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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 30


  
Im Helferzentraum war schon richtig viel Betrieb, als Ulli nach dem Frühstück eintraf. Auch die Küchenhelfer waren schon wieder im Einsatz, wie er mit einem schweifenden Blick über die Zeltstadt feststellen konnte. Alfons Schumann stand erwartungsvoll an dem Tisch, an dem er sich gestern abend mit Ulli unterhalten hatte. Ulli bat ihn, eine Weile Platz zu nehmen, bis er die richtigen Leute für Transportfragen ausfindig machen würde.

Wie erhofft, wusste Markus wer für Transporte zuständig war und setzte sich gleich mit den entsprechenden Fachleuten in Verbindung. Als er wiederkam, hatte er nicht nur eine Fahrt zu Herrn Schumanns Bettdecken organisiert, sondern brachte auch einen jungen Soldaten mit, der fortan als Verbindungsmann zwischen militärischer Transportabteilung und Helferzentrum arbeiten sollte. Herr Schumann war sehr zufrieden mit der Entwicklung und freute sich auch darüber, auf diese Weise eine Mitfahrgelegenheit nach Hause zu bekommen.

Um für zukünftige grössere Sachspenden besser vorbereitet zu sein, organisierte der Manager des Helferzentrums einen neuen Tisch mit extra Sekretärin, die sich speziell um solche Fälle kümmern sollte. Ulli hatte inzwischen herausgefunden, dass der Manager Herr Liebknecht hiess.

Die Menge der Freiwilligen, die sich im Laufe des Tages im Helferzentrum einfand, überstieg die gestrige Menge um ein Vielfaches. Die Versammlungen in den Zelten hatten offensichtlich viele Leute motiviert. Auch den Schlachtruf "Jedem ein Zuhause!" konnte man immer wieder vereinzelt hören.

Die erste Reihe der Plumpsklos näherte sich bald der Vollendung, was sich sehr günstig auf die Längen aller Kloschlangen auswirkte.

Unter den Männern bei der militärischen Kurzausbildung befanden sich etliche ehemalige Wehrpflichtige, sodass schon an diesem Tag eine kleine Truppe zusammengestellt werden konnte, die zusammen mit einigen Soldaten und Polizisten mehrere Häuserblocks im unmittelbaren Umfeld des Lagers zu sichern. Wegen der Nähe zu den Militärs des Lagers waren diese Häuserblocks nicht wirklich von Plünderern besetzt. Daher eigneten sie sich hervorragend als Übungseinsatz. Zur Bewachung patroullierten die Männer anschliessend in Zweiergruppen durch die befreiten Strassen.

In den nächsten Tagen und Wochen wollten sie auf diese Weise zunächst die direkte Umgebung unter ordnende Kontrolle stellen. Anschliessend sollte ein Korridor von mehreren Häuserblöcken befreit werden, um bis zum Olympiadorf vorzudringen. Da sich das Olympiadorf in öffentlicher Hand befand, konnte man dort eher Notunterkünfte zur Verfügung stellen, als in privaten Häusern.

Bis zum Abend war ein befreites Hotel in eine Krankenstation umgewandelt worden, in die alle bisherigen Bewohner des Krankenzeltes und ausserdem viele Patienten mit gripalen Infekten einziehen konnten. In ein anderes geeignetes Haus zogen Mütter mit kleinen Babies und besonders alte Lagerbewohner.

Am nächsten Tag war das Lager schon so gut organisiert, dass Ulli sich etwas intensiver den Arbeitsgruppen für Strom und Wasser widmen konnte. Ausser Ingenieuren hatten sich für das Wasserproblem auch mehrere Klempner eingefunden. Die meisten dieser Klempner waren vorher arbeitslos gewesen, denn durch die wachsende Armut in der Bevölkerung konnte sich kaum noch jemand Handwerker leisten. Jetzt freuten sich die Klempner besonders, wieder gebraucht zu werden.

Um die Lage zu erkunden, war eine kleine Gruppe Ingenieure am Vortag zum vielversprechendsten Wasserreservoir gefahren. Obwohl Wasser reichlich vorhanden war, das auch noch den Vorteil hatte, relativ hoch oben zu liegen, sodass es nicht gepumpt werden musste, gab es auf dem Weg vom Wassereservoir bis zur Stadt eine Menge Hindernisse in Form von defekten elektronischen Geräten. Drei der Ingenieure waren gleich vor Ort geblieben, um das dort ansässige Team zu verstärken.

Die Schätzungen der zurückgekehrten Ingenieure gingen von mehreren Wochen aus, bis das Wasser frei in die Innenstadt von München fliessen konnte. Eine grosse Schwierigkeit war auch, das Wasser innerhalb von München zu den gewünschten Stellen zu leiten, denn für ganz München würde diese Notversorgung bei weitem nicht ausreichen, daher musste es sorgsam verteilt werden.

Bis dahin musste das Wasser weiterhin aus der Isar geholt und zum trinken abgekocht werden. Diese Wassertransporte banden einen Grossteil der verfügbaren funktionierenden LKWs. Daher empfand Ulli die Nachricht, dass fliessend Wasser noch lange auf sich warten lassen würde, wie einen persönlichen Rückschlag. Auch noch geraume Zeit, nachdem er die Wasser-Techniker wieder verlassen hatte, ging ihm das Wasserproblem nicht aus dem Kopf.

Im Helferzentrum riss der Strom der Freiwilligen nicht ab. Ulli überschlug kurz die bisher gemeldeten Helfer und kam zu dem Schluss, dass schon über die Hälfte der Lagerbewohner sich zum Helfen gemeldet hatten. Das ganze Lager summte wie ein Bienenschwarm. Die vorher so gedrückte Stimmung wich einem Gefühl des Aufbruchs. Auf so eine motivierte Stimmung in der Bevölkerung hatten die Politker in den letzten Jahren vergeblich gehofft. Anscheinend musste erst alles zusammenbrechen, um die Menschen aus ihrer Lethargie zu wecken.

Ein Schatten fiel über Ullis ausgebreiteten Papiere. Ulli blickte auf und sah einen hochgewachsenen jungen Mann von so ausgesprochener Dunkelheit, dass Ulli zweimal hinschauen musste, um es zu glauben. Auf den Mann, der vor ihm stand, traf der Begriff "schwarz" tatsächlich zu, dabei hatte Ulli diese Bezeichnung bisher immer für übertrieben gehalten.

"Guten Tag, können Sie jemanden gebrauchen, der sich mit der Reparatur von kaputten alten Maschinen auskennt?", fragte der Mann und liess dabei eine breite Reihe schneeweisser Zähne aufblitzen.

"Oh ja, unbedingt. Das ist eines der Hauptprobleme hier. Wie meinen Sie das konkret mit kaputte Maschinen reparieren?", äusserte Ulli sich, erfreut über das neue Angebot.

"Nun, da wo ich herkomme, habe ich unter einfachsten Bedingungen jahrelang Maschinen aller Art repariert, um mir das Geld für mein Studium hier zu verdienen. Daher kenne ich mich recht gut mit maroden Systemen aus, die möglichst schnell wieder in Gang gesetzt werden müssen.", erläuterte der junge Mann.

"Ich sehe schon; Sie schickt der Himmel. Ihre Erfahrung umschliesst nicht zufällig das Thema Wasserversorgung?", freute sich Ulli.

"Durchaus. Die Wasserversorgung musste bei uns unter schlechtesten Bedingungen aufrechterhalten werden.", antwortete der junge Mann.

"Wunderbar. Ich werde Sie gleich zu unseren Wasseringenieuren bringen. Die sind so gute Bedingungen gewöhnt, dass sie jetzt ganz verzweifelt sind, dabei ist durchaus Wasser verfügbar. Darf ich noch erfahren, wie Sie heissen, damit ich Sie hier eintragen kann?", fragte Ulli.

"Mein Name ist Tom, Tom Ngori aus Gambia. Hier in München studiere ich Maschinenbau.", gab der junge Mann in fast akzentfreiem Deutsch zur Auskunft.

Nachdem Ulli sich den Namen notiert hatte, brachte er Tom zu den Wasseringenieuren, von denen ein Teil immernoch am Überlegen war, wie man die Wasserversorgung beschleunigen könnte. Die meisten Wasserspezialisten hatten sich jedoch an die mühsame praktische Arbeit gemacht, bei der sie oft ratlos vor den defekten Maschinen standen, die den freien Fluss des Wassers behinderten.

Die Augen der verbliebenen Ingenieure leuchteten auf, als sie erfuhren, welche Spezialfähigkeiten Tom mitbrachte. Keiner hatte auch nur den geringsten Zweifel, dass Toms Erfahrung mit schwierigen Bedingungen sehr hilfreich sein könnte. Sie zogen ihn sofort in ihre Mitte und fingen an, aufgeregt diverse Details mit Tom zu besprechen.

Ulli war sehr zufrieden mit der neuen Entwicklung. Er schmunzelte, denn in normalen Zeiten hätten gestandene Wasseringenieure bestimmt nicht so offen auf einen jungen, schwarzen Helfer reagiert.

Am Abend waren Ulli, Markus und Oberleutnant Wunsmann zu einem zwanglosen Essen mit der amerikanischen Austausch-Delegation eingeladen. Die Austausch-Delegation bestand aus amerikanischen Soldaten, die sich, im Austausch mit einigen deutschen Soldaten, für ein halbes Jahr in der Münchner Kaserne aufhielten, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Armeen zu verbessern. Jetzt waren sie genauso in der Katastrophensituation gefangen, wie ihre deutschen Kollegen. Sie wollten Ulli und sein Team kennenlernen, um miteinander auszuarbeiten, wie sie ihre Kräfte am besten einsetzen konnten.

Da die Amerikaner in der Stetten-Kaserne nahe des Olympiazentrums untergebracht waren, war ein Besuch bei ihnen mit einer Fahrt durch die halbe Stadt verbunden. Um dort sicher anzukommen, fuhren sie in einem schwer bewachten Konvoi, der mehrmals täglich zwischen der Kaserne und der Theresienwiese pendelte.

Das erste Mal seit vielen Tagen verliess Ulli die unmittelbare Umgebung des Lagers. Unterwegs konnte er sich auch einen Überblick über die Zustände in den durchfahrenen Strassen verschaffen. Auf der benutzten Strecke sah alles halbwegs ruhig, wenn nicht gar ausgestorben aus. Diese Strassen waren wahrscheinlich gut geeignet, um als Ausgangsbasis für eine Befreiungsschneise zu dienen. Oberleutnant Wunsmann machte auch entsprechende Kommentare und wies Ulli auf einige schon vorhandene militärische Posten hin. Dass das Vorgehen bei der Stadtbefreiung voll in militärischer Hand lag, war völlig klar. Daher fühlte sich Ulli geschmeichelt, dass Herr Wunsmann diesbezügliche Details mit ihm vorab besparch.

Die Stetten-Kaserne wirkte ähnlich auf Ulli, wie er sich eine Kaserne vorgestellt hatte. In einem schmucklosen Gebäude wurden sie in einen Speisesaal geführt. Dort stand bereits eine Gruppe von Menschen mit Sektgläsern in der Hand. Ein junger Soldat, der ein Tablett balancierte, kam eilig auf die Ankömmlinge zu, und bot jedem ein Glas Sekt an. Nachdem alle versorgt waren, wurden sie einander vorgestellt.

Ulli konnte sich weder alle Namen, noch alle Funktionen der Amerikaner merken. Der Ranghöchste war jedoch ein Major gewesen, soviel hatte er sich gemerkt. Ausserdem war ihm eine junge Soldatin mit funkelnden dunkelbraunen Augen aufgefallen. Sie war anscheinend auf Funktechnik spezialisiert.

Wie das Glück so spielte, ergatterte Ulli beim anschliessenden Essen einen Sitzplatz neben der jungen Dame. Zuerst war er etwas schüchtern und genierte sich auch wegen seinem eher holprigen Englisch. Aber dann stellte er fest, dass Sarah, denn so hiess die hübsche Soldatin, hervorragend Deutsch sprach und dies auch offensichtlich gern tat. Sie war sehr interessiert an dem, was er so tat und wie er dazu gekommen war. Also erzählte Ulli ihr, wie er von der Fahrt zu einer Vorlesung in das Lager gekommen war und wie es sich ergeben hatte, dass er völlig unerwartet zum zivilen Lagerleiter geworden war.

"Ziviler Lagerleiter" war nämlich sein neuer offizieller Status, wie ihm Oberleutnant Wunsmann auf der Fahrt zur Kaserne mitgeteilt hatte.

Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Ulli bei der Nennung seines Titel ziemlich rumdruckste, verstand Sarah den Witz der Geschichte auf Anhieb und fing an, herzlich zu lachen. Ulli konnte nicht anders, als in ihr Gelächter einzustimmen, bis viele Blicke sich ihnen zuwandten, um herauszufinden, was so lustig war. Nach wenigen Augenblicken jedoch wurde ihnen wohl klar, dass der Witz nur für Insider gedacht war und überliessen Ulli und Sarah schmunzelnd wieder ihrem Gespräch.

Durch das Lachen fühlte Ulli sich erstmals seit vielen Tagen wieder richtig gelöst. Die ganze Spannung der letzten Tage fiel von ihm ab, wobei der Sekt bestimmt das Seinige zu dieser Entspannung beitrug. In der Gegenwart von Sarah fühlte er sich auch sehr wohl, denn ohne viel Worte hatte sie genau verstanden, wie es in ihm aussah. Plötzlich sah auch Ulli seine Geschichte von einer etwas anderen Warte aus; einer Warte, die sehr viel leichter und fröhlicher war, als seine bisherige Sichtweise.

Sie kamen ins Gespräch über Gott und die Welt und als Sarah eine Weile ausführlicher über ihre Arbeit in der Kaserne erzählte, nutzte Ulli die Gelegenheit, um die junge Frau etwas ausgiebiger zu betrachten. Auf den ersten Blick wirkte sie am ehesten südeuropäisch, aber an manchen kleinen Details konnte Ulli erkennen, dass vielleicht eine kompliziertere Mischung dahinter stand. Ihre Augen standen ein klein wenig schräg, was ihr etwas katzenhaftes gab. Die Lippen waren voll und einladend, sodass Ulli Mühe hatte, nicht darauf zu starren. Ihr Teint entsprach in etwa den Wünschen mitteleuropäischer Frauen, die für sowas oft lange Qualen in Solarien in Kauf nahmen. Die kräftige Nase gab ihrem Gesicht Charakter und verhinderte, dass sie zu schön aussah, um wirklich zu sein. Dennoch schien es Ulli, als hätte er noch nie eine so schöne Frau gesehen. Und vor allem hatte er sich noch nie so wohl gefühlt in der Gegenwart einer schönen Frau.

Bei Sarah hatte er das Gefühl, dass er genauso sein konnte, wie er wirklich war. Dass er ihr überhaupt nichts vorspielen musste. Seine Schüchternheit verflog im Laufe des Essens völlig.

Im Anschluss an das Essen fand eine Besprechung statt, bei der es aber eher locker zuging. Herr Wunsmann berichtete von den Aktivitäten im Lager und den Plänen zur Stadtbefreiung. Die Amerikaner erzählten von ihrem eigenen kleinen Lager, in dem sie sich um gestrandete amerikanische Staatsangehörige kümmerten. Für die Organisation der jeweiligen Lager tauschten sie gute Ideen in Detailfragen aus.

Als es gegen Mitternacht Zeit war, heimzufahren, verabschiedete Sarah sich mit einem Kuss auf Ullis Wange. Ulli spürte, wie er sofort feuerrot anlief, aber das störte ihn in diesem Moment wenig. Er freute sich schon darauf, sie bald wieder zu treffen. Als er ihr vom Funknetz seiner Eltern erzählt hatte, hatte sie ihn in ihr Funkhaus eingeladen. Ulli wusste zwar noch nicht, wann er wieder Zeit haben würde, vor allem war ihm unklar, wie er die Strecke zwischen Zeltlager und Kaserne alleine bewältigen sollte, aber er hoffte auf friedliche Strassen und ein baldiges Wiedersehen.

Markus neckte ihn unterwegs, weil Ulli so traumverloren im Auto sass. Durch Markus Scherze wurde Ulli bewusst, was Aussenstehende schon vorher erkannt hatten: Er hatte sich verliebt. Es war so unerwartet passiert, dass Ulli die deutlichen Anzeichen zuerst gar nicht bemerkt hatte. Ob Sarah ihn auch mochte? Immerhin hatte sie ihm ein Küsschen gegeben. Aber vielleicht war das in ihren Kreisen ja auch allgemein üblich. Hatte sie Markus eigentlich auch mit einem Kuss verabschiedet? Darauf hatte Ulli gar nicht geachtet, aber er hielt es für unwahrscheinlich.

Wie auf Wolken schwebte er im Hotel in sein Zimmer. Dort begrüsste ihn sein Kompass, der wie immer fröhlich nach Norden zeigte. Nicht nur das Olympiadorf, sondern auch Sarahs Kaserne lagen nördlich von ihm. Wenn das nicht gut passte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schlief Ulli ein.

In den nächsten zwei Tagen hatte Ulli kaum Gelegenheit nachzudenken, denn es gab endlos viel zu tun für ihn. Die Organisation des Lagers schritt zügig voran, Engpässe gab es nur, wenn für die Lösung eines Problemes Kraftfahrzeuge benötigt wurden. Es war wirklich ärgerlich, dass soviele der wenigen LKWs für den Wassertransport benötigt wurden.

Ein weiteres Problem war die drohende Treibstoffknappheit. Einen halben Tag lang war Ulli damit beschäftigt, Spezialisten aufzutreiben, die die vorhandenen Treibstoffreservern in München nutzbar machen sollten.

Drei Tage nachdem Ulli Tom Ngori zu den Wasseringenieuren gebracht hatte, kam jener zusammen mit einem der Ingenieure nach dem Mittagessen auf ihn zu und lud ihn zu einer Vorführung ein. Ulli war sehr gespannt, was da wohl vorgeführt werden sollte. Irgendetwas mit Wasser würde es wohl sein, soviel war klar.

Tom führte Ulli und Markus in das grosse Küchenzelt, wo auch schon Oberleutnant Wunsmann wartete. Ausserdem erkannte Ulli die anderen Wasserfachleute, die er schon bei den früheren Besprechungen gesehen hatte.

Alle sammelten sich mit feierlicher Miene um ein klobiges Spülbecken, über dem ein Wasserhahn befestigt war. Als den Wasseringenieuren alle Blicke sicher waren, gab es einen Moment der Unentschiedenheit, in dem viele Blicke zwischen Tom und dem Leiter der Wasserabteilung getauscht wurden.

Schliesslich sagte der Leiter der Wasserabteilung zu Tom: "Nur zu, es ist ihr Verdienst.".

Tom liess sich nicht mehr lange bitten und drehte am Wasserhahn. Ein Strahl klaren Wassers floss aus dem Hahn. Alle Umstehenden brachen in lauten Jubel aus, was auch die Mitarbeiter des Küchenzeltes animierte mitzuklatschen und zu trampeln.

Der erste Durchbruch bei der Wasserversorgung war geschafft. Nachdem der Applaus verebbt war, erklärte Tom, dass vorerst nur diese eine Leitung in Betrieb sei, dass er aber hoffte, das ganze Küchzelt und Teile der Toilettenwagen bis zum Abend mit Wasser zu versorgen. Für die Wasser-Versorgung des ganzen Lagers rechnete er mit drei Tagen.

Ulli fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt konnte er hoffen, dass sich auch andere Probleme zügig lösen liessen.

Am nächsten Tag ergab sich endlich wieder eine Gelegenheit, zu Sarah und ihrer Funkanlage zu fahren. Er hatte behauptet, dass er sich über die Möglichkeiten von Funkverbindungen informieren wollte, als er die Fahrt zur Kaserne beantragt hatte. Das entsprach zwar durchaus der Wahrheit, war aber natürlich nicht der einzige Grund.

Unterwegs konnte Ulli sich ein Bild machen, wie weit die Befreiungsmassnahmen schon fortgeschritten waren. Auf einem grossen Teil der Strecke standen Wachposten, die Strassen und Häuserblocks sichern sollten.

Sarah begrüsste Ulli mit einem freundlichen Lächeln. Am Anfang stellte sie ihm ihre Kollegen vor, von denen die meisten dem deutschen Militär angehörten. Dann zeigte sie ihm ihren Arbeitsplatz und erklärte, wie sie versuchte, möglichst viele andere Funkstationen zu erreichen, um ein Kommunikationsnetz aufzubauen.

Diese sachlichen Erklärungen halfen Ulli, seine Verlegenheit zu überwinden, denn angesichts des Treffens mit Sarah war er sehr aufgeregt gewesen.

Ulli erklärte Sarah alles, was er über das Funknetz seiner Eltern wusste. Anhand seiner bruchstückhaften Erklärungen veränderte Sarah einige Einstellungen an ihrem Funkgerät, um eine Anlage des Funknetzes zu erreichen. Nach einer Stunde erreichte sie schliesslich einen Funkserver im Bereich Hohenlohe, der mit dem Netz seiner Eltern verbunden war. Ulli wurde wieder ganz aufgeregt, als er die Namen seiner Eltern in den Diskussionsforen entdeckte. Sarah fand das Funknetz sehr faszinierend und staunte über die Vielfalt an Informationen, die in der Überlebensdatenbank verfügbar waren. Sie konnte es kaum fassen, dass dieses Netz von Privatleuten aufgebaut worden war.

Nachdem Ulli sich versichert hatte, dass sie im richtigen Netz gelandet waren, setzte er eine persönliche Nachricht für seine Eltern auf. Sie lautete:

"Liebe Eltern,

Hoffentlich habt ihr den Crash gut überstanden.
So gut, wie ihr euch vorbereitet habt, bin ich recht zuversichtlich, dass es bei euch gut läuft.

Mir geht es gut, hier in München.
Seit ein paar Tagen helfe ich bei der Organisation eines Flüchtlingslagers.
Inzwischen haben wir schon wieder teilweise fliessend Wasser und die Kranken, Kinder und Alte haben wir in sicheren Häusern untergebracht.

Unser Familien-Kompass hat mir sehr geholfen, herauszufinden, wie ich mit der Situation umgehen soll.

Eine freundliche Dame vom militärischen Funk hat mir ermöglicht, euch eine Nachricht zukommen zu lassen.
Vielleicht werdet ihr noch mehr aus München hören, denn die Leute hier waren sehr interessiert an eurem Netz.
Sobald es geht, werde ich mich wieder melden, aber das kann eine Weile dauern, weil ich hier viel zu tun habe.

Lasst es euch gut gehen.

Euer Ulli"

Sarah schmunzelte, als sie die Nachricht abschickte: "Du bist wohl ein grosser Freund des Understatements. Was sich deine Eltern wohl vorstellen werden, wenn sie von deiner Hilfe bei der Organisation erfahren?".

Weil Ullis Rückfahrt erst eine Stunde später geplant war, hatten sie noch Zeit, im Speisesaal ein kleines Bier zu trinken. Sarah wollte gern noch mehr von seinen Eltern, ihrer Lebensweise und ihrem Netz erfahren. Ulli tat ihr den Gefallen gern, denn solange er erzählte, war er halbwegs locker im Umgang mit Sarah.

Auch Sarah erzählte ein paar Details aus ihrer Kindheit in einer Kleinstadt im Staat New York. Ulli wagte nicht, sie nach der Mischung ihrer Vorfahren zu fragen, denn er fand, dass sie sich für solche potentiell heiklen Fragen noch nicht gut genug kannten. Er war sehr froh, dass er wegen der Funkverbindung einen offiziellen Grund hatte, Sarah wiederzutreffen.

Beim Abschied küsste Sarah ihn wieder zart auf die Wange. Diesmal traute sich Ulli, ihr auch ein Küsschen auf die Wange zu drücken.

Auf dem ganzen Weg nach Hause, bis er schliesslich in seinem Bett lag und einschlief, lächelte Ulli traumverloren vor sich hin. Einige der jungen Soldaten, an denen er auf dem Weg in sein Zimmer vorbeiging, schüttelten ihre Köpfe angesichts seiner deutlich erkennbaren geistigen Abwesenheit.

Noch im Schlaf konnte man den Anflug eines Lächelns auf Ullis Gesicht erkennen.

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