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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 36


  
Die Befreiung der Häuserblocks erwies sich als einfacher als zuvor gedacht. Die meisten der vermeintlichen Plünderer, die sich in den Häusern festgesetzt hatten, hätte man eher als traurige Flüchtlinge bezeichnen können. Sie waren richtig erleichtert, als endlich jemand kam, der sagte, wo es lang geht. Die grösste Schwierigkeit bestand darin, genügend Wasser und Essen herbeizuschaffen, um die hungrigen Hausinsassen zu versorgen.

Einige der Leute, die sie in den Häusern fanden, waren so geschwächt, dass sie sofort ins Lazarett gefahren werden mussten. Ein sehr grosser Anteil der Hausinsassen sass sogar in der eigenen Wohnung und wartete darauf, dass die Zeiten sich wieder bessern.

Als sich herumsprach, dass die Strassen nach und nach befreit werden, glich der Einzug der Soldaten einem Triumphzug. Statt Waffen brauchten sie jede Menge Gulaschkanonen. Nach kurzer Zeit kamen ihnen die Bewohner der Häuser schon entgegen, wenn sie eine neue Strasse in Angriff nahmen.

Der innere Bereich der Stadt war nach wenigen Tagen "befriedet", bis auf wenige Widerstandsnester, wo sich echte Plünderer in Einkausfzentren verschanzt hatten. Diese Nester wurden zunächst von aussen bewacht, damit keiner der Plünderer in der Stadt sein Unwesen treiben konnte. Da die Soldaten kein unnötiges Blutbad anrichten wollten und die Plünderer im Innern der Einkaufszentren scharf schossen, wenn man versuchte, sie aus den Gebäuden zu holen, blieb den Soldaten nichts anderes übrig, als draussen zu warten, bis die Plünderer die Lust verloren, in ihren Löchern zu hocken. Bei der ersten Plünderergruppe hatte schon ein Tag Warten gereicht, dann kamen sie freiwillig raus, weil ihren Zigaretten und Alkoholika ausgegangen waren. Die meisten hatten einen argen Kater und waren erleichtert, als sie in ein bewachtes Zeltlager nahe einer Kaserne gebracht wurden.

Im englischen Garten wurden etliche Tote gefunden. Einige waren an Unterkühlung gestorben, andere hingegen durch bewaffnete Auseinandersetzungen. Die Soldaten fanden auch eine grössere Anzahl von schlecht versteckten Zelten in Tarnfarben, bestückt mit Handwaffen aller Art und teilweise zerfetzten Notfallrationen. Viele der mutmasslichen Zeltbesitzer lagen ermordetet bei ihren Zelten, andere wurden lebendig, aber völlig verstört im Unterholz gefunden. Bis zur Klärung der Vorgänge wurden sie in ein extra Zelt im Plünderer-Lager gebracht.

Ein neues Problem stellten die Flüchtlingsströme dar, die aus dem Umland in die Stadt kamen. In aller Eile mussten Aufanglager an den Haupt-Ortseingängen aufgebaut werden, damit die Flüchtlinge gar nicht erst orientierungslos durch die Stadt streifen mussten.

Die ursprünglichen Bewohner des Lagers auf der Wiesn konnten zwar nach und nach wieder in ihre Wohnungen ziehen, aber dennoch musste das Lager wegen der externen Flüchtlinge weiter ausgebaut werden. Material zum Aufbau von Zelten wurde inzwischen sehr knapp, wie fast alle Materialien, daher entschlossen sich die Leiter der Lageraufbau-Abteilung, die Ulli gegründet hatte, lieber gleich Holzhäuser zu bauen, die man im Winter eher heizen konnte, als Zelte.

Auf der Theresienwiese war also rege Bautätigkeit im Gange. Die Neuankömmlinge hatten das Prinzip der freiwilligen Arbeit wie selbstverständlich aufgegriffen und ersetzten die ausfallenden Helfer, die wieder in ihren Wohnungen lebten. Auch in den Häuserblocks war das Prinzip der freiwilligen Mithilfe übernommen worden, denn es gab viel zu tun, um das Leben einigermassen erträglich zu machen und die meisten Arbeitsplätze waren sowieso ausser Funktion.

Ulli war viel unterwegs, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Da das Zeltlager inzwischen auch ohne ihn reibungslos funktionierte, er aber an vielen anderen Stellen gebraucht wurde, hatte er ein Büro in der Stetten-Kaserne mit Notebook und Funkanschluss bezogen. Dort traf er Leute zum persönlichen Gespräch, hielt Konferenzen ab, aber vor allem war er damit beschäftigt, anhand der eingehenden Informationen ständig neue Entscheidungen zu treffen. Die Neuorganisation der Stadt war ein logistischer Albtraum.

Problematisch war immer wieder die Organisation von genügend Nahrungsmitteln für alle Stadtbewohner. Alle Lager, in denen Nahrungsmittel aufbewahrt wurden, mussten überprüft werden und sofern die Besitzer zu ermitteln waren, Verhandlungen über den Preis geführt werden. Leider war die Art der vorhandenen Vorräte nicht sehr vielfältig, sodass sich die Köche in den Gemeinschaftsküchen viel einfallen lassen mussten, um ein ausgewogenes Essen anbieten zu können. Auf der Suche nach Nahrungsmitteln waren auch Trupps im Umland unterwegs, die die Landwirte abklapperten. Leider waren die Ernten schon weitgehend vorher verkauft worden und von den Resten musste die Landbevölkerung durchgefüttert werden. Daher war die Ausbeute dieser Einkaufszüge geringer als erhofft.

Wenn er daran dachte, wie reibungslos die Verteilung der Nahrungsmittel sonst geschah, gewann Ulli eine ordentliche Portion Respekt vor den Logistikern. Natürlich war der Verteilungsprozess im Laufe der Zeit herangewachsen und jetzt musste alles aus dem Boden gestampft werden, aber normalerweise gehörten auch noch Gemüse, Obst und frische Milchprodukte zum Sortiment. Das versuchte Ulli gar nicht erst. Glücklicherweise hatten sich bei den freiwilligen Helfern auch einige Profis im Bereich Lagerhaltung und Transport eingefunden. Das half enorm, vor allem konnte Ulli mithilfe dieser Leute Kontakte zu den Lagerbesitzern knüpfen.

Anstelle eines Handies, um all die vielen Leute anzurufen, mit denen er Kontakt aufnehmen wollte, standen Ulli zehn Boten zur Verfügung, die den ganzen Tag mit Botschaften durch die Stadt flitzten. Ulli fühlte sich wie der Manager einer grossen altmodischen Firma. Eigentlich war er ja viel zu jung und unerfahren für so eine komplexe Aufgabe, aber irgendwie gelang es ihm sehr gut, das Gesamtbild der Situation im Kopf zu haben und schnelle passende Entscheidungen zu treffen.

Der Bürgermeister von München war inzwischen auch aufgetaucht. Bei seinem Erscheinen hatte Ulli zunächst erwartet, dass dieser die Hauptorganisation übernehmen würde, aber der Bürgermeister war von der chaotischen Situation ziemlich überfordert, weil sie so völlig anders war, als die Stadt, die er gewöhnt war. Er arbeitete zwar offiziell wieder als Bürgermeister, beschäftigte sich aber eher mit den Fragen, die keine schnellen Entscheidungen erforderten. Ulli war jedoch ziemlich erleichtert, jemanden in der Nähe zu wissen, der sich mit den ganzen Details einer Stadtverwaltung auskannte, ausserdem fühlten sich viele der Leute, die auf grossen Lagervorräten sassen, sehr geehrt, wenn sie einen persönlichen Termin beim Bürgermeister bekamen. Nach diesen Besuchen waren sie meistens mehr als willig, ihre Lager für das Wohl der Stadt München zu öffnen.

Mit den Vorratslagern, die sie inzwischen in München verfügbar gemacht hatten, würden die Stadtbewohner zwar wenige Wochen auskommen können, aber Ulli war klar, dass er genügend Nahrung bis zum nächsten Sommer würde organisieren müssen. Irgendwo würden die Nahrungsmittel doch sein, die im Winter gegessen werden sollten. Mal wieder ärgerte er sich, dass er sowenig darüber wusste, wie der Weg der Nahrungsmittel normalerweise war. Auch im verfügbaren Informationsmaterial liess sich nicht viel finden. Am brauchbarsten waren noch die Telefonbücher. Die Leiter von Supermärkten hatten überhaupt keine Ahnung woher die üblichen Lieferungen wirklich kamen und die Zwischenlager waren längst verbraucht oder verplant. Die Konzernleitungen waren natürlich nicht zu erreichen, weil sie sich irgendwo weit weg befanden und wahrscheinlich um ihr eigenes Überleben kämpften.

Ein grosser Nahrungsmittelproduzent in der Nähe war jedoch fast allen bekannt: Die Molkerei Weihenstephan bei Freising. Der Bürgermeister wies bedauernd darauf hin, dass diese Grossmolkerei leider Ende des letzten Jahrtausends von der Stadt München verkauft worden war. Sonst wäre es ein leichtes gewesen, die Kooperation der Molkerei einzufordern. Stattdessen mussten sie sich jetzt einfallen lassen, was sie den Weihenstephanern anbieten konnten, damit diese Milch an München liefern würden.

Eine Abordnung wichtiger Organisatoren sollte nach Freising fahren, um in Verhandlungen mit der Molkerei zu treten. Ausser Ulli und dem Bürgermeister war auch ein Vorstandsmitglied der Münchner Sparkasse dabei, um finanzielle Zusagen machen zu können. Der Bankvorstand war am Tag zuvor in seiner Villa "gerettet" worden. Jetzt war er sichtlich erleichtert, das tun zu können, womit er sich auskannte, anstatt rund um die Uhr seine Familie beruhigen zu müssen, die voller Angst vor Plünderungen in der Villa festgesessen hatte. Für die Organisation der Stadt war dieser Mann ein Segen, denn so konnten die verschiedenen Aktionen auch finanziell abgesichert werden.

Die Fahrt nach Freising wurde zu einem kleinen gesellschaftlichen Ereignis, denn es war zugleich die erste offizielle Fahrt der Diesellok, die Tom Ngori und sein Team zum Laufen gebracht hatten. Mithilfe dieser Lok sollte fortan ein regelmässiger Zugverkehr zwischen München und Freising aufgenommen werden. Geplant war eine Fahrt alle zwei Stunden. Nachts sollten vor allem Güter transportiert werden und tagsüber vorwiegend Menschen.

Für Ulli war Tom Ngori sowieso der grösste Held der Rettung Münchens. Er hatte nicht nur die erste Wasserversorgung wieder in Gang gebracht, sondern auch noch die deutschen Ingenieure in die Geheimnisse seiner Improvisierkunst eingeweiht. Anschliessend konnten die Deutschen alleine weitermachen und Tom Ngori wendete sich anderen technischen Problemen zu. Im Laufe der Tage hatten sich auch immer mehr von seinen Landsleuten eingefunden, die fast genauso findig waren wie Tom, wenn es darum ging, einem kaputten Gerät wieder Leben einzuhauchen. Mit vereinten Kräften reparierten und unterrichteten sie, sodass an allen Ecken improvisierte Generatoren, Fahrzeuge und andere Maschinen wie Pilze aus dem Boden schossen. Ohne die Hilfe von Toms Team wären die meisten Bemühungen von Ulli zum kläglichen Scheitern verdammt gewesen.

Der Bahnhof war mit einigen roten Bändern geschmückt, was zwar bei weitem nicht mit den prunkvollen Dekorationen der Normalzeit mithalten konnte, aber angesichts der Krisensituation richtig feierlich wirkte. Sogar eine Kapelle stand bereit und schmetterte fröhlich einen Marsch, als der Bürgermeister zusammen mit Ulli und anderen Würdenträgern den Bahnhof betrat. Selbst Oberleutnant Wunsmann war zu diesem feierlichen Ereignis gekommen. Der Bürgermeister durchschnitt das obligatorische Band, woraufhin die Motoren der Diesellok angelassen wurden. Die ganzen geladenen Gäste nahmen in den Waggons des Zuges Platz, um die Jungfernfahrt mitzuerleben. Diese allererste Fahrt ging aber nur bis zum Bahnhof Laim, wo der Zug wendete und wieder zurück fuhr. Die meisten Gäste stiegen wieder aus, um auf festem Boden weiter zu feiern oder sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Nur Ullis Gruppe, einige Techniker und Soldaten zum Schutz fuhren wieder los, um nach Freising zu kommen. Auf diese Weise konnte ein feierlicher Akt zur Hebung der Allgemeinstimmung mit einem ernsthaften Auftrag kombiniert werden.

In Freising angekommen wurden sie schon von einem militärischen Voraustrupp begrüsst, der die Situation in Freising gesichert hatte, damit die Münchner Würdenträger ungefährdet bis zu ihrem Ziel kommen konnten. Auf mehrere Jeeps verteilt fuhren sie zuerst zur Molkerei. Dort erwartete sie ein älterer Mann in Begleitung eines jungen Soldaten.

"Gut, dass Sie kommen. Und Sie wollen jetzt wieder Ordnung in das Ganze bringen?", kam der Mann gleich zum Thema, nachdem sie drinnen an einem grossen Tisch Platz genommen hatten.

"Ja, genau, das haben wir vor. Sind Sie hier der Geschäftsführer?", Ulli war sehr froh, dass der Bürgermeister das Wort ergriffen hatte, denn der Molkerei-Mann war ein echtes bayrisches Urgestein und da passte ein würdiger Bürgermeister als Haupt-Gesprächspartner bestimmt am besten (wir lesen hier die deutsche Übersetzung der Dialoge).

"Ach die sind alle fortgerannt, die neuen Chefs, die sie uns vor die Nase gesetzt haben. Ich bin der letzte Abteilungsleiter, der hier die Stellung hält. Mir liegt die Molkerei halt am Herzen; schliesslich war ich schon vorher da, bevor Ihr in München uns verkauft habt.", der alte Groll war dem Mann noch deutlich anzumerken.

"Ja, das tut mir auch unendlich leid.", beeilte sich der Bürgermeister zu sagen. "Der Verkauf ihrer Molkerei war vor meiner Zeit, aber soviel ich weiss, blieb der Stadt damals nichts anderes übrig. Wir wollen jetzt neue Vereinbarungen mit Ihnen treffen, die der aktuellen Situation entsprechen.".

"Schon gut.", grummelte der Mann. "Was wollen Sie und was bieten Sie?".

"Gut gefragt. Kurze Antwort: Wir wollen Milchprodukte für unsere Bevölkerung und wir bieten Geld, Technik, Sicherheit und Leute.", sagte der Bürgermeister. "Doch zunächst mal wüssten wir gerne, wie bei Ihnen die Lage ist, um uns ein Bild von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten machen zu können.".

"Hier funktioniert natürlich nichts, was mit Elektronik zu tun hat. Wir haben noch ein paar alte Kessel, die wir mit Feuer betreiben können, aber damit schaffen wir natürlich keine grossen Mengen. Einige Bauern aus der Umgebung liefern regelmässig Milch hier ab, denn sie haben funktionierende Traktoren oder Benze und kleine Milch-Anhänger. Die Bewohner von Freising und Umgebung können wir damit halbwegs versorgen, aber nur mit ungekochter Rohmilch, die schnell verdirbt. Nur einen kleinen Teil der Milch könen wir verarbeiten. Ich weiss, ich weiss, das verstösst gegen tausend Vorschriften, wenn wir hier unbehandelte Rohmilch ausgeben, aber bevor die Leute verhungern, verstosse ich lieber gegen Verordnungen. Ausserdem habe ich einen Blick für anständige Milch, schliesslich arbeite ich seit bald fünfzig Jahren mit Milch. Wir geben den Leuten nur anständige Milch.", berichtete der Milchspezialist.

Er fuhr fort: "Das viel grössere Problem sind jedoch die Bauern, die keine Möglichkeit haben, ihre Milch bei uns abzuliefern, weil es ihnen an Fahrzeugen mangelt. Ausserdem gibt es enorme Probleme mit dem Melken, denn die ganzen Melkmaschinen sind ausgefallen. Ganz wenige Bauern haben noch alte Melkanlagen im Keller gehabt und ausserdem Notstromaggregate. Die sind jetzt fein raus, aber mehr als fünf bis zehn Kühe können die auch nicht versorgen. Die anderen Bauern sind rund um die Uhr am Melken, ein Grossteil der Dorfbevölkerung ist beim Melken eingespannt und etliche leiden jetzt schon unter Sehnenscheiden-Entzündungen. Ausserdem gibt es Probleme mit dem Winterfutter. Einen Teil haben die Bauern schon gelagert, aber das Kraftfutter wird nicht reichen und wegen des Getreides gibt es Streit mit den Menschen, die es selbst essen wollen. Dann kommt noch hinzu, dass wir zu unseren Bauern im Alpenvorland bisher keinerlei Kontakt haben. Wie Sie sehen, liegt also einiges im Argen.".

Der Bürgermeister nickte wohlwollend, sagte: "Hm, ja.", und gab das Wort mit einem Nicken an Ulli weiter. Damit hatte Ulli gerechnet, denn das war seine Aufgabe bei dieser und ähnlichen Begegnungen, dass er in Sekundenschnelle brauchbare Lösungsideen liefern sollte.

"Ok, das sind eine Menge komplexer Schwierigkeiten. Wir könnten das folgendermassen lösen: Aus unserem Technik-Team stellen wir Ihnen einige Leute zur Verfügung, die schon in München wahre Wunder bei der Reparatur von Maschinen vollbracht haben. Diese Leute können den Handwerkern hier in der Gegend zeigen, wie man das bei zerstörter Elektronik am schnellsten hinkriegt. Damit könnte man einen Teil ihrer Molkerei-Gerätschaften instandsetzen, ausserdem Fahrzeuge für den Milchtransport und einfachere Melkmaschinen-Modelle.

Für das weiterhin bestehende Handmelkproblem könnten wir Ihnen Freiwillige aus der Stadt schicken, vorausgesetzt, sie bekämen vor Ort Kost und Logis frei.

Mit dem Winterfutter müssen wir in den nächsten Wochen schauen, wieviel verfügbar gemacht werden kann. Wahrscheinlich werden die Bauern um einige Schlachtungen nicht herumkommen. Dazu müssen dan gesonderte Vereinbarungen getroffen werden, denn die Bevölkerung in München kann auch Fleisch sehr gut gebrauchen.

Im Alpenvorland wollten wir uns sowieso demnächst verstärkt umsehen. Da könnten wir einen Ihrer Mitarbeiter gebrauchen, der dann Kontakt zu Ihren Bauern herstellt. Ausserdem lässt sich möglicherweise eine Funkanlage hier bei Ihnen einrichten, mit der sie an ein allgemeines Informationsnetz angeschlossen wären. So das wärs erstmal als Grobvorschlag.", beendete Ulli seine Vorschlagsserie.

Mit den Vorschlägen waren alle Beteiligten fürs Erste einverstanden. Die Details sollten dann mit den jeweiligen Fachleuten besprochen werden.

Als nächste Station war ein Besuch der landwirtschaftlichen Universität geplant. Die verbliebenen Professoren freuten sich darüber, dass sich jemand speziell um sie kümmerte. Die Studenten waren alle unterwegs, um bei Bauern in der Umgebung oder auf ihren elterlichen Höfen bei der vielen Arbeit zu helfen. Dadurch wirkte der Campus fast wie ausgestorben.

Schon nach kurzem Gespräch wurde Ulli klar, dass er endlich auf den langvermissten Wissens-Fundus zum Thema Nahrung gestossen war. Er erfuhr, dass die anstehende Maisernte die Bauern vor grosse Personalprobleme stellen würde und versprach Freiwillige aus der Stadt. Ausserdem erfuhr er genau, wo Nahrungsmittel-Vorräte zu finden waren und an wen man sich für welche Fragen wenden konnte.

Die grösste Überraschung aber bot ein Plan zur Notversorgung ganz Bayerns mit den vorhandenen Vorräten und Produktionsmöglichkeiten, den die Wisenschaftler zusammen ausgetüftelt hatten. Eine Erweiterung des Plans sah sogar die teilweise Mitversorgung anderer Bundesländer vor. Die Problemstellen des Planes, die bisher die Ausführung verhindert hatten, deckten sich hervorragend mit den Möglichkeiten, die Ulli aus München mitgebracht hatte. Ulli bat einen der mitgefahrenen Techniker, ob er gleich hierbleiben würde, um anzufangen, den Plan in die Tat umzusetzen, was dieser gerne in Angriff nahm.

Auf der Fahrt zurück ging es Ulli nicht mehr aus dem Kopf, dass sich die Organisation des Lagers und anschliessend der Stadt München so schnell auf die Umgebung und sogar ganz Bayern ausgedehnt hatte. Ihm war das eigentlich mehr als eine Nummer zu gross, aber da er den Plan der Weihenstephaner gesehen hatte und wusste, wie man ihn umsetzen konnte, gab es für ihn eigentlich keine Wahl.

Das Beste an Ullis neuem Arbeitsplatz in der Stetten-Kaserne war natürlich, dass er Sarah dadurch jeden Tag sehen konnte. Tagsüber trafen sie sich bei den Mahlzeiten in der Kantine und auch an den meisten Abenden schafften sie es, sich zu einem Gespräch zu treffen.

So trafen sie sich natürlich auch am Abend nach Ullis Fahrt nach Freising. Sarah lauschte aufmerksam seinem Bericht, vor allem der Plan der Landwirtschafts-Wissenschaftler schien sie zu faszinieren. Ulli erzählte ihr auch davon, dass er Angst hatte, die Sache könnte ihm über den Kopf wachsen.

"Wie könnte es dir über den Kopf wachsen? Im Prinzip ist es für deine Arbeit doch fast egal, ob davon Tausende, Hunderttausende oder Millionen betroffen sind. Auch Tausende wären schon zuviel gewesen, wenn du die Arbeit ganz allein hättest tun müssen. Irgendwie wirkst du wie ein Katalysator, der Menschen und ihre Aufgabe zusammenbringt.", sagte Sarah.

"Ja, aber wenn ich falsche Vorschläge mache?", war Ulli immernoch besorgt.

"Du hast doch immer Fachleute um dich, die die letztendlichen Entscheidungen treffen. Und in einer Situation wie dieser ist es vielleicht sogar manchmal besser etwas Falsches als gar nichts zu tun.", sagte Sarah sehr überzeugend. Dabei gab sie ihm einen kühnen Kuss auf den Mund.

Ulli war erst ganz verwirrt, dann hoch erfreut und schliesslich leicht verlegen, weil er spürte, dass er rot anlief. Soweit waren sie bisher noch nicht gegangen. Es war zwar nur ein kurzer Kuss gewesen, aber immerhin auf den Mund.

An diesem Abend ging Ulli mit einem sehr warmen Gefühl im Bauch in sein Bett. Sarah schien ihn wirklich zu mögen. Wenn er nur nicht so schüchtern wäre.

Von seinem Arbeitsplatz aus hatte Ulli inzwischen Zugriff auf zwei verschiedene Netze. Da war einmal das Netz seiner Eltern und deren Freunde. Das wurde intern nur noch das "zivile Netz" genannt. Zum anderen gab es inzwischen auch schon ein militärisches Netz, das nach dem gleichen Prinzip arbeitete, aber andere Frequenzen benutzte. Innerhalb von Süddeutschland funktionierte es schon ziemlich gut.

Ulli besprach gerade mit dem Bürgermeister die weitere Vorgehensweise bei der Vorratsbeschaffung, als eine Eilmeldung aus dem zivilen Netz auf seinem Bildschirm erschien. Sie kam von einem gewissen Josh aus Berlin. Irgendwo hatte er schon mal von einem Josh gehört, aber er wusste nicht mehr wo. Die Meldung besagte, dass eine Räuberbande an einem Neckarübergang bei Ladenburg unschuldige Flüchtlinge gefangen nehmen und ausrauben würde.

Von den militärischen Operationen in der Umgebung kannte Ulli es schon, dass kriminelle Banden gemeldet und anschliessend bekämpft wurden. In so grosser Entfernung war dies jedoch neu. Ausserdem kam die Meldung ja aus dem zivilen Netz. Ulli überprüfte, ob das militärische Netz vergleichbare Meldungen hatte. Da dies nicht der Fall war, druckte er sich die Meldung von Josh aus und ging damit in den Funkraum.

Die dort anwesenden Funker wunderten sich nicht, dass das Heidelberger Militär bisher noch keine eigene Meldung erstattet hatte, denn diese hatten alle Hände voll zu tun, um in Heidelberg gegen das Chaos anzukämpfen. Also entschlossen sich Ulli und die Funker, den Soldaten in Heidelberg eine Meldung zu schicken, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Die Heidelberger antworteten recht schnell. Sie waren ganz erstaunt über die Nachricht, denn kurz zuvor hatten sie auch von einem Unbekannten einen Hinweis bekommen. Die Herkunft der Meldung konnten sie nicht nachvollziehen, bis auf die Tatsache, dass sie von keinem bekannten Militärstützpunkt kam. Die Heidelberger Soldaten entschlossen sich, einen Trupp auszuschicken, um sich die Situation an der Ladenburger Neckarbrücke anzuschauen.

Etwa sechs Stunden später erhielt Ulli die Nachricht, dass die Soldaten tatsächlich eine Räuberbande und über hundert Gefangene entdeckt hatten. Die Räuber waren gefangengenommen und die Gefangenen waren versorgt worden, sodass sie am nächsten Tag weiterziehen konnten.

Nach diesem Ereignis kam es öfter vor, dass Ulli Rettungseinsätze im gesamten süddeutschen Bereich koordinierte.

Als Ulli mal wieder zu später Stunde in seinem Zimmer sass und darüber nachgrübelte, warum er bloss so schüchtern war, wenn es um schöne Frauen ging, fiel sein Blick auf seinen Kompass. Wie sehr sich sein Leben verändert hatte, seit er ihn so kühn zurückgekauft hatte. In dem Moment war er alles andere als schüchtern gewesen, sondern hatte ganz frech sein EPA zu Höchstpreisen verhökert, nur um den Kompass wieder zu bekommen. Sogar eine Uhr und ein Armband hatte er damals dazubekommen. Das Armband. Ja, das Armband könnte er Sarah schenken, um ihr zu zeigen, wieviel sie ihm bedeutete. Das würde bestimmt einen Teil seiner Schüchternheit ausgleichen.

Also suchte er das rot leuchtende Korallenarmband aus einer seiner Schubladen heraus und betrachtete es gründlich. Ob es Sarah wohl gefallen würde? Bestimmt wäre es ein schöner Farbkontrast zu ihrer warmen Hautfarbe.

Bis zum nächsten Abend war Ulli voller Unruhe, denn er wollte Sarah das Armband nicht einfach zwischen Tür und Angel schenken, sondern zu einem möglichst passenden Moment und der schien ihm am ehesten abends. In einem der Sekretärinnen-Büros hatte er eine hübsche kleine Schachtel ergattert, die gerade gross genug für das Armband war. Endlich war es Abend und Ulli sass mit Sarah in der Kantine bei einem Gespräch.

"Hier hab ich was für dich.", sagte er, nachdem er die Schachtel aus seiner Tasche gekramt hatte und überreichte Sarah das Geschenk.

"Oh, was für eine Überraschung. Ich habe doch gar nicht Geburtstag.", sagte Sarah während sie das Geschenk annahm und die Schachtel öffnete. "Wie schön! Woher wusstest du, dass ich Korallen besonders liebe?", rief sie aus.

Sie warf sich in Ullis Arme, um ihn lange zu umarmen und zu küssen.


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