dem inzwischen gebildeten Ältestenrat, dass am nächsten Abend die Befreiung stattfinden sollte.

Für Fritz begann der erste Teil der Aktion schon vor dem Morgengrauen, denn nur zwischen fünf und sechs Uhr morgens war um die Kneipe herum alles totenstill. Als er sich sicher war, dass alle in ihren Betten waren, schlich er zum Kellereingang. Mit seinen kleinen Handwerkzeugen öffnete er fast geräuschlos die Tür und schloss sie wieder hinter sich.

Der Keller war bis unter die Decke angefüllt mit Vorräten aller Art. Fritz arbeitete sich vorsichtig bis zur Empore vor. Auch diese war mit Vorräten so vollgestellt, das nur ein schmaler Gang zum Durchgehen blieb. Fritz suchte sich eine strategisch günstige Stelle, an der er tagsüber nicht auffallen und abends gut schiessen konnte. Dort musste er den ganzen Tag über reglos verharren, bis der Moment zum Handeln gekommen sein würde.

Irgendwann, Fritz war es schon wie eine Ewigkeit erschienen, füllte sich der Raum mit Menschen. Seine aus alten Männern, Frauen und Kindern zusammengewürfelte Entermannschaft müsste jetzt schon komplett auf ihren Plätzen sein.

Der Leiter der äusseren Befreiungsaktion war natürlich Herr Ganter, denn als Jäger war er für so einen Einsatz der geeignetste Mann.

Laura hatte eine besonders wichtige Aufgabe bekommen. Sie sollte auf einen Baum klettern, der so günstig gelegen war, dass man von ihm aus einen guten Blick sowohl auf die Vorstadt, als auch auf die Kirche im benachbarten Ortsteil und eine relativ sichere Stelle im Wald hatte, wo ein Grossteil der Helfer in sicherer Entfernung wartete. Mit einer Blinklampe sollte sich Zeichen geben und so die Aktion koordinieren.

Fritz hätte gerne an Lauras Stelle gesessen und das ganze Geschehen mit eigenen Augen gesehen.

Laura sah, wie Kathie, eine mutige Mutter, deren Sohn schon sechzehn war und die sich daher entbehrlicher fühlte als die meisten anderen der Mütter, das Schlafmittel in die Schnapsflasche der Wachtposten füllte. Aufgrund der grossen Gefährlichkeit dieser Aktion hatte Kathie das Schleichen zum Gebüsch tagelang geübt. Da auch ihr Mann möglicherweise zu den Gefangenen gehörte, war sie hochmotiviert.

Als Laura sah, dass Kathie sich erfolgreich wieder ins sichere Unterholz zurückgezogen hatte, gab sie das vereinbarte Signal. Das Nachtsichtgerät half ihr enorm auch im Dämmerlicht genug zu erkennen, um ihre Aufgabe gut zu erfüllen.

Sie erkannte die Gruppe der Kämpfer, die nur wenige hundert Meter vom Gefangenenlager entfernt im Unterholz sassen. Die Auswahl der Leute hatten Fritz und Herr Ganter sehr sorgfältig getroffen, damit noch genug kräfitge und vernünftige Männer oder Jugendliche übrige bleiben würden, falls die Befreiungsaktion fehlschlagen sollte.

Die Wachtposten der Gefangenen gingen immer weiter auf und ab. Laura konnte deutlich erkennen, wie sie immer wieder im Gebüsch verschwanden, um einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. Sie hoffte sehr, dass die Dosis Schlafmittel richtig bemessen war. Irgendwann setzte sich einer der Wachtposten auf einen Holzklotz, der in Zaunnähe stand. Er hielt sich am Zaun fest, um nicht umzufallen, was ihm aber nicht gelang. Endlich war auch der andere Wachtposten soweit. Zuerst taumelte er, dann fiel er der Länge nach auf den Boden.

Laura gab das vereinbarte Zeichen. Sie sah, wie die Kämpfertruppe aus dem Unterholz brach und die Wachtposten fesselte. Den Gefangenen machten sie Zeichen, damit diese schweigen sollten, um die Befreiung nicht zu gefährden. Die Frauen und geschwächten Männer wurden sofort in Richtung Wald geführt, wo in sicherer Entfernung viele weitere Helfer mit einer ersten warmen Brühe und Decken warteten.

Als Laura erkannte, dass der erste Teil der Aktion erfolgreich abgelaufen war, gab sie das Zeichen in Richtung Kirchturm. Dort wartete der Bürgermeister auf ihr Signal, um die Glocken zu läuten.

Fritz hörte das vereinbarte Glockenzeichen und musste sich zusammenreissen, um nicht laut aufzujubeln. Jetzt ging es um die Wurst. Denn nur wenn er auch erfolgreich war, wäre die Gefahr für seine Stadt gebannt.

Im Klang der Glocken, der die Feiernden unter ihm nicht zu beeindrucken schien, erhob er sich und brachte seine Armbrust in die richtige Position. Er zielte genau, seine Armbrust auf den Kopf des Gangsterbosses gerichtet.

Dann schoss er. Lautlos sirrte der Pfeil nach unten und traf den Arm des Gangsterbosses, weil dieser ihn gerade in diesem Moment hochgehalten hatte. Der Gangster schrie auf, griff sich an den Arm und sein Leibwächter schaute sich um, auf der Suche nach der Quelle des Schusses.

Tumult brach aus. Fritz war ganz verzweifelt. "Oh, Mist. Ich hab es vermasselt.", dachte er kurz, aber dann spannte er seine Armbrust für den nächsten Schuss, zielte und schoss dem Gangsterboss direkt ins Herz.

Mit dem nächsten Schuss erledigte er den persönlichen Leibwächter und anschliessend den Wächter an der Tür.

In diesem Moment wurde glücklicherweise die Kneipentür aufgerissen und Herr Ganter stürmte mit erhobenem Gewehr in den Raum. Seine erste Aufmerksamkeit galt dem Tisch, auf dem die Waffen der Gangster gesammelt wurden, sobald diese die Kneipe betraten. Sobald die Waffen in sicherem Gewahrsam waren, widmeten sich Herr Ganter und seine besten Freunde der Festnahme der völlig überraschten Gangsterbande. Ohne ihren Chef waren sie so verwirrt, dass sie sich nahezu anstandslos festnehmen liessen.

Auch Fritz hatte inzwischen den Gastraum erreicht. Er half beim Fesseln der Männer und arbeitete sich nach und nach bis zum Zentrum seiner Verwüstungen durch. In anderen Zeiten würde er für seine Tat lebenslang hinter Gittern sitzen müssen und jetzt war er sich der Gratulation durch den Bürgermeister sicher. Das war alles sehr merkwürdig.

Als er sich dem Tisch des Gangsterbosses näherte, schälten sich mehrere leichtbekleidete Frauen aus der Menge. Eine der Frauen erkannte er, denn er hatte die rothaarige Schönheit gesehen, als sie gefangengenommen worden war.

Doch beim Anblick einer anderen stockte ihm der Atem. Das war die kleine Blonde aus seinem abenteuerlichen Traum. Sie sah ganz genau so aus wie im Traum. An ihrem schmalen Handgelenk baumelte ein Korallenarmband. Sein Korallenarmband.

"Danke.", sagte sie mit bezaubernder Stimme. "Danke dass du uns vor diesem Ungeheuer gerettet hast.".

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