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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 26


  
Der Herbst meldete sich mit aller Macht. Von einem Tag auf den anderen war es empfindlich kalt geworden und der stürmische Wind zog in alle Ritzen. Draussen regnete es und die Wolken hingen schwer am niedrigen Himmel. Die jungen Tiere brachten wir schon vor dem Frühstück in eines der Gewächshäuser, denn dort wuchs reichlich ungeplantes Grünfutter, auch Unkraut genannt.

Während ich noch beim Anschüren des Küchenofens war, denn es war inzwischen so kalt, dass ich gerne heizen wollte, rief Felix mir aus dem Büro zu: "Fritz hat geschrieben, es geht ihm gut.".

Ich eilte nach oben und war ganz aufgeregt vor lauter Freude, als ich sah, wie Felix Gesicht sich von einem freudigen Ausdruck zu empörtem Zorn verwandelte. "Was glaubt er denn, dass die schon weg sind, die Plünderer? Der ist ja wohl von allen guten Geistern verlassen. Macht es sich in seinem Haus bequem." stiess er hervor. "Stell dir vor, der Fritz hat am Anfang alles richtig gemacht; sein Haus gut unattraktiv gemacht, im Wald campiert, alles überwacht, eine organisierte Bande von Plünderern erkannt und beobachtet, abgewartet und nachdem sie einmal bei ihm waren, hat er es sich gleich wieder zuhause gemütlich gemacht.acht. Als wäre die Gefahr gebannt, durch einen nachlässigen Plünderer-Besuch. Dem werd ich was erzählen."

Felix rückte die Tastatur zurecht und tippte los. Ich stand sprachlos daneben. Eine Frage oder gar das Lesen von Fritz Botschaft war völlig indiskutabel angesichts Felix Stimmung. Die Finger hämmerten in einer irrsinnigen Geschwindigkeit eine dringende Nachricht vom Vater an den Sohn in die Tastatur.

Eigentlich wusste ich ja auch schon genug. Fritz ging es anscheinend gut, möglicherweise fast zu gut. Geduld hatte er zwar immer wieder trainiert, war aber wohl keine natürliche Stärke von ihm. Ich konnte es gut nachempfinden, dass er nach einer Woche des Abwartens endlich das neue Leben in seinem Haus in Angriff nehmen wollte. Wir taten hier schliesslich nichts anderes. Und jetzt wollte Felix ihn da wieder rausjagen? In den stürmischen Herbstregen? Aber das war immer noch besser, als getötet oder gefangengenommen zu werden. Im Waldlager war er wenigstens sein eigener Herr. Er hatte auch von einem Stollen erzählt, den er nutzen könnte.

Um mich zu beruhigen, ging ich nach unten in die Küche, wo das angefangene Feuer mangels Betreuung wieder ausgegangen war. Das Teewasser im Kessel war schon zum Teil verdampft, aber davon liess ich mich nicht stören. Nach wenigen Minuten hatte ich die Frühstückszubereitung wieder in die Gänge gebracht. Auch das Feuer im Ofen brannte inzwischen fröhlich vor sich hin. Egal wie wütend Felix war, mein Herz jubelte vor Freude, endlich zu wissen, dass es Fritz bis jetzt gut ging. Hoffentlich ging es den anderen auch gut.

Kurz darauf erklomm ich mit einer Tasse Tee in der einen und einer Tasse Kaffee in der anderen Hand wieder die Treppe zum Büro und reichte Felix den Kaffee als Besänftigungstrunk. Er nickte mir dankend zu und drückte energisch die Enter-Taste seiner Tastatur. Nachdem Felix noch eine Weile über die Unvernunft seines jüngsten Sohnes geschimpft hatte, bekam ich dann auch endlich Gelegenheit ein paar mütterliche Grüsse an Fritz zu schicken. Ich mahnte ihn natürlich auch, den Ratschlägen seines Vaters zu folgen und versicherte ihm, dass Felix eigentlich stolz auf ihn sei, egal, wie seine Nachricht klingen würde. Denn zwischen all dem Geschimpfe hatte ich deutlich herausgehört, dass Felix teilweise beeindruckt von Fritz Massnahmen war. Und das Schimpfen entsprang sowieso nur seiner Liebe und Sorge um seinen Jüngsten.

Der Rest der beiden nächsten stürmischen Tage verlief bei uns eher friedlich. Fritz versicherte uns, dass er die Wachsamkeit nicht aufgeben würde, und dass er sein Waldlager noch ausbauen würde. Von CityGuy erfuhren wir, dass er sich allmählich in der Stadt umsehen wollte, aber seine ersten kurzen Streifzüge ergaben keinen neuen Erkenntnisse. Die anderen Leute im Netz wurschtelten sich so durch, ähnlich wie wir. Das Netz wuchs jeden Tag ein bisschen. Felix nutzte die stürmischen Tage, um das Netz zu optimieren und verschiedene Pläne zu schmieden.

Auch ich freute mich über ein paar Tage, die mich im Haus hielten, denn das gab mir Zeit ein paar zusätzliche Jacken und Vorhänge zu nähen. Über meine alte Tretnähmaschine freute ich mich jetzt sehr. Schliesslich hatte ich sie für genau so einen Zweck seit Jahrzehnten aufgehoben. Selbst die Ballen mit Stoff würden jetzt endlich zum Einsatz kommen. Bisher hatte ich immer zuwenig Gelegenheit gehabt, um mehr als einen kleinen Happen von ihnen abzuknabbern und in Kleider oder andere nützliche Dinge zu verwandeln.

Am dritten Tag hörte es wieder auf zu regnen und auch der Sturm liess nach, aber es war noch recht ungemütlich. Als Felix vom Milchholen zurückkam, erzählte er, dass im kleinen Dorf inzwischen noch deutlich mehr junge Leute eingetroffen waren. Unter anderem war auch die jüngste Tochter der alten Bauern heimgekommen. Sie hatte ihrerseits ihre jüngste Tochter mitgebracht, die selbst schon fast erwachsen war. Diese beiden hatte Felix schon kennengelernt, von den anderen Neuankömmlingen hatte er nur gehört. Für den nächsten Tag sei ein offizielles Treffen aller drei Höfe mit Besprechung der näheren Zukunft anberaumt worden, und wir waren dazu eingeladen. Felix schlug vor, dass ich hingehen sollte, denn einer sollte immer unser Haus bewachen und der andere konnte weggehen.

Also machte ich mich am nächsten Nachmittag auf den Weg bergab. Zwischen den Wolken blitzte ab und zu die Sonne hindurch, was interessante Muster auf die Landschaft warf, aber die Luft blieb frisch. Den drei Höfen war die Veränderung schon von aussen anzusehen, obwohl niemand draussen auf der Strasse zu sehen war. Aus allen Kaminen quoll Rauch, den man schon auf einige Entfernung riechen konnte. Bei den bisher unbewohnten Häusern standen die Fensterläden offen und liessen den Blick auf stumpfe Fensterscheiben fallen. Vor der Haustür der angehenden Biobauern stand ein recht grosser Bollerwagen, den ich dort bisher noch nie gesehen hatte.

Da ich vermutete, dass das Treffen bei den Alt-Bauern stattfinden würde, klopfte ich dort wie gewohnt an und wurde auch prompt von einer Frau etwa in meinem Alter begrüsst. Ihre Augenpartie erinnerte stark an die alte Bäuerin, sodass ich vermutete, dass es sich bei der Frau um die Tochter der Bauern handelte. "Guten Tag, Sie sind bestimmt Frau Burkhardt von der alten Gärtnerei.", sagte sie freundlich.

"Guten Tag, ja das stimmt. Und sie dürften Frau Gugel sein.", mutmasste ich.

"Teilweise richtig, so hiess ich früher. Jetzt heisse ich Schmidt. Kommen Sie doch rein, die anderen sind schon da.", bat sie mich ins Haus.

Die normalerweise geräumige Wohnküche der Gugels war so voll, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Beim Anblick der vielen Leute, die mich erwartungsvoll ansahen, fiel mir sofort ein, dass all diese Leute zusätzlich durchgefüttert werden mussten und erschauerte leicht, angesichts der grossen Aufgabe.

"Hallo, ich bin Frau Burkhardt und ich wohne zusammen mit meinem Mann in der alten Gärtnerei oben am Hang.", begrüsste ich die Runde.

Die alte Frau Gugel, die fröhlicher also sonst erschien, nahm es auf sich, mir die Neuankömmlinge vorzustellen, nachdem sie mir den letzten freien Stuhl angeboten hatte.

"Unsere jüngste Tochter Angelika haben Sie ja schon kurz kennengelernt. Hier haben wir ihre Tochter Lisa, die kurz vor dem Abitur steht.". Sie deutete auf eine junge attraktive Frau, die so aussah, als würde sie sehr gut in eine Grossstadt passen. Hier wirkte sie etwas fehl am Platz, was ihr wohl auch so schien, denn sie zog ein leidendes Gesicht, bemühte sich aber dennoch, mir höflich zuzunicken.

"Neben Lisa sitzt Herr Hufschmied, der bereits Ihren Mann kennengelernt hat. Ach, am besten stellen Sie sich alle selbst vor, schliesslich kenne ich Sie bisher auch kaum.", schlug Frau Gugel vor.

"Ja also, wie gesagt, heisse ich Hufschmied.", sagte selbiger und rückte seine Brille zurecht. "Mit Hufen kenne ich mich leider nicht aus, aber ich bin durchaus Willens, das Leben auf dem Lande zu lernen."

Neben ihm sass eine dunkelblonde Frau Anfang zwanzig, die ein Kostüm trug, das sehr gut in ein Büro gepasst hätte. "Mein Name ist Margot Zimmer und bisher habe ich als Sekretärin gearbeitet. Herrn Hufschmied kenne ich aus dem Büro und hatte das Glück, dass er mich mit aufs Land genommen hat."

"Und ich bin Michael Friedrich. Ihren Mann habe ich kürzlich schon kennengelernt.". Der junge Mann sah aus, als ob er zupacken könnte. Er strahlte eine gewisse Gelassenheit aus, im Gegensatz zu den meisten anderen der Neuankömmlinge.

"Thorsten Walbeck. Ich bin mit den anderen dreien gekommen.", nuschelte der Sitznachbar von Herrn Friedrich kurzangebunden. Er sah sehr unzufrieden aus. Vielleicht war das auch sein Dauerzustand, denn die Unzufriedenheit war ihm schon tief ins Gesicht gezogen.".

Der Mann, der neben ihm sass, wirkte völlig anders. Er strahlte eine tiefe Freude aus, sodass man hätte glauben können, dass seine jetzige Situation genau das war, worauf er sich schon immer gefreut hatte. Seine Haare standen in wilden, dichten Locken in alle Richtungen und mit seinem Bart kitzelte er unbeabsichtigt das kleine Kind, das auf seinem Schoss sass. Mir schien, als würde er mich genau betrachten, bevor er anhob zu sprechen.

"Mein Name ist Schweizer. Um genau zu sein, heissen wir alle von unserem Hof Schweizer, denn wir sind eine Familie. Und ich bin der Peter. Wir wollten sowieso im Frühling anfangen, den Hof zu bewirtschaften und jetzt ist alles etwas schneller gegangen. Und hier auf meinem Schoss sitzt Sascha, mein Ältester. Er ist schon vier.". Der kleine Sascha hob zur Bestätigung seine Hand und bemühte sich, den Daumen zu verstecken, damit alle deutlich die vier Finger sehen konnten. Dabei nickte er nachdrücklich und strahlte in die Runde.

"Ich bin die Susanne, die Frau von Peter und die Mutter von Sascha und Ralf. Ralf ist zwei Jahre alt.". Damit meinte die junge Frau fraglos den Jungen, der auf ihrem Schoss sass und neugierig um sich blickte.

Die Frau neben ihr war für den Kennerblick unübersehbar schwanger. Sie wirkte nicht ganz so zuversichtlich, wie ihre beiden Verwandten. "Mich können Sie Beate nennen und wie Sie bestimmt schon erkannt haben, bekomme ich bald ein Baby. Kurz nach Weihnachten soll es soweit sein, aber ich weiss gar nicht, wie das hier in der Einöde funktionieren soll.". Dabei traten ihr Tränen in die Augen, die sie hastig wegwischte.

"Keine Sorge, das mit dem Baby werden wir schon irgendwie hinkriegen. Ich hab einiges an Erfahrung bei Hausgeburten und Ihre Schwägerin kennt sich offensichtlich auch schon mit dem Kinderkriegen aus.", versuchte ich die Frau aufzumuntern. Das gelang mir wohl auch ein wenig, denn sie nickte mir dankbar zu.

Der letzte in der Runde war wieder ein Mann. An der Augenpartie konnte man deutlich erkennen, dass er mit Peter verwandt war. Er sagte: "Und ich bin der Lutz. Um Missverständnissen von vorneherein vorzubeugen: Ich bin nicht der Mann meiner Schwester Beate. Der Vater der Babies hat sich frühzeitig aus dem Staub gemacht. Aber zwei Brüder sind fast so gut, wie ein Ehemann, von gewissen Details mal abgesehen.". Dabei zwinkerte er mir zu und legte fürsorglich seinen Arm um seine schwangere Schwester.

Bei näherem Hinsehen konnte man auch bei Beate die familientypische Augenpartie erkennen. Wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, es mit zwei Paaren zu tun zu haben, aber offensichtlich hatte ich mich geirrt.

Peter Schweizer fing an zu sprechen: "Ich habe dieses Treffen vorgeschlagen, weil wir Neuankömmlinge ja nicht gerade optimal ausgestattet sind, um die kommende Zeit zu überstehen. Und ich dachte mir, dass es wahrscheinlich am besten ist, wenn man sich mal zusammensetzt, um zu sehen, was für Möglichkeiten es gibt.".

Herr Gugel meldete sich zu Wort: "Wir haben beiden Familien schon angeboten, dass wir sie mit Milchprodukten versorgen können, wenn im Gegenzug zwei starke Männer bei uns auf dem Hof mithelfen. Weibliche Verstärkung haben wir jetzt ja selber schon.". Dabei ruhte sein Blick stolz auf Tochter und Enkelin.

"Ich würde gerne kommen und bei Ihnen mithelfen. Wahrscheinlich kann ich auch noch viel von Ihnen lernen.", sagte Lutz.

"Ja, ich arbeite auch gerne bei Ihnen.", meldete sich Herr Friedrich vom anderen Hof.

"Fragt sich nur, woher wir anderes Essen bekommen. Wir sechs haben unsere Vorräte schon unterwegs aufgebraucht, weil wir gar nicht soviel mitnehmen konnten.", gab Peter zu bedenken.

"Wir haben leider auch nichts anzubieten, was das Essen angeht, denn wir haben gerade genug für uns und eventuell für unsere Kinder, falls sie kommen. Und wenn alle kommen, wird es selbst bei uns sehr knapp. Aber im grossen Dorf gibt es mindestens einen Bauern, der einiges an Getreide gelagert hat. Gegen fleissige Mithilfe können Sie dort bestimmt einiges an Essen bekommen. Die Frau des Getreidebauern ist auch schwanger.", erklärte ich und bedauerte, dass wir keine grossen Nahrungsspeicher hatten, die für alle reichten. Aber damit hatten wir von Anfang an rechnen müssen. Ich hatte Jahre gebraucht, mich innerlich auf eine Situation wie diese einzustellen. Dennoch fiel es mir nicht leicht, zu sagen, dass wir kein Essen abgeben könnten.

"Das ist gut zu wissen, dass es im grossen Dorf noch Möglichkeiten gibt. Ich war schon ziemlich ratlos, was die Ernährung über Winter und Frühjahr angeht, wenn sich die Stromsituation nicht bald wieder bessert.", sagte Peter.

"Ist das denn Biogetreide, das die Bauern im Dorf anbauen? Wir ernähren uns nämlich rein biologisch.", wandte Susanne ein.

Die plötzlich entstandene Stille hätte man schweigen können.

"Susanne!", unterbrach Peter das peinliche Schweigen. "Wir können uns freuen, wenn wir überhaupt genug zu essen haben, in den nächsten Monaten. Wie kannst du so undankbar sein, und auch noch Bionahrung verlangen?".

Susanne lief rot an und blickte verunsichert in die Runde. Der kleine Ralf schien die Verunsicherung zu spüren und fing an zu zappeln.

"Äh, entschuldigen Sie bitte. Ich hab das wohl noch nicht so richtig kapiert, wie die Welt jetzt funktioniert. Das ist mir so rausgerutscht, mit dem Biogetreide.", sagte Susanne nachdem sie sich etwas gefasst hatte.

Der alte Herr Gugel rettete die Situation durch einen Themawechsel: "Haben Sie denn Holz zum Heizen?".

Herr Friedrich antwortete schnell: "Ja, wir haben da noch einen Stapel mit altem Brennholz rumliegen. Den wollten wir eigentlich entsorgen, aber das haben wir glücklicherweise noch nicht geschafft. Im Schuppen steht auch ein alter Ofen. Ich weiss jedoch nicht, ob der noch funktioniert."

"Nun, das werden wir sehen, ob der Ofen noch funktioniert. Zur Not können wir das reparieren. Und Ihr Holz werden wir mal überprüfen, wielange Sie damit auskommen.", schlug Herr Gugel vor. "Und wie sieht es bei Ihnen aus mit dem Holz?", fragte er die Familie Schweizer.

"Wir haben nur einen kleinen Haufen, mit dem wir jetzt schon heizen, aber der wird in etwa einer Woche verbraucht sein. Ausserdem reicht der eine Ofen nicht. Die Kinder frieren nachts.", antwortete Peter.

"Wir haben ein Los im Wald, das heisst, wir dürfen eine gewisse Menge Bäume schlagen. Das ist zum Heizen aber erst für nächstes Jahr interessant. Wahrscheinlich gibt es aber auch Totholz, das man schon dieses Jahr verheizen kann. Das wären natürlich eher dünne Äste und so. Wahrscheinlich ist das ganze Holz für uns zuviel, also könnten Sie sich daran beteiligen. Ist natürlich mit recht viel Arbeit verbunden. Uns ist das mit dem Baumfällen auch noch neu. Das Holzhacken klappt aber schon ganz gut.", schlug ich vor.

"Sehr gut.", meldete sich Lutz zu Wort. "Ich hab eine Weile im Gartenbau gearbeitet und dabei viele Bäume fällen müssen. Da mach ich gerne mit, wenn etwas Holz für uns abspringt.".

"Unser Los im Wald reicht auch für mehr als für unseren Hof. Und ein wenig Holz könnten wir Ihnen wohl auch für diesen Winter schon abgeben, wenn Sie uns den Nachschub aus dem Wald holen, denn ich werd allmählich zu alt für die Knochenarbeit.". Herr Gugel ging ganz souverän zur Sache. Man konnte förmlich sehen, wie die Jahrzehnte von ihm abfielen, seiner Bemerkung mit dem Alter zum Trotz.

"Ansonsten könnten wir Sie in medizinischen Dingen halbwegs unterstützen, damit kenne ich mich ein wenig aus. Wir haben auch einiges an Infos, wie man mit einfachsten Möglichkeiten nützliche Geräte herstellen kann.", bot ich noch an. "Haben Sie genug zum Anziehen für die Kinder?", fragte ich an die Frauen der Familie Schweizer gerichtet.

"Ja.", sagte Susanne zögernd. "Fürs Erste reicht es. Wenn es wirklich kalt wird, wird es vielleicht knapp, denn wir sind ja gut geheizte Wohnungen gewöhnt. Aber wir haben auch keinen Stoff und darum bin ich da ziemlich ratlos.".

"Oben habe ich eine Tretnähmaschine und ein bisschen Stoff für die Kinder werden wir schon auftreiben. Wie sieht es denn mit Babykleidern aus?", fragte ich Beate direkt.

"Für das Baby habe ich bisher nur ein paar Sonntags-Strampler. Aber normale Kleidung und Windeln hab ich noch gar nicht. Die wollte ich eigentlich im Oktober nach und nach kaufen.". Dabei traten ihr wieder Tränen in die Augen.

Schnell sagte ich: "Ok, das kriegen wir auch hin. Frau Eberle vom Dorf unten muss auch noch Babykleider herstellen. Da können Sie sich bestimmt zusammentun.".

Beate nickte tapfer. "Gottseidank kann ich wenigstens stricken und nähen. Bisher hielt ich mich immer für altmodisch, weil ich mich so gern mit Handarbeiten beschäftigt habe.".

"Damit haben Sie gleich einen Trumpf in der neuen Welt. Jetzt, wo die Maschinen kaputt sind, werden all die alten Techniken wieder gebraucht. Und wer etwas mit einfach Mitteln herstellen kann, hat eine begehrte Fähigkeit.", bestärkte ich Beate.

"Zum Nähen könnte ich auch was beitragen.", liess sich Margot Zimmer von der anderen Seite des Tisches hören. "Früher habe ich viel genäht. Zwar eher möglichst schicke Fummel, aber schlichte Kleider dürften ja eher einfacher sein.".

"Sehr gut.", sagte ich. "Einfache Kleider sind tatsächlich ziemlich einfach zu nähen.".

"Bei uns auf dem Speicher steht noch eine alte Tretnähmaschine. Die hat zwar zuletzt nicht mehr funktioniert, aber vielleicht kann man sie reparieren.", bot Frau Gugel an.

Da meldete ich mich sofort: "Wunderbar, ich hab schon etliche alte Tretnähmaschinen wieder zum Laufen gebracht. Das war mal eine Weile eine Art Hobby von mir. Die schau ich mir demnächst mal an.". Das mit der zusätzlichen Nähmaschine war mir sehr lieb, denn ich hatte schon befürchtet, mein gutes altes Stück mit all diesen Frauen teilen zu müssen. Das hätte ich zwar wohl gemacht, aber gefallen hätte es mir nicht.

Wir sprachen noch über diverse andere Dinge des Alltags, die plötzlich zur Rarität geworden waren. Im Verlauf des Gespräches lud ich Beate zu einem Besuch bei uns ein, damit ich mir mal ihre Schwangerschafts-Situation genauer anschauen konnte. Auch die anderen lud ich natürlich ein, aber nicht so gezielt. Weil die Neu-Bauern jedoch viel zu erledigen hatten, würde ich wohl frühestens in einer Woche mit einem Besuch rechnen können.

Beim Abschied fiel mir im letzten Moment noch der Jogurt ein, den ich Frau Gugel mitgebracht hatte. Ich übergab ihn ihr und sie reichte ihn gleich weiter an ihre Tochter, die anscheinend seit neuestem für die Molkerei zuständig war.

Zuhause angekommen hatte ich viel zu erzählen. Felix lobte mich, dass ich beim Thema Essensspenden standhaft geblieben war und ich war auch sehr froh, denn davor hatte mir gegraut. Er war inzwischen fleissig im Netz und auf dem Hof gewesen. Unsere Wintervorbereitungen machten gute Fortschritte.

Bei einem gemütlichen Gläschen Wein am Abend fielen mir wieder die neuen Nachbarn ein. Da hatten sie schon ein eigenen Haus auf dem Lande, waren also in einer besonders priviligierten Situation und dennoch mussten sie jetzt ein hartes, karges Leben führen. Dagegen hatten wir es wirklich gut. Um den Winter zu überstehen, hätten wir eigentlich gar nichts mehr gross tun müssen. Unsere Vorbereitungen dienten eher schon dem nächsten Jahr.

Am nächsten Tag machte Felix sich auf den Weg, um die neuen Nachbarn kennenzulernen. Wir einigten uns darauf, dass er den Nachbarn je eine Packung Kaffee mitbringen würde, quasi als kleines Begrüssungsgeschenk. Im letzten Moment erinnerte ich mich an Susanne und schlug vor, den einen Kaffee durch eine Kräutertee-Mischung zu ersetzen. Meine Kräutertees kamen immerhin aus organischem Eigenanbau, das würde das Bioherz höher schlagen lassen. Die Getränke wurden sehr begrüsst und Felix erzählte mir am Abend, dass er sich mit den Männern für nächste Woche zu einer Holzaktion im Wald verabredet hatte.

Die Überwachung des grossen Dorfes machte auch Fortschritte, denn Felix hatte ihnen die versprochenen Webcams gebracht und sie funktionierten zufriedenstellend. Neue Plünderer waren nicht gekommen, stattdessen aber haufenweise Verwandte und Freunde, sodass das Dorf allämhlich überbevölkert wurde.

Der Rest der Woche verlief ziemlich ruhig und sogar der umgegrabene Teil des Gartens wuchs sichtbar an. Der Stapel des gehackten Holzes wuchs auch von Tag zu Tag und am Wochenende hatten wir sogar fliessendes Wasser im Haus, weil Felix es geschafft hatte, ein Loch durch die Wand zu bohren, durch das wir die Leitung in die Küche führen konnten.

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