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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 33


  
Ein lautes Poltern weckte Ronja.

"He, was macht denn ihr da? Das ist jetzt unsere Villa. Haut bloss ab, aber dalli.", dröhnte eine laute Stimme in ihr Ohr.

Ronja setzte sich, öffnete die Augen und sah sich vier mit Knüppeln bewaffneten Typen gegenüber. Die anderen waren inzwischen auch aufgewacht. Anna weinte vor lauter Schreck.

Die Angreifer machten Anstalten, ihnen die Decken wegzuziehen. Einer schrie Anna an, sie solle ruhig sein, sonst würde er sie schlagen.

"Immer mit der Ruhe.", sagte Ronja, die inzwischen richtig wach war. "Wir gehen ja schon. Lasst uns doch erstmal aufwachen.".

"Ok, aber macht n bisschen zackig.", knurrte der Anführer sie an.

Ronja griff sich ihren Rucksack, die Decke, Annas Rucksack und Annas Hand, während auch die anderen ihre Sachen ergriffen. Nach weniger als einer Minute hatten sie ihre Zuflucht verlassen.

Da standen sie nun im verwüsteten Einkaufszentrum, ohne zu wissen, wo sie hin sollten. Nach kurzer Beratung entschlossen sie sich, zunächst zurück zu ihrem Haus zu gehen. Dort könnten sie die aktuelle Situation überprüfen und dann weitersehen.

Die Haustür war eingeschlagen, sodass jetzt auch kein Abschliessen mehr helfen würde. Ein Nachbarhaus brannte. Glücklicherweise war es weit genug weg von ihrem Haus, sodass keine Gefahr bestand, dass das Feuer übergreifen könnte. Ihre Wohnung sah mindestens so schlimm aus, wie befürchtet. Alles lag durcheinander, die Möbel waren teilweise zerschlagen und man konnte gar nicht so einfach überblicken, was fehlte.

Anna fing wieder an zu weinen, als sie einen zerfetzten Teddy von sich entdeckte. Eigentlich war es eher einer ihrer nicht so sehr geliebten Teddies, aber das machte es jetzt umso schlimmer, denn sie machte sich Vorwürfe, dass sie ihn nicht gerettet hatte. Ronja setzte sich mit ihr aufs Sofa, das fast unbeschädigt war, um sie zu trösten. Zuerst fing sie mit beschwichtigenden Worten an, doch recht bald liefen ihr auch die Tränen über die Wangen, also weinte sie zusammen mit ihrer Tochter. Auch Nanni hatte sich anstecken lassen und Klaus versuchte tapfer, dem Gefühlsausbruch der Frauen zu widerstehen.

Er räumte mit wenigen Handgriffen ein paar störende Gegenstände zur Seite, sodass wenigstens die Sitzgruppe wieder halbwegs benutzbar war. Dann holte er eine Flasche Cola aus seinem Rucksack, die er jedem anbot. Dankbar tranken alle ein paar Schlucke. Ronja war sehr froh darüber, wie liebevoll Klaus sich um sie alle kümmerte. Nanni berappelte sich bald wieder und stellte erfreut fest, dass die Plünderer ihr geniales Notklo wohl nicht für plünderwürdig befunden und dagelassen hatten.

Nachdem Anna sich von Klaus in ein Gespräch hatte einbeziehen lassen, ging Ronja auf den Balkon und fand den selbstgebauten Kocher unberührt vor. Sogar das Wasser in den Giesskannen hatten sie stehengelassen. Das Beste war aber, dass Ronja beim letzten Kaffeekochen aus Versehen den Kaffee auf dem Balkon gelassen hatte. Denn dadurch hatten sie sogar Kaffee, um dem heissen Wasser Geschmack zu geben.

Durch den Kaffee gestärkt, Anna bekam einen Müsliriegel, versuchten alle gemeinsam, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Dank der Aufräumaktion in Klaus Wohnung hatten sie inzwischen schon etwas Übung darin.

Die üppigen Vorräte, die sie in den letzten Wochen zusammengesammelt hatten, waren natürlich fast alle weg. Auch sonst fehlte einiges, woran die Herzen hingen. Die allerwichtigsten Sachen waren aber glücklicherweise versteckt. Fraglich war nur, ob die Verstecke unentdeckt geblieben waren.

Im Keller fanden sie ihre versteckten Sachen unangetastet vor. Ihr vorletztes Nachtlager war jedoch verwüstet. Die zurückgelassenen Decken und Isomatten waren verschwunden. Allmählich wurden die Reservedecken knapp, denn auch im Supermarkt-Keller hatten sie welche zurücklassen müssen. Ausserdem schied das Keller-Lager als Nachtversteck aus, weil es entdeckt worden war. Auch die Wohnung von Klaus war wieder verwüstet. Keiner hatte Lust, sie schon wieder instand zu setzen, daher liessen sie sie erstmal wie sie war.

Ihre letzte Hoffnung war das Penthouse. Also stiegen sie die Treppen hinauf, bis ganz nach oben. Die schwere Stahltür, die zum Dach führte, war glücklicherweise noch verschlossen. Nachdem sie die Tür hinter sich gelassen hatten, schlossen sie sie wieder sorgfältig hinter sich ab. Nanni suchte wie üblich den Schlüssel zum Penthouse im Kies und schloss ihnen auf. Der Swimmingpool sah genauso aus, wie sie ihn verlassen hatten. Auch die Wohnung war nicht geplündert worden. Ronja stiess einen Seufzer der Erleichterung aus.

Die Rucksäcke hatten sie schon dabei, darum brauchten sie ihren luxuriösen Fluchtort gar nicht mehr verlassen. Die drei Erwachsenen warfen sich auf die Sofas und streckten die Beine aus. Anna hüpfte ausgelassen im Wohnzimmer umher. Nach einer Weile spürten sie jedoch ihren Hunger, was sie in die Küche trieb. Dort fanden sie wie erhofft die üppigen Vorräte von Nannis Bekanntem vor. Sie liessen sich ein spätes Frühstück schmecken.

Anna wollte unbedingt Dosenobst in ihrem Müsli haben und Klaus erbot sich, ihr die Dose zu öffnen. Ronja war ganz entzückt davon, wie liebevoll Klaus immer mit Anna umging. Keiner ihrer Verehrer in den letzten Jahren war auch nur andeutungsweise so sehr auf ihre Tochter eingegangen wie Klaus. Seine Augen sahen so freundlich aus. Ronja sass übereck zu ihm, die Knie berührten sich fast und sie fühlte sich ihm ganz nah.

Als sie anschliessend wieder im Wohnzimmer sassen, stellte Ronja fest, dass sie stank wie eine ganze Bärenfamilie. Da sie sich an das feudale Bad im Penthouse erinnerte, fiel es ihr leicht, sich zu einer gründlichen Kaltwasser-Waschung aufzuraffen. Das Wasser holte sie wieder aus dem Swimming-Pool. Auch Nanni hielt eine Waschung wohl für eine gute Idee, denn sie schloss sich Ronja an. Anna war mit Klaus in ein Brettspiel vertieft, also liessen die beiden Frauen die anderen beiden allein und zogen sich ins Bad zurück.

Beim Haarewaschen halfen sie sich gegenseitig. Mit dem kalten Wasser war es zwar ziemlich grässlich, aber immer noch besser, als mit fettigen Haaren rumzulaufen.

"Der Klaus ist ja schon ein feiner Kerl.", meinte Ronja, als sie das Haarewaschen hinter sich hatten.

"Ja, den find ich auch ziemlich nett.", antwortete Nanni und fasste Ronja genauer ins Auge. "Du wirst dich doch nicht etwa in ihn verliebt haben?", fragte sie.

"Äh, nein, äh.", stammelte Ronja während sie feuerrot anlief. "Oder vielleicht, naja ich weiss nicht.".

"Ja, aber ...", wollte Nanni noch sagen, aber da stürmte Anna ins Bad.

"Ich muss ganz dringend pinkeln.", rief sie und zog sich schon beim Reinkommen die Hose runter, so eilig hatte sie es.

Die Frauen beendeten ihre Reinigungsaktion und verliessen zusammen mit Anna das Bad. Ihr vertrauliches Gespräch war fürs erste unterbrochen.

Den Rest des Tages vertrieben sie sich die Zeit mit Fortsetzungsgeschichten, Medzin- und Englisch-Unterricht. Diese Beschäftigungen eigneten sich einfach wunderbar, um die Gedanken von den Problemen ausserhalb ihres Zufluchtsortes fernzuhalten. Auch Anna wurde allmählich wieder etwas lockerer. Weil die letzten Tage sehr hart für sie gewesen waren, hatte sie schon ziemlich zur Quengeligkeit geneigt, was aber jeder gut nachvollziehen konnte.

Ronja sass den grössten Teil des Abends neben Klaus, was ihr sehr angenehm war. So spürte sie seine Wärme und hin und wieder berührten sich ihre Arme oder Oberschenkel wie beiläufig. Ob es wirklich beiläufig war, oder ob Klaus mehr mit diesen Berührungen verband, wurde Ronja nicht so recht klar. Er hatte sie auch noch nie lüstern mit den Augen verschlungen, wie sie es sonst von vielen Männern gewöhnt war. Aber Klaus war wohl zurückhaltend und nicht so oberflächlich triebgesteuert. Ausserdem war die Situation ja nun nicht geeignet, um eine Affäre zu beginnen. Trotzdem freute sie sich, Klaus neben sich zu wissen.

Weil sie in den letzten Nächten nicht viel geschlafen hatten, waren alle ziemlich früh müde. Also zogen sie sich in die Schlafzimmer des Wohnungsbesitzers zurück, die keine Wünsche offenliessen. Anna legte sich natürlich zu Ronja ins breite Bett, damit sie nicht allein war in dieser fremden Umgebung. Glücklicherweise schlief Anna bald ein, mit einem leichten Lächeln Gesicht.

Trotz ihrer Müdigkeit lag Ronja noch ziemlich lange wach. Ihre Gedanken pendelten zwischen der schwierigen Situation und Klaus. Ihr war klar, dass dieses Penthouse ihnen nur vorübergehende Ruhe brachte. Irgendwann würden die Plünderer auch dieses Versteck aufbrechen. Aber immer wenn sie ihre Gedanken auf mögliche Pläne lenken wollte, schweiften sie ab in Richtung Klaus. Sie sah die liebevollen Augen vor sich, die lustig gelockten Haare, den freundlichen Mund, der sich zu einem Lächeln verzog, seine Hände, die er fast anmutig bewegte, wenn er sprach oder irgendetwas anfasste. Ob sie ihm auch gefiel?

Als Ersatz-Vater für Anna konnte sie sich ihn sehr gut vorstellen. Wahrscheinlich könnte man es auch eine ganze Weile mit ihm aushalten, ohne sich allzu sehr auf den Wecker zu gehen.

Was Nanni wohl gemeint hatte, als sie sagte "Ja, aber..."? Wahrscheinlich sowas wie: "Sonst verliebst du dich doch auch nicht so schnell." oder vielleicht: "Du kennst ihn doch erst so kurz.". Naja, das würde sie ihr bestimmt bald genug sagen. Wahrscheinlich war es einfach bedeutungslos.

Wie in einen romantischen Nebel gehüllt schlief Ronja irgendwann ein.

Am nächsten Morgen erwachten alle wunderbar ausgeschlafen, zumindest im Vergleich zu den Tagen davor. Diesmal standen auch keine Plünderer vor der Tür, um ihnen den Morgen zu vermiesen. Sogar die Sonne wagte sich hinter den Wolken hervor. Das einzige was den friedlichen Eindruck trübte, war der Gestank nach Feuer, der von dem immernoch brennenden Haus herüberzog. Selbst bei geschlossenen Fenstern konnte man dem Geruch kaum entgehen.

Keiner der Vier hatte Lust, sich aus dem Haus zu wagen, also blieben sie in ihrer Zuflucht und vertrieben sich die Zeit. Am Nachmittag wurde die Neugier aber stärker als das Bedürfnis sich einzuigeln, allerdings nicht stark genug, um das Haus zu verlassen, denn vom Penthouse-Garten aus hatten sie einen hervorragenden Rundumblick auf die Stadt.

Die Nasen durch Tücher geschützt, standen sie an den Brüstung und sahen in allen Richtungen Rauch aufsteigen, manchmal schlugen sogar grosse Flammen hoch. Anscheinend brannte ein grosser Teil von Berlin. Ob die Feuer wohl absichtlich gelegt worden waren, oder waren sie durch unsachgemässe Notkocher verursacht worden? Auf diese Frage wusste keiner eine Antwort. Inzwischen war der Rauch über der Stadt so dicht, dass er die Sonne verdunkelte.

Unten in den Strassen konnte man vereinzelt unheilvolle Menschengruppen umherziehen sehen. Ab und zu sah man Einzelne, die hastig über die Strassen huschten, um sogleich wieder im Schatten der Häuser zu verschwinden. Der Anblick der Stadt war wirklich zum Fürchten, daher gingen sie bald wieder ins Innere des Penthouses.

Zurück auf den Sofas hätte Ronja sich am liebsten an die Schulter von Klaus gelehnt oder sogar richtig angekuschelt, denn der Anblick der Stadt hatte sie ziemlich verstört. So wie die anderen aussahen, ging es ihnen ähnlich wie Ronja. Nur Anna schien nicht die volle Tragweite der brennenden Stadt verstanden zu haben, aber den Rauch hatte auch sie als unangenehm empfunden. Glücklicherweise stand ihr Haus relativ weit weg von anderen Häusern, sodass ein Übergreifen der Brände nicht wahrscheinlich war. Dennoch war es sehr erschreckend, dass soviele Häuser brannten.

Nanni schlug eine Medizinstunde vor, um auf andere Gedanken zu kommen. Erleichtert griffen die anderen die Idee auf. Diesmal wollten sie sich mit dem Stoffwechsel beschäftigen, denn es konnte sehr nützlich sein, zu wissen, was mit dem Essen so passiert, wenn es erstmal runtergeschluckt ist. Um den weiten Weg des Essens besser erklären zu können, holte Klaus seinen Rucksack, in dem er einige medizinische Bücher mit sich rumschleppte.

Auf dem Rückweg zum Sofa stolperte er jedoch über eine Teppichfalte, sodass ihm der Rucksack aus der Hand rutschte und sich sein Inhalt über den Boden ergoss. Ganz oben auf all den Kleidern kam ein in Folie eingeschweisstes postkartengrosses Foto zu liegen. Das Foto stellte einen gutaussehenden braungebrannten Mann dar.

Klaus griff hastig nach dem Foto, verlangsamte dann aber seine Bewegung, als wäre ihm die Hast peinlich und lief rot an.

"Wer ist denn das?", fragte Anna frei heraus.

"Äh, das ist mein Liebster, mein Freund.", erklärte Klaus nach einer kurzen Pause.

Ronja vergass vor lauter Schreck das Luftholen. Sie starrte auf das Bild, als hätte sie nie zuvor ein Foto von einem Mann gesehen.

Nanni rettete die Situation, indem sie sagte: "Der sieht ja nett aus. Und wie braungebrannt er ist. Wo steckt er denn?".

"Ende August ist er nach Südafrika geflogen, weil er dort als Ingenieur einen gutbezahlten Auftrag hat. Ich vermisse ihn fürchterlich.", antwortete Klaus.

Das brachte das Gespräch für eine Weile auf Südafrika und später widmeten sie sich wie geplant der Medizin. Ronja nutzte die Zeit des unverfänglichen Geplauders, um sich innerlich wieder zu fangen. Sie hoffte sehr, dass man ihr nichts angemerkt hatte. Nanni hatte es bestimmt bemerkt, schliesslich wusste sie ja Bescheid, aber Anna und vor allem Klaus sollten es besser nicht mitkriegen, was für einem sinnlosen Hirngespinst sie nachgejagt war.

Später war sie dann auch recht froh, als alle ins Bett gingen, denn es fiel ihr schwer sich unbefangen am Gespräch zu beteiligen. Allerdings war keiner so richtig unbefangen, denn an allen nagten unterschwellig ständig die Sorgen um ihre bedrohliche Situation.

Als sie endlich allein im Bett lag und Anna fest schlief, konnte Ronja nicht verhindern, dass ihr die Tränen aus den Augen strömten. Nach kurzer Zeit war ihr ganzes Gesicht und das Kopfkissen durchweicht. Nicht nur, dass das Fehlen des romantischen Nebels die Schrecken der Katastrophe wieder schonungslos auf sie einstürmen liess, stattdessen kam auch noch der ganze Schmerz hoch, den sie seit der Trennung von Annas Vater meistens sehr erfolgreich verdrängen konnte.

Wie hatte sie nur übersehen können, das Klaus schwul war? Es gab doch immer wieder Hinweise darauf. Er konnte nicht pfeifen, überliess Nanni die Kampfszenen, seine anmutigen Hände und vor alem die fehlenden gierigen Blicke. Sie hatte nur darauf geachtet, dass er liebevoll war, sich um Anna kümmerte; alle anderen Anzeichen hatte sie völlig ignoriert.

Nach langer Zeit kam sie zu dem Schluss, dass sie froh sein konnte, dass es so früh ans Tageslicht gekommen war. Zumindest hatte es ihr einer superpeinliche Szene erspart, die bestimmt passiert wäre, wenn sie Klaus ihre Verliebtheit gestanden hätte.

Am nächsten Morgen war die Stimmung angespannt, was wahrscheinlich daran lag, dass das Tageslicht gelblich grau war, vor lauter Rauch. Ausserdem konnte man dem Geruch des Rauches nicht mehr entgehen, denn er zog durch jede Ritze. Inwieweit sie selbst mit ihrem persönlichen Kummer zu der angespannten Stimmung beitrug, war Ronja nicht klar, denn auch ohne war die Lage düster genug.

Nach einer längeren Diskussion beschlossen sie, sich mal wieder auf die Strasse zu wagen, um eventuell eine Alternative zum Penthouse zu finden. Denn obwohl ein Übergreifen der Flammen nicht zu befürchten war, konnte ihr Haus ja auch in Brand gesteckt werden und dann sässen sie hier in der Falle.

Sie schlossen die Türen zum Penthouse wieder sorgfältig hinter sich ab und stiegen die Treppe hinab. In den Gängen des Hauses konnten sie in manchen Stockwerken laute Stimmen hören, die so sehr rumkrakelten, wie sie es bisher von ihrem Haus nicht gewohnt waren. Wahrscheinlich hatten sich Plünderer hier eingenistet. Leise schlichen sie weiter nach unten und verliessen das Haus so schnell wie möglich. Auf den Strassen war es zur Zeit glücklicherweise ruhig.

Als sie sich dem Einkaufszentraum näherten, hörten sie jemand rufen: "Klaus, Klaus bist du das?".

Drei martialisch aussehende Männer in Lederklamotten kamen eilig auf Klaus zu. Anna versteckte sich hinter Ronja, anscheinend waren ihr die Männer unheimlich.

Aber Klaus schien die Männer zu kennen, denn er begrüsste sie freundlich. "Was macht ihr denn hier?", fragte er die Ankömmlinge.

"Tja, wir haben dich gesucht und weil wir wussten, dass du hier in der Nähe wohnst, haben wir dich eben hier gesucht. Francesco geht es sehr schlecht. Du weisst schon. Ohne Doktor nippelt der uns bald ab. Nun ja, und da haben wir an dich gedacht. Du bist ja schon fast ein Doktor und kennst Francesco auch schon länger.", erklärte einer der Männer.

"Francesco? Oh je, ist es schlimmer geworden? Und das ausgerechnet in dieser Situation. Ich komme mit euch und schau, was ich tun kann. Ein paar geeignete Mittel müsste ich sogar dabei haben. Vielleicht sollten wir aber noch in die Apotheke gehen. Da lagen vor ein paar Tagen noch recht viele brauchbare Spezialmedikamente rum. Könnt ihr mich vor irgendwelchen Plünderern schützen, die sich dort inzwischen rumtreiben?", sagte Klaus. Er wirkte ziemlich aufgeregt, anscheinend lag ihm dieser Francesco sehr am Herzen.

An die beiden Frauen gewandt sagte er: "Sorry, wenn ich euch hier allein lasse. Aber ich werde wohl dringend gebraucht. Wenn ich kann, werde ich wieder nach euch schauen. Ansonsten: Haltet die Ohren steif.".

Zu Anna sagte er noch: "Tschüss meine Kleine. Bleib tapfer!".

Dann gesellte er sich zu den drei Männern, um mit ihnen ins Einkaufszentrum zu gehen.

Ronja und Nanni schauten sich ratlos an. Was sollten sie jetzt tun? Um sich selbst zu beweisen, dass sie auch gut ohne Klaus klarkamen, beschlossen sie, noch ein Stückchen weiterzugehen. Vielleicht gab es ja irgendwo einen Hoffnungsfunken für sie.

Die Strassen, durch die sie kamen, sahen aber noch schlimmer aus, als ihre eigene Wohngegend. Immer wieder mussten sie sich vor umherziehenden Plündererbanden verstecken. Darum gingen sie bald wieder zurück, denn in ihrem Haus hatten sie wenigstens überhaupt einen Platz zum verkriechen.

In ihrem Haus war ziemlich viel Unruhe, aber es gelang ihnen, unbeobachtet nach oben zu steigen. Als sie die schwere Stahltür hinter sich abgeschlossen hatten, seufzten alle drei erleichtert auf. Das Penthouse kam ihnen nach der Strasse vor wie ein kleines Paradies.

Am nächsten Tag blieben sie den ganzen Tag im Penthouse, aber wohl fühlten sie sich nicht. Der Himmel zog sich immer mehr zusammen und genauso schien ihnen ihre Situation sich immer mehr zusammenzubrauen. In der Nacht schraken sie immer wieder aus dem Schlaf, weil es im Stockwerk unter ihnen laut polterte.

Weil sie sich in ihrem Haus nicht mehr sicher fühlten, wagten sie am nächsten Tag einen neuen Vorstoss in die Stadt. Diesmal gingen sie in eine andere Richtung. Überall stiessen sie jedoch auf brennende Häuser, um die sich keiner kümmerte, zerstörte Autos, Bruchstücke von Möbelstücken und Elektrogeräten.

Auf einer breiten Strasse tummelte sich auf der anderen Seite eine Plünderer-Gruppe. Sie waren anscheinend zur Zeit nicht auf Beute aus, denn sie standen einfach rum und einige kabbelten sich. Dennoch gingen Ronja und ihre Familie auf der anderen Strassenseite möglichst nah an den Häusern entlang, um so entfernt wie möglich von den Plünderern zu sein.

In der Ferne erschien ein Panzer, der sich mit hoher Geschwindigkeit näherte.

"Oh, das Militär. Ob die hier wieder Ordnung reinbringen werden?", hoffte Nanni.

"Wir werden sehen.", antwortete Ronja.

Da war der Panzer auch schon ganz nahe. Sie konnten mehrere uniformierte Männer auf der Luke sitzen sehen.

Da plötzlich hoben die Männer ihre Waffen und schossen wahllos in die Plünderer-Gruppe. Etwas zupfte an Ronjas Arm und Nanni schrie auf.

Nanni fasste sich an die Wange, von der ein blutiges Rinnsal sickerte. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.

"Du bist verletzt.", rief Ronja aus. Sie nahm ihre Freundin am Ellenbogen und führte sie in einen nicht brennenden Hauseingang. Dort sank Nanni auf die Stufen und lehnte sich an die Haustür. Ronja kramte in ihrem Rucksack auf der Suche nach ihrem Medizintäschchen. Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass Nanni nur einen Kratzer hatte. Auch das Bluten liess schnell wieder nach.

Aber der Schreck sass tief. Ein Querschläger konnte es kaum gewesen sein, denn die Plünderer waren ja auf der anderen Strassenseite. Auch Ronja war fast getroffen worden, denn das leichte Zupfen, das sie verspürt hatte, hatte ihre gefütterte Jacke am Ärmel zerfetzt. Nur Anna hatte nichts abbekommen, denn sie hatte sich vernünftigerweise hinter Ronja versteckt, als das unheimliche grosse Fahrzeug näher gekommen war.

Die Soldaten hatten auf sie geschossen.

Der Panzer war schon längst über alle Berge als Ronja und Nanni diese Tatsache bewusst wurde. Was war denn nur mit der Armee los, wenn so etwas geschehen konnte?

Ein Blick über die Strasse zeigte mindestens zehn Leute, die regungslos auf dem Boden lagen. Einige andere waren schon ein gutes Stück die Strasse entlang gerannt und ein paar Nachzügler halfen welchen, die anscheinend verletzt waren und daher nur langsam fliehen konnten.

Auch Ronja hielt Flucht für eine gute Idee, auch wenn der Panzer inzwischen weit weg war. Also half sie Nanni auf, die inzwischen wieder etwas Farbe bekommen hatte, nahm sie und Anna bei der Hand und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Haus.

Als sie am Haus ankamen, schlugen Flammen aus den Fenstern im ersten Stock. Auch aus anderen Stockwerken konnte man Rauch quellen sehen.

Starr vor Entsetzen standen sie fassungslos vor dem Haus. Sie hatten zwar befürchtet, dass auch ihr Haus brennen könnte, aber an diesem Tag kam alles etwas zu heftig aufeinander.

Nach einer Weile setzten sie sich einfach auf die Weise neben dem Haus. Nanni verlor auf einmal ihre ganze Coolness und wurde von Schluchzern nur so durchgeschüttelt. Ronja nahm sie in den Arm und auch Anna legte ihre Arme um beide. Nach kurzer Zeit schluchzten alle drei.

In all ihrem Unglück merkten sie gar nicht, wie sich der Mann ihnen näherte, der sie vor ein paar Tagen gewarnt hatte. Erst als er sich laut räusperte und sie ansprach blickten sie auf.

"Hallo, ihr seht so aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen.", sagte er, nicht ohne einen humorvollen Unterton.

"Äh, ja. Ja, Hilfe könnten wir durchaus gebrauchen. Und Sie wollen uns nicht erschiessen?", antwortete Ronja etwas zaghaft.

"Euch doch nicht. Ne, ich könnte euch für eine Weile ein Versteck zur Verfügung stellen.", bot der Mann ihnen an. "Übrigens, ihr könnt mich Josh nennen.".

Die drei Flüchtlinge nahmen das Angebot gerne an, denn sie hatten keinerlei Alternative. Sie folgten ihm ein paar hundert Meter und dann öffnete Josh einen Gulli und liess sie nach unten steigen. Es war richtig unheimlich, so in den Bauch der Stadt zu klettern. Ausserdem waren sie sich nicht sicher, ob Josh ihnen wirklich wohl gesonnen war. Aber was blieb ihnen anderes übrig?

Nach einem langen Weg durch dunkle feuchte Gänge, die sich wie ein Labyrinth durch den Untergrund wanden, öffnete Josh eine kleine Tür. Dahinter war wieder ein endlos langer Gang, aber irgendwann erreichten sie einen kleinen Raum, in dem es sogar elektrisches Licht gab. Auf dem Boden lagen ein paar Matrazen, sogar Decken waren vorhanden. Eigentlich sah die Kammer aus wie eine Gefängnis, aber ihnen schien es wie eine heimelige Zuflucht.

Josh versorgte sie noch mit Nahrungsmitteln. Nach einer Weile brachte er ihnen sogar die Sachen, die sie vor ein paar Tagen im Keller versteckt hatten. Auf diese Weise konnten sie es sich ein wenig gemütlich machen. Ansonsten sagte Josh jedoch kaum was und liess sich auch stundenlang nicht mehr blicken.

Ronja, Nanni und Anna waren so erschöpft, dass sie nicht lange nachgrübelten, sondern einfach eine Weile da sassen. Später aßen sie etwas und anschliessend legten sie sich zu einem Schläfchen hin. Auch den nächsten Tag verbachten sie in der kleinen Kammer. Wenigstens mussten sie hier keine Angst vor Plünderern haben. Von Josh bekamen sie kaum etwas zu sehen.

Am nächsten Tag trug Josh ein elektronisches bei sich, als er sie besuchte. Ronja kam auf eine Idee.

"Ist das vielleicht ein Teil eines Funkgerätes.", fragte sie.

"Ja, wie hast du das erkannt? Kennst du dich damit aus?", sagte Josh.

"Nein, ich nicht, aber meine Eltern. Die wollten in Fällen wie diesem ein Notfall-Internet per Funk aufbauen. Daher hab ich deren Experimente meine ganze Jugend über mitgekriegt.", erklärte Ronja. "Nun frag ich mich, ob du mit deinem Funkgerät vielleicht dieses Funk-Internet erreichen kannst, falls meine Eltern es tatsächlich geschafft haben.".

"Wir könnten es mal probieren. Erzähl mir am besten alles, was du von diesem Netz weisst und dann kannst du einen Text schreiben, den ich abschicke, falls ich was erreiche.", bot Josh an.

Ronja erklärte alles so genau wie sie es wusste und schrieb eine eher kurze Notiz, die besagte, dass sie in Sicherheit seien. Dann verschwand Josh wieder, mit dem Notiz-Zettel in der Hand.

Ein paar Stunden später kam Josh wieder zu ihnen zurück und verkündete, dass er tatsächlich Erfolg gehabt hatte. Das Notfall-Internet fand er sehr interessant und die Nachricht hatte er verschickt.

Anlässlich der Kontaktaufnahme mit ihren Eltern ging Ronja das schöne Zuhause ihrer Eltern nicht mehr aus dem Kopf. Dort würde es jetzt bestimmt viel besser sein, als in Berlin. Ob sie trotz drohendem Winter dorthin fliehen sollten? Quer durch ganz Deutschland?

Der Gedanke an eine Flucht zu ihren Eltern begleiteten Ronja bis in den Schlaf.

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