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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 21


  
Fünf junge Frauen knieten vor Fritz auf dem Boden und hielten ihm flehend ihre mit schweren, rostigen Ketten gefesselten zierlichen Hände entgegen. Ihr Flehen stach Fritz in die Seele. Er zückte sein Messer und schnitt eine Kette nach der anderen durch. Die Frauen warfen sich Fritz an den Hals und bedeckten ihn mit Küssen des Dankes. Ihre schlanken Leiber schmiegten sich vielversprechend an ihn und liessen ihn kaum zu Atem kommen.

Er signalisierte den Frauen mit Zeichensprache, dass es Zeit zum Fliehen war und als die Damen nicht von ihm abliessen, nahm er einfach eine davon bei der Hand und zog sie in Richtung Ausgang. Die anderen Frauen schlossen sich ihnen an und so zogen sie einer Menschenschlange gleich in die kalte dunkle Nacht.

Der Sturm toste und Fritz konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Wie durch zähen Schlamm watend kamen sie nur langsam voran und Fritz musste kräftig ziehen, um die Frauen beim Weitergehen zu unterstüzen. Dabei fürchtete er jede Sekunde entdeckt und verfolgt zu werden. Er mahnte die Frauen zur Lautlosigkeit und kämpfte selber weiter gegen den vermeintlichen Schlamm an. Baumwurzeln liessen ihn alle paar Meter fast stürzen und immer wieder musste er den hingefallenen Frauen beim Aufstehen helfen. Die seidenen Gewänder der Frauen waren inzwischen braun verschmiert und teilweise zerrissen. Die langen offenen Haare, die allen Frauen gemeinsam waren, hingen voller Zweige und Blätter. Dreien liefen Tränen über die schmutzigen Wangen. Die Rothaarige aber streckte entschlossen ihr Kinn nach vorne und biss sichtbar die Zähne zusammen und die kleinere der Blonden lächelte einfach engelsgleich, was Fritz mehr irritierte, als die Tränen der anderen.

In der Ferne hörten sie von hinten lautes Hundegebell und Kommandorufe. Fritz trieb die Frauen unerbittlich an und verzweifelte fast daran, wie langsam sie vorwärts kamen. Immer weiter drangen sie in den dichten Wald vor, obwohl jeder Schritt ein kleiner Kampf war. Manchmal schien es Fritz, als wären seine Füsse auf dem Boden festgeklebt. Zuerst wurde das Hundegebell immer lauter und schien näher zu kommen, aber nach endlos scheinender Zeit ebbten die Bellgeräusche langsam ab und das Vorwärtskommen schien leichter zu werden.

Fritz blickte sich um und konnte in der Dunkelheit nur Schemen erkennen. Sie befanden sich offensichtlich in dichtem Wald. Ihm war bisher gar nicht bewusst gewesen, dass es in seiner Nähe einen solch dichten Wald gab, aber er hatte wohl noch nicht alle Stellen kennengelernt. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden. Die Frauen sahen ihn erwartungsvoll an.

Er steckte seine freie Hand in die Hosentasche, um den Kompass herauszuholen. Da war aber kein Kompass. Den hatte ja auch sein Bruder bekommen, fiel ihm plötzlich ein. Ob ihn jetzt der Familienfluch der Orientierungslosigkeit überkommen würde? Wo er sich doch bisher davon verschont geglaubt hatte. Sogar beim Bund war er immer einer der besten bei Orientierungsübungen gewesen. Er versuchte, sich an seine Orientierungsfähigkeiten zu erinnern. "Folge dem Licht" sagte eine Stimme in ihm und er wusste, dass das die Lösung war. Er schaute sich um und siehe da, in etwa zehn Meter Entfernung konnte er ein schwaches Licht erkennen. Er ging mit den Frauen darauf zu und das Licht sprang vor ihnen auf und ab, als würde jemand unsichtbares eine Lampe halten und ihnen den Weg weisen.

Sie folgtem dem Licht und nach kurzer Zeit öffnete sich der Wald vor ihnen zu einer Kuppel. Das Dach der Kuppel bestand aus den Kronen riesiger alter Bäume, deren Blätter sacht im Wind wehten. Eine natürliche Kathedrale, die von innen heraus zu leuchten schien.

In der Mitte stand ein leerer weisser Tisch mit sechs Stühlen. Die Frauen drängten ihn in Richtung Tisch und er liess es gern mit sich geschehen, obwohl er es auch nicht lassen konnte, sich umzuschauen. Ausser den fünf Frauen und ihm war niemand zu sehen, aber merkwürdig war das schon, so eine leuchtende Kathedrale mitten im Wald mit Tisch und Stühlen.

"Danke, dass du uns gerettet hast." sagte die exotisch wirkende Schönheit mit den schwarzen Haaren und hauchte im einen Kuss auf die Wange. Die Brünette, deren Tränen inzwischen getrocknet waren und die trotz der unübersehbaren Spuren auf ihren verschmierten Wangen sehr anziehend wirkte, schmiegte sich an ihn und sagte mit samtiger Stimme: "Oh ja, du bist unser heldenhafter Retter." Jetzt kam auch die Rothaarige, nickte ihm anerkennend zu und verkündete: "Ja, hast du wirklich gut gemacht.", nicht ohne ihm den Arm um die Hüften zu legen. "Wie du das hingekriegt hast, wirklich beeindruckend." liess die Platinblonde vernehmen und schloss sich der allgemeinen Umarmung an. Den Schluss bildete die süsse kleine mit den goldblonden Engelslocken, die ihm einen dicken Kuss direkt auf die Lippen gab und lächend schmachtete "Du bist einfach wunderbar."

"Und jetzt wollen wir essen." rief die Rothaarige aus. Fritz sah sich leicht verwirrt um, auf der Suche nach dem angekündigten Essen, dann spürte er, wie sich die langen Haare der Rothaarigen um seinen Brustkorb wanden. Sowas sollte doch eigentlich nicht nöglich sein. "Au ja, wir haben Hunger." auch die Haare der Schwarzhaarigen wanden sich um seinen Körper. Die weissblonden Haare kamen angezüngelt, als die Platinblonde säuselte "Mhm lecker, ich weiss auch schon was.". Als die brünetten Haare seine Hände fesselten, leckte die dazugehörende Frau ihm über das ganze Gesicht und seufzte dann.

"Wir wollen dich!" stiess das engelsgleiche Wesen mit den goldblonden Locken erregt aus. Ihre Haare nahmen ihm den letzten Rest an Bewegungsfreiheit und ihr Gesicht näherte sich dem seinen. Ihr Mund öffnete sich. Zuerst nur ein wenig, doch dann immer weiter.

Der Mund öffnete sich immer weiter und weiter, bis Fritz von dem Gesicht der jungen Frau nichts mehr sehen konnte. Und die riesige schwarze Höhle näherte sich ihm immer mehr.

Fritz versuchte gegen die Umschlingung anzukämpfen und wollte schreien, aber kein Laut kam aus seiner Kehle. Der Kampf gegen die Fesseln schien aussichtslos.

Abrupt öffnete er seine Augen und sah über sich ein olivgrünes Schimmern. Es sah aus wie Stoff, mit einer Stange in der Mitte. Sein Zelt. Er hatte sich vollständig in seinen Schlafsack verheddert und konnte sich nur mit Mühe daraus befreien. Der Traum war so lebendig gewesen, dass es ihm schwerfiel, sich zurechtzufinden. Zumal er es in letzter Zeit gar nicht mehr gewöhnt war, im Zelt zu übernachten.

Er schälte sich vollständig aus dem Schlafsack und streckte sich erstmal in alle Richtungen, um langsam wach zu werden. Dann öffnete er den Reissverschluss des Zeltes und sofort schlug ihm kalte Herbstluft entgegen. Das machte ihn schlagartig richtig wach. Um warm und beweglich zu werden, machte er ein paar Auflockerungsübungen und überprüfte dann seine Webcams.

Alles schien ruhig und so nahm er sich die Zeit für einen ausgiebigen Morgenkaffee. Die Geister des Traumes liessen ihm keine Ruhe und er überdachte erneut eine mögliche Rettung der gefangenen Frauen, von denen es ja anscheinend mehrere gab.

Sein Traum hatte aber eigentlich ganz klar gezeigt, dass eine Rettung nicht in Frage kam. Das ärgerte ihn und er fühlte sich ohnmächtig. Um sich besser zu fühlen, stieg er mal wieder auf seinen Lieblingsbaum und trotz der Morgenkälte blieb er weit über eine Stunde oben sitzen. Nach kurzer Zeit freute er sich über seine warmen und praktischen Klamotten, die es ihm ermöglichten, ohne Frösteln auf dem Baum auszuharren. Allmählich hatte sich sein Hinterteil auch schon wieder an längere Baumsitzungen gewöhnt.

Mit seinem Feldstecher beobachtete er die Stadt. Alles sah so aus, wie er es erwartet hatte. Die kleinen Menschen-Gruppen, von denen er inzwischen wusste, dass sie organisierte Spätaussiedler waren, waren im vorausberechneten Tempo weitergezogen und näherten sich langsam aber sicher seinem Ortsteil. Noch war es aber nicht wirklich brisant für ihn. In anderen Stadteilen, die schon von den Banden heimgesucht worden waren, sah er hin und wieder einzelne Menschen mit Handwagen oder schweren Taschen beladen durch die Strassen ziehen.

Eine gewisse Form von menschlichem Alltag schien also wieder einzuziehen, wenn auch nur zaghaft. Das ganze müsste man sorgfältig im Auge behalten.

Ob sich die organisierten Stadteroberer wohl vertreiben oder schlagen liessen?

Alleine ging das bestimmt nicht. Und wen gab es, mit dem er sich zusammentun könnte? Die Kumpels vom Bau waren zwar herzensgute Männer, die auch zupacken konnten, aber als Basis für eine schlagkräftige Truppe schienen sie Fritz nicht sehr geeignet, weil ihnen ein gemütlicher Feierabend und eine ungestörte Fussballübertragung bisher immer das höchste Gut gewesen waren. Wenn mal eine kleine Truppe stand, würden sie aber eine wertvolle Ergänzung sein.

Und was war aus dem Bürgermeister geworden? Und all den anderen Würdenträgern, die der Bevölkerung bekannt waren und die sich mit der hiesigen Organisation auskannten? Die müsste man mal aufsuchen und mit ihnen sprechen, wenn die erste Plünderungswelle vorbei war.

Bilder von Strassenkämpfen zogen durch seinen Kopf. Und andere Bilder, wo er unauffällig durch die Stadt zog, um geeignete Kämpfer zu finden. Szenen, wie er mit einem Bürgermeister sprach, der verängstigt in seinem Haus sass und sich nicht raustraute.

Die Befreiung der Stadt war auf jeden Fall eine grosse Aufgabe, die nicht von heute auf morgen von ihm erledigt werden konnte. Er freute sich über seine gute Ausbildung, die ihn unter anderem auch vorausschauende Umsicht gelehrt hatte. Sonst hätte er sich vielleicht einfach wie ein wilder Stier auf die Plünderer gestürzt und wäre wahrscheinlich getötet worden. Es war sogar fraglich, ob eine Befreiung überhaupt machbar und sinnvoll war. Aber das würde er im Lauf der Zeit schon herausfinden.

Als ihm nach langer Zeit der Hintern wehtat, kletterte er wieder nach unten und setzte sich in sein Lager. Die vielen Webcams zeigten immer wieder das gleiche Bild. In der Umgebung seines Hauses war alles ruhig. Er machte sich etwas zu essen und ass langsam und bedächtig, denn er hatte ja sowieso nichts anderes zu tun. Trotzdem schmeckte er kaum, was er ass, weil seine Gedanken ihn nicht in Ruhe liessen. Immer wieder sah er die flehenden Frauen vor sich, aber dann auch wieder die unheimliche Szene am Schluss.

Nach dem Essen ging er ein wenig auf und ab und sprang auf der Stelle, um seine steifen Glieder aufzulockern. Er kletterte nochmal auf den Baum, um die Stadt mit seinem Feldstecher zu beobachten, kam aber bald wieder runter, weil es nichts neues zu sehen gab. Dann sass er lange Zeit bei seinen Beobachtungsgeräten und schaute von einem Bildschirmfenster zum anderen.

Nichts passierte, darum hing er weiter seinen Gedanken nach. Die Überlegungen zur Befreiung der Stadt waberten durch seinen Kopf und ergaben einfach kein klares Bild. Wahrscheinlich brauchte der Plan Zeit, um in ihm zu reifen.

Plötzlich wurde er von einem warnenden Blinken seiner Überwachungsmonitore aufgeschreckt. Vor seinem Haus war Bewegung. Schlagartig hellwach schaute er auf den entsprechenden Bildschirm und sah einen benachbarten Bauern, der mit seinem Fahrrad und einem Fahrradanhänger an seinem Haus vorbeifuhr und nur einen kurzen Blick auf das Chaos vor der Tür warf. Dann war wieder Ruhe.

Das Herz schlug Fritz bis zum Hals, obwohl gar nichts gewesen war. Sein Körper hatte sich instinktiv auf eine grosse Schlacht eingestellt. Um seinen Adrenalinspiegel wieder runterzubringen, machte er wieder ein paar Übungen und kletterte zweimal den Baum rauf und runter. Danach ging es ihm wieder besser und er konnte sich wieder seinen Bildschirmen widmen.

In dieser Situation schien ihm das untätige Warten viel härter, als jemals beim Jagen. Aber diesmal ging es ja auch um seine Existenz und möglicherweise sogar um sein Leben. So spannend das Jagen immer gewesen war, war es letzendlich doch nur eine Art Spiel gewesen, denn auch wenn sie ohne Beute heimkamen, gab es zuhause mehr als genug zu essen. Das schlimmste war das Gefühl der Ohnmacht, denn eigentlich hatte er das Gefühl, ganz viel tun zu müssen, um der veränderten Welt das beste abzugewinnen. Eigentlich müsste man jetzt handeln, um eine vollständige Übernahme der Stadt zu verhindern, solange sie noch im Gange war. Stattdessen sass er hier untätig rum und liess seine Muskeln steif werden.

Den restlichen Tag verbrachte Fritz mit Phasen des Akzeptierens, in denen er sich um Entspannung bemühte und Phasen des inneren Aufbegehrens, in denen seinen Kopf schier Amok lief. Am Abend war er gedanklich kaum weiter, als am Morgen, aber immerhin lag ein weiterer Tag des Abwartens hinter ihm.

Schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit kroch er wieder in seinen Schlafsack, der noch ziemlich zerknüllt im Zelt lag und legte sich schlafen. Seine kreisenden Gedanken liessen ihn jedoch noch lange wachliegen, bevor er endlich einschlief.

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