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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 23


  
Herrlich ausgeschlafen ging Ronja am nächsten Morgen wie üblich auf den Balkon, um das Wasser für den Kaffee heiss zu machen. Noch hatten sie ein paar Pappen und Holzstückchen für ihren improvisierten Herd, aber bald würden sie ausser Nahrungsmitteln auch Brennmaterial suchen müssen. Während das Wasser langsam warm wurde, spähte sie über die Balkonbrüstung und sah nur Leere und Gerümpel zwischen den Häusern. Die Plünderer hatten sich anscheinend gründlich verzogen. Im Stillen pries Ronja die unbekannten Organisatoren des Lagers, die ihnen die Plünderer vom Hals geschafft hatten.

Den Vormittag verbrachte die kleine Familie wieder mit Unterricht, der allen viel Spass machte. Anna ging ja sowieso noch gerne in die Schule, aber die beiden Frauen erinnerten sich an viele langweilige Stunden in ihrer Schulzeit und fanden ihren eigenen Unterricht sehr viel spannender. Aber es war natürlich einfacher, einer einzelnen wissbegierigen Schülerin etwas beizubringen, als gegen die Unlust einer ganzen Teeniehorde anzukämpfen. Wenn nicht die Neugier auf neue Unternehmungen mit ihren RFID-Scannern gewesen wäre, hätten sie bestimmt den ganzen Tag mit Schulespielen verbracht.

Beim Mittagessen sprach Ronja aus, was den anderen beiden zwischendrin auch immer wieder durch den Kopf gegangen war: "Ich frag mich, wie das weitergehen soll. Hier sitzen und lernen und nachmittags essen sammeln gehen ist zwar ganz lustig, aber das kann ja kein Dauerzustand sein. Irgendwann müsste sich doch da mal was tun mit der Katastrophe. ".

"Das hab ich mich auch schon immer wieder gefragt." entgegnete Nanni. "Keine Anweisungen von oben, was man tun soll, kein patroullierendes Militär, das für Ordnung sorgt, kein Ersatzstrom, keine Wasserwagen und es wird von Tag zu Tag kälter.".

"Genau, Militär hätte ich bei sowas auch erwartet. Sogar in Somalia tauchen sie haufenweise auf, wenn dort was los ist. Und Polizisten müsste es doch auch noch geben, die für Ordnung sorgen." bestätigte Ronja Nannis Aufzählung.

"Wahrscheinlich sind die alle vollauf damit beschäftigt, die Politker vor dem randalierenden Mob zu schützen." vermutete Nanni mit leichtem Sarkasmus in der Stimme und ahnte nicht, dass sie damit den Nagel auf den Kopf traf.

"Vorräte einsammeln ist aber bestimmt auf jeden Fall sinnvoll, egal wie es weitergeht.", sagte Ronja und die beiden anderen stimmten ihr zu.

Sie packten ihre Taschen und die RFID-Scanner ein, um sich für neue Abenteuer zu rüsten. Die Haustür war noch ordnungsgemäss verschlossen, was Ronja als gutes Zeichen wertete. Zuerst gingen sie zur Anschlagtafel zwischen den Häusern, aber leider war dort nichts neues zu erfahren. Dieses Abgeschnittensein vom Puls der Zeit war ein sehr merkwürdiges Gefühl. In guten Zeiten konnte man sich vor Neuigkeiten kaum retten und jetzt erfuhren sie nichts von dem, was in der Welt vor sich ging.

Der Weg führte sie als nächstes wieder ins Einkaufszentrum, denn dort hatten sie gestern nur einen kleinen Teil durchforstet. Neben dem Supermarkt befand sich eine Apotheke, die auch schon sehr durchgeplündert aussah. Nanni stieg als erste vorsichtig durch die zersplitterte Glastür, deren unterer Teil mit grossen scharfen Zacken noch im Boden steckte. Ronja hob Anna anschliessend hoch und reichte sie Nanni über die Scherbenbarriere, denn für ein Kind von Annas Grösse, waren die Scherben zu hoch, um sie gefahrlos zu übersteigen.

Drinnen angekommen erwartete sie ein heilloses Durcheinander. Fast alle Medikamentenschachteln waren aus den Regalen geworfen und lagen in wirren Haufen auf dem Boden. Die Plünderer waren zwar gründlich beim Chaos gewesen, aber mitgenommen hatten sie offensichtlich nicht sehr viel. Vielleicht waren sie auch vor allem auf der Suche nach drogenähnlichen Mitteln gewesen. Anna hob eine Schachtel vom Boden auf und betrachtete sie neugierig.

"F u n g i z i d.", entzifferte sie mühsam, "Was ist denn das für ein Zeug?".

"Wahrscheinlich ist das gegen Hautpilz." erinnerte sich Ronja unsicher an ihr rudimentäres medizinisches Wissen. "Die Frage ist, was brauchen wir von hier? Wir sind ja schliesslich nicht krank. Vielleicht sollten wir einfach die Hausapotheke etwas aufstocken und Verbandszeug, Schmerztabletten, Erkältungstropfen und solche Sachen einpacken."

Die anderen fanden die Idee gut und so suchten sie sich normale Standardmedikamente zusammen. Anna konnte mit den normalen Mitteln nichts anfangen und stöberte daher bei den bunteren Haufen. Sie kam mit mehreren Packungen Vitamin-Brausetabletten an und Ronja lobte sie sehr, denn sie hatte bisher gar nicht an die Vitaminversorgung gedacht. Ausserdem hätte man jedes Mal ein schmackhaftes Getränk, was vor allem Anna gefallen würde, wie man ihren leuchtenden Augen deutlich ansehen konnte. Also forderte Ronja Anna auf, noch mehr von den Vitamin-Brausetabletten zu suchen, was Anna auch sofort in Angriff nahm.

Ausgerüstet mit einer besseren Hausapotheke, als sie je zuvor besessen hatten, verliessen sie die Apotheke und widmeten sich einem Klamottenladen. Die Ständer mit den teureren Kleidungsstücken waren fast ausnahmslos leergeplündert, aber bei den billigen T-Shirts, Jogginghosen und diversem Zubehör wurden sie noch fündig.

Merkwürdigerweise war es im gesamten Einkaufszentrum völlig leer. Als wären sie in einer Geisterstadt. Ronja und Nanni fragten sich, wo die ganzen Leute wohl abgeblieben seien, waren aber irgendwie auch ganz froh, dass sie nicht auf gefährliche Fremde gestossen waren. Da die mitgenommenen Taschen schon voll waren, machten sie sich schwer bepackt auf den Heimweg.

Kurz vor der Anschlagtafel kam ihnen ein junger Mann entgegen, der sie freundlich grüsste. Nanni nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte ihn, ob er was Neues wüsste von der Situation.

"Oh, von den Neuigkeiten komme ich gerade her. Die sind aber nicht besonders zu empfehlen.", meinte er zwinkernd. "Das Auffanglager hier in der Nähe, in dem ich ein paar Tage war, ist völlig überfüllt und die hygienischen Zustände versprechen baldige Seuchen. Da bin ich dann lieber wieder in das wilde Feindesland zurückgekehrt." Dabei konnte man seiner Heiterkeit deutlich anmerken, dass sie nicht sehr tief ging und dass es ihm innendrin wohl ziemlich elend ging.

"Und wo wollen Sie jetzt hin?", fragte Nanni unverblümt.

"Ich wohne in dem Haus dort.", dabei zeigte er auf das Haus, in dem auch Ronja und ihre Familie wohnten. "Meine Wohnung ist ziemlich verwüstet und ausgeraubt, aber es wird schon irgendwie gehen."

"Da wohnen wir ja im gleichen Haus. Wenn Sie wollen, können Sie auf einen Kaffee zu uns kommen." lud Nanni den jungen Mann spontan ein. Ein Blick auf Ronja versicherte ihr, dass die Einladung in Ordnung war.

Ronja hatte die Zeit genutzt, um den jungen Mann gründlich zu taxieren, denn sie wollte es vermeiden, ein Monster in ihre Wohnung einzuladen. Wie ein Monster wirkte er jedoch nicht mit seinen freundlichen graublauen Augen, an deren Aussenrändern man schon kleine Lachfältchen ahnen konnte. Auch von der Statur her wirkte er nicht bedrohlich, denn er war etwa mittelgross und ziemlich schlacksig. Wenn seine Nase nicht so kräftig gewesen wäre, hätte man sein Gesicht als zart oder geradezu hübsch bezeichnen können. Die mittelblonden kurzen Locken standen struppig in alle Richtungen ab und am Kinn spross ein weicher Bart. Ronja musste unwillkürlich an die Rasierapparate denken, die sie in der Apotheke hatten liegen lassen und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

Das empfand der junge Mann wohl als Aufmunterung, denn er verbeugte sich vor den Dreien und sagte galant: "Darf ich mich den werten Damen vorstellen. Meine Name ist Klaus. Und mit wem habe ich die Ehre?".

"Ich heisse Ronja, das ist Nanni und dies hier meine Tochter Anna." übernahm Ronja die Vorstellung der ganzen Familie. Anna ergriff Klaus Hand und zog ihn in Richtung Haus. Die beiden Frauen folgten schmunzelnd. Am Haus angekommen, bedeutete Ronja Nanni unauffällig Klaus beim Aufschliessen der Tür den Vortritt zu lassen, um sicher zu gehen, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Die Vorsichtsmassnahme erwies sich jedoch als überflüssig, denn Klaus hatte seinen Schlüssel schon aus seiner Jacke geholt, bevor die Frauen die Tür erreicht hatten.

"Ah, gut abgeschlossen.", lobte Klaus. "So hätten wir es auch in den ersten Nächten machen sollen, vielleicht wäre meine Wohnung dann noch heile." Auf dem Weg nach oben kamen sie im dritten Stock an Klaus Wohnung vorbei. Die Tür war eingeschlagen und in den Zimmern bot sich das mittlerweile bekannte Bild.

"Da können wir dir morgen mal beim Aufräumen helfen." bot Nanni an. "Das kriegen wir schon wieder hin. Komm einfach erstmal mit zu uns.".

Das liess Klaus sich nicht zweimal sagen und so gingen sie hoch in ihre Wohnung. Klaus staunte über den praktischen Blechdosen-Kocher und als der Kaffee fertig war, liess er sich mit einem Seufzen auf einen Stuhl sinken. "An solch einen Luxus war in dem Lager überhaupt nicht dran zu denken. Herrlich, einfach herrlich dieser Kaffee, ich danke euch.", sagte er nachdem er ein paar kleine Schlucke genossen hatte.

"Was ist denn das für ein Lager?" nahm Anna die Frage der beiden Frauen vorweg.

"Oh, was für ein Lager? Ein grosses, grässliches Lager ist das. Mit lauter Zelten und viel zuwenig Toiletten, endlos langen Warteschlangen, wenig zu essen, viel Streit, ständige Schlägereien und seit ein paar Tagen die ersten Toten. Zuerst ging es noch, aber dann haben sie den plündernden Mob aus den Strassen eingesammelt und mit uns eingepfercht, da wurde es dann unerträglich. Und bevor sich da noch Seuchen ausbreiten, bin ich lieber von dort weggegangen.", erzählte Klaus.

"Wie gut, dass wir da nicht hingegangen sind.", freute sich Nanni. "Die Plünderer, die zwischen unseren Häusern campiert hatten, sind dort wohl hingegangen. Wir dachten uns gleich, dass wir nicht dort sein wollen, wo die hingehen."

"Was machst du denn sonst so?", fragte Ronja, die sich gerne ein besseres Bild von Klaus machen wollte.

"Bisher habe ich Medizin studiert und wenn diese Katastrophe nicht dazwischen gekommen wäre, wäre ich nächstes Jahr vielleicht schon mit dem Examen fertig gewesen. Aber jetzt ist wohl alles anders.", erklärte Klaus kurz zusammengefasst.

"Ja, jetzt ist irgendwie alles anders.", stimmte Ronja zu.

Die vier hielten noch ein ausgiebiges Gespräch über Vergangenes, Aktuelles und Zukünftiges. Erst lange nach Mitternacht stellten sie fest, wie schnell die Zeit vergangen war und Nanni bot Klaus das Sofa zum Übernachten an, weil bei ihm ja nicht mal die Tür zu ging.

Klaus zögerte etwas, nahm dann jedoch mit einem erleichterten Seufzen an. Nachdem er geholfen hatte, die längst eingeschlafene Anna ins Bett zu tragen, streckte sich Klaus wohlig auf dem Sofa aus und kuschelte sich in die angebotene Wolldecke. Auch die Frauen waren schon so müde, dass sie kaum noch den Weg ins Bett fanden und dort sofort einschliefen.

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