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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 19


  
Das erste Mal seit Tagen gab es ein richtiges Frühstück. Anna mümmelte schon an ihrem Müsli mit Milch, während Ronja draussen noch den Kaffee kochte. Der kurze Blick über die Balkonbrüstung hatte gezeigt, dass da unten inzwischen zwei weitere Leichen lagen. Das Plünderer-Lager sah leerer aus als vorher und Ronja konnte mehrere Leute sehen, die mit schweren Bündeln beladen, die Strasse entlangzogen. Wo sie wohl hinzogen? Gab es verlockendere Gegenden? Egal wohin sie gingen, Ronja freute sich über jeden Plünderer, der die Gegend verliess.

Zufrieden setzte auch Ronja sich an den Tisch zu ihrem Kaffee. Anna fragte: "Wann gibt es endlich wieder Schule? Ich will die Kinder wiedersehen und weiter schreiben lernen." "Oh, das kann noch eine Weile dauern, aber du hast recht: Du solltest etwas lernen." antwortete Ronja. "Wir sollten mit dir Schule spielen. Nanni was kannst du denn unterrichten?" "Ähem, das kommt aber plötzlich. Vielleicht könnte ich Kunst und Musik übernehmen und vielleicht auch Sport. Naja und wenns was ernsthaftes sein soll, vielleicht noch englisch." "Auja, auja, klasse! Ich will englisch lernen." jubelte Anna. Ronja sagte: "Da haben wir ja schon eine ganze Menge Fächer zusammen. Ich übernehm dann lesen, schreiben und rechnen. Wie wär es zuerst mit schreiben, dann englisch, dann rechnen und am Schluss Musik, Sport oder Kunst?".

Damit waren alle einverstanden. Anna genoss es sichtlich, dass sich gleich zwei "Lehrerinnen" um sie kümmerten, denn Nanni hatte sowieso nichts besseres zu tun, also blieb sie auch beim schreiben und rechnen dabei. Man muss bedenken, dass Anna grad erst in die zweite Klasse gekommen war, da haben manche wissbegierigen Kinder noch sehr viel Spass am lernen. Ausserdem war das Lernen im Einzelunterricht viel interessanter und ging schneller, weil das Tempo genau ihren Fortschritten entsprach. Nach einer guten halben Stunde hatte sie schon den Stoff von zwei normalen Deutschstunden durchgemacht.

Weil die Fortschritte so gut waren, verbrachten sie den Rest der Schreib-Stunde mit einer Fortsetzungsgeschichte. Ronja fing an und erzählte drei Sätze. Dann war Anna dran, die Geschichte fortzuführen. Den Schluss machte Nanni und dann war wieder Ronja dran. Die Geschichte entwickelte sich sehr drollig und nahm manch überaschende Wendung, dadurch, dass sie immer wieder von jemand anders weitererzählt wurde.

Wenn Ronja und Nanni an der Reihe waren, schaute Anna ganz verträumt in die Luft und man konnte ihr so richtig ansehen, wie sie die Bilder der Geschichte vor sich sah. Kaum war Ronja fertig mit ihrem letzten Satz, entstand eine kleine Pause und ein Ruck ging durch Annas Gesicht, die Augen blickten lebendig umher und dann sprudelte sie ihren Teil der Geschichte hervor. Das war faszinierend anzusehen. Die Fortsetzungsgeschichte machte soviel Spass, dass sie eine gute Stunde damit verbrachten, was ursprünglich gar nicht vorgesehen war.

Schliesslich bekamen sie jedoch einen trockenen Mund vom vielen Erzählen und machten eine Kaffee- und Limopause. Danach kam englisch dran und Anna war wieder voller Begeisterung. Die Schulstunden waren wirklich eine gute Idee gewesen, dachte sich Ronja, als sie den beiden anderen beim englisch-sprechen zuhörte.

Nach der Englisch-"Stunde", die sich bis zum Mittag hinzog, ging Ronja wieder auf den Balkon, um ein Essen warm zu machen. Erstaunt sah sie, dass unten zwischen den Häusern fast keine Leute mehr waren. Die ganze Gegend schien verwaist zu sein. Wieder drinnen erzählte Ronja diese Neuigkeit den beiden anderen. Nannis Augen leuchteten auf und sie fragte: "Glaubst du, wir könnten mal wieder aus dem Haus gehen und schauen, was draussen los ist?" "Tja, das habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht sollten wir noch ein bis zwei Stunden abwarten, um zu schauen, wie es sich entwickelt." antwortete Ronja. Anna war auch ganz aufgeregt, bei der Idee, endlich mal wieder das Haus zu verlassen.

Eine Rechen-Stunde später lag die Umgebung immer noch verlassen da und die Unruhe und Neugier trieb alle drei nach draussen. Also verschlossen sie ihre Wohnung so gut wie möglich und schauten auf dem Weg nach draussen noch kurz bei Frau Walther vorbei, die sich über das Wasser und eine Packung Brot sehr freute.

Dem Treppenhaus konnte man deutlich ansehen, dass hier die Vandalen unterwegs gewesen waren. An den Rändern häufte sich der Abfall und der Dreck von den Schuhen hatte sich zu einer hässlichen Schmiere verbunden. Davon liessen sich die drei aber nicht abschrecken und spähten vorsichtig in den Eingangsbereich, als sie unten angekommen waren. Dort war alles ruhig und die Haustür stand offen. "Die könnte man auch mal richtig zu machen, gegen die nächtlichen Räuber." dachten Ronja und Nanni wohl gleichzeitig, denn ihre Hände trafen sich am Türgriff. Also schlossen sie die Haustür doppelt zu, damit nur Besitzer von Schlüsseln oder kräftigen Knüppeln Zutritt hatten.

Der Platz zwischen den Häusern lag tatsächlich leer vor ihnen. Die drei Leichen konnte man hinter niedrigen Büschen noch erkennen, aber nur, wenn man genau hinschaute. Es roch nach kaltem Feuer und Exkrementen.

An der Anschlagtafel in der Mitte zwischen den Häusern, an der sonst für den Seniorentreff geworben wurde, konnte man einen neuen Zettel sehen. Sie gingen hin, um den Zettel in Augenschein zu nehmen. Der neue Anschlag war gross, schlecht gedruckt und besagte, dass auf dem Gelände der Grundschule ein Auffanglager mit Notversorgung aufgebaut würde.

Nanni und Ronja sahen sich an und schüttelten beide gleichzeitig mit den Köpfen. Dorthin, wo die Plünderer gezogen waren, wollten sie auf keinen Fall freiwillig hin. Der Anschlag klärte aber, wohin sich die Plünderer offensichtlich verzogen hatten. Nach kurzem Überlegen, entschieden sich die drei, mal einen Ausflug zum Einkaufszentrum zu wagen, ob dort noch etwas nützliches übriggeblieben war.

Das Einkaufszentrum lag nur ein paar Strassen weiter und lag genauso verlassen da, wie die Wohnhäuser. Zuerst gingen sie in den Supermarkt und stiegen vorsichtig über die zersplitterten Scheiben der Eingangstür. Im Supermarkt war es fast dunkel und Ronjas sicherheitshalber mitgebrachte Taschenlampe warf breite Kegel auf leergeräumte Regale und teilweise umgeworfene Sonderangebots-Ständer. Der Oberkörper samt Kopf eines Kundenservice-Beraters aus Pappe lugte schief aus einem Haufen mit umgeworfenen Körben und gab der Szenerie ein gespenstisches Aussehen.

Die drei schritten die Gänge ab und waren erstaunt, wie leer ein Supermarkt sein konnte. Im Delikatessen-Regal gab es noch ein paar Gläser mit eingelegten Peperonis und Auberginen. Anna entdeckte am Fuss des ehemaligen Nudelregals unter leeren Packungen eine fast unbeschädigte Packung Spaghetti-Gericht und drückte ihre Beute fest an sich.

An mehreren Stellen waren Tüten aufgeplatzt und so war der Boden stellenweise voller Mehl und Zucker. Erstaunlicherweise waren noch zwei Tüten mit Tellerlinsen und drei Tüten mit weissen Bohnen übrig. Anscheinend wussten die Menschen heutzutage nicht mehr, was man mit trockenen Hülsenfrüchten anfangen kann. Ronja packte die Tüten sorgfältig in ihre Tasche.

Sonst gab es aber nicht viel zu finden im Supermarkt, daher gingen sie in die Lagerräume, als sie feststellten, dass die Tür zum Lager aufgebrochen war. In den Lagerräumen lag auch alles durcheinander. Am Ende eines Ganges führte eine Treppe in den Keller. Obwohl es ein bisschen unheimlich war, so tief in das dunkle Gebäude vorzustossen trieb die Neugier die drei nach unten. An einer Wand stapelten sich mehrere Alukisten. Eine davon war aufgebrochen und handliche elektronische Geräte quollen heraus. Anscheinend waren diese Geräte uninteressant, denn sonst wären sie wohl längst weg gewesen. Ronja nahm eines der Geräte in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. "Sieht aus wie ein Handscanner." sagte Nanni. "Hm ja, könnte sein. Ob das schon die modernen Geräte für die Abrechnung per RFID sind?" entgegnete Ronja.

Über die zunehmende Einführung von RFIDs war in letzter Zeit viel in den Medien berichtet worden. Die Produkte hatten schon längere Zeit die winzigen Minichips gehabt, die sie eindeutig kennzeichneten, so wie es auch die Barcode schon lange vor der breiten Einführung der Barcode-Kassen gab. Bei den RFIDs stand die Nutzung im grossen Stil kurz bevor. Dadurch, dass jeder Artikel seine persönliche Nummer hatte, die ohne Optik und Berührung gelesen werden konnte, konnten Supermärkte mehr und mehr automatisiert werden. Diese Geräte dienten wohl so Zwecken wie Inventur. Ronja drückte auf die Knöpfe des Gerätes, aber nichts passierte. "Da ist bestimmt keine Batterie drin." meldete sich Anna und zog ein Päckchen mit Batterien aus der Alukiste, die sie inzwischen mit kindlicher Neugier inspiziert hatte.

Ronja setzte die Batterien in das Gerät und prompt leuchtete das Display auf und es piepste. "Spaghetti-Gericht - 0,49 Euro - haltbar bis: 31.8.2008 - Nettogewicht: 397 gr - mehr..." stand auf dem Display. Verwirrt drehte Ronja den Scanner in eine andere Richtung und plötzlich konnte man lesen: "Tellerlinsen - 0,99 Euro - haltbar bis: 3.5.2010 - Nettogewicht: 500 gr - mehr...".

"Schaut mal, schaut mal. Das ist ja erstaunlich." rief Ronja aus und zeigte den anderen ihre Entdeckung. "Das ist ja eine Art Essens-Ortungs-Gerät. Wie praktisch." Sie hielt den Scanner auf die Kiste mit den anderen Scannern und man konnte lesen: "Handscanner - Nicht zum Verkauf bestimmt".

Die anderen beiden wollten das Scannen auch unbedingt ausprobieren und so ging das Gerät von Hand zu Hand, bis Anna auf die Idee kam, für jeden einen Scanner mit Batterien zu bestücken. Und so probierten sie eine Weile mit den Scannern rum, der noch etliche zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten bot. Man konnte die Fächerbreite einstellen, sodass er entweder breitflächig oder gebündelt und weit scannte. Ausserdem konnte man sich ganze Listen anzeigen lassen, von allen Dingen mit RFIDs im Scanbereich.

"Wisst ihr wofür die Dinger richtig praktisch sind? Man kann damit die Wohnungen von aussen abscannen, ob drinnen was lohnenswertes ist." fiel Nanni ein. "Ja, das könnte funktionieren." sagte Ronja. Also entschieden sie sich, die Scanner mitzunehmen und packten auch noch Reserve-Batterien ein.

Im Supermarkt entdeckten sie mit den Scannern mehrere zerissene Zucker-Tüten und ein zerbrochenes Konserven-Glas. Das war zwar keine brauchbare Beute, zeigte aber immerhin, dass die Scanner funktionierten und auch ihre Grenzen hatten, was die Nützlichkeit der Funde anging.

Da sie schon eine ganze Weile unterwegs waren, gingen sie anschliessend wieder nach Hause und kamen ohne Störungen zuhause an. Die Haustür verschlossen sie sorgfältig hinter sich. Auf dem Weg in den ersten Stock kam Nanni die Idee, die Scanner mal auszuprobieren. Die anderen waren einverstanden und so gingen sie mit angeschalteten Scannern durch den Gang des ersten Stocks.
Bei der zweiten Tür zeigten die Scanner plötzlich verschiedene Sachen an. "Alpenmilch-Schokolade" stand auf dem einen und "Lindt Pralinen, bunte Mischung" stand auf einem anderen. Auf Annas Scanner stand "Himbeer-Likör". Die Tür war schon aufgebrochen und die Wohnung gründlich verwüstet und leergeräumt. Trotzdem zeigten die Scanner unerbittlich diverse Leckereien an. Sie folgten den Signalen bis zum Wohnzimmer-Fenster. Dann hörten die Anzeigen auf dem Display plötzlich auf. Erst als Nanni sich nach links drehte, wurde wieder etwas angezeigt.

Und tatsächlich. Zwischen Vorhang und Heizung stand ein Pappkarton, ganz an die Wand gerückt. Nanni öffnete den Karton und fand Frauenmagazine. Der Scanner deutete aber unerbittlich auf eine Alpenmilch-Schokolade hin. Also hob Nanni die Zeitschriften an und fand darunter einen Süssigkeiten- und Likör-Schatz. Da hatte sich wohl eine Frau einen heimlichen Naschvorrat gehalten. Und nicht nur der Ehemann, sondern auch die Plünderer hatten ihn nicht entdeckt.

Süssigkeiten helfen zwar nicht besonders gut beim Überleben, aber sie versüssen das Leben. Und so war es nicht verwunderlich, dass Anna vor Begeisterung über den Fund laut jubelte. Da der Scanner seinen Wert bewiesen hatte, scannten sie auch noch den Rest des ersten Stocks und gingen dann in die zweite Etage.

Hinter einer der Türen dort mussten wahre Schätze schlummern, denn der Scanner gab eine umfangreiche Liste von haltbaren Nahrungsmitteln aus, die sie gar nicht komplett durchscrollen konnten und wollten. Hinter den Wänden gab es keine Display-Anzeige, sondern nur, wenn sie direkt vor der Tür standen. Die Tür war leicht beschädigt und wieder repariert worden. Anscheinend wohnte dort noch jemand. Nanni klopfte mutig an, aber nichts rührte sich. Sie klopfte noch ein zweites Mal, aber auch diesmal passierte nichts.

Achselzuckend gingen sie weiter. In den anderen Wohnungen fanden sie etliche angebrochene Packungen mit Mehl, Zucker, Gries, Nudel, Haferflocken usw.. An eher verborgenen fanden Sie auch noch soviele Dosen und andere Nahrungsmittel, dass ihre Taschen am Ende des zweiten Stocks mehr als voll waren, obwohl Nanni im Supermarkt an der Kasse noch zwei Stofftaschen mitgenommen hatte. Also keuchten sie die restlichen Treppen hoch und freuten sich, als sie wieder in ihrer Wohnung ankamen.

Nachdem sie ihre neuen Vorräte gesichtet und sortiert hatten, spielten sie noch die gewohnte Runde Skat und gingen dann früh ins Bett, in der Hoffnung, dass ihre Wohnung in dieser Nacht sicherer war, als in den Tagen davor.

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