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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 10


  
Am vierten Tag des Zusammenbruchs setzten wir uns morgens zusammen und überlegten das weitere Vorgehen. Wir hatten schon soviel in den Keller geschleppt, dass es im Haus schon ganz kahl war und der Keller quoll schon fast über. Man konnte gerade noch zu den ganzen Regalen gelangen. Und von Plünderern war bisher keine Spur, wie auch nicht anders zu erwarten.

"Vielleicht sind die Plünderer in den Städten und grossen Dörfern so beschäftigt, dass sie gar nicht hierherfinden." meinte Felix. "Das wär ja toll, und dann hätten wir alles ganz umsonst in den Keller geschleppt." antwortete ich. "Genau, und wir müssen hier ja leben können und uns ausserdem für den Winter vorbereiten. Aber auf eventuelle Plünderer müssen wir natürlich trotzdem vorbereitet sein." schloss Felix.

Also beschlossen wir, mit der grossen Kellerschlepperei erstmal auszusetzen und die Situation zu übeprüfen. Felix wollte zuerst in das kleine Dorf und dann in das richtige Dorf fahren, um dort Informationen über die Lage vor Ort zu erhalten. Ich wollte mich um die Überprüfung der Vorräte und das Einmachen der anstehenden Ernte kümmern. Ausserdem wollte ich natürlich per Radio mit dem Rest der Welt verbunden bleiben, um zu erfahren, was sich weltweit so tat. Beim Einkochen kann man sowieso gut Radio hören; das hatte ich eigentlich immer so gemacht.

Zuerst ging ich jedoch in den Keller. In der Hand trug ich meine Lagerlisten, um die Theorie mit der Praxis vergleichen zu können. Natürlich hatte ich vorher meine Vorratsverwaltung immer mit dem Computer gemacht, weil das schneller geht und man am Schluss alles mögliche von selbst berechnen lassen kann. Aber nach jedem grösseren Einkauf hatte ich mir sicherheitshalber Listen ausdrucken lassen und jetzt zeigte sich, wie wichtig das war.

Der Kurzzeit-Vorratsschrank für drei Monate war mir sehr vertraut, weil ich von dort auch immer den täglichen Bedarf an Trockenzeug und Dosen holte (und natürlich immer wieder auffüllte). Da reichte mir ein Blick in jedes Fach, um zu erkennen, dass alles in bester Ordnung war. Dann schritt ich die Regale mit den Vorrats-Containern ab.

Für jeden Jahres-Vorrat gab es zwei grosse Regale. Eigentlich hätten wir ja am liebsten alles schön einheitlich gehabt, aber im Laufe der Jahre war durch unterschiedliche Versuchsreihen und Sonderangebote ein buntes Sammelsurium an verschiedenen Plastikbehältern zusammengekommen. Gemeinsam war ihnen vor allem, dass man sie gut zumachen konnte und mit etwas Klebeband auch wasserfest hinkriegen konnte. Hier in unserem neugekauften Haus war die Überschwemmungsgefahr zwar gering, denn sogar der Bach, der unser Grundstück durchfloss konnte sehr gut nach unten abfliessen, aber vorher hatten wir in einer Gegend gelebt, die von Alters her immer Überschwemmungsgebiet war (wenn auch nicht mehr zu meiner Zeit), und darum hatte ich mir angewöhnt, Langzeit-Vorräte nicht nur schädlingssicher sondern auch wasserfest unterzubringen. Ausserdem hatten wir in die meisten Container eine Schutzatmosphäre aus Stickstoff gefüllt und dafür war Dichtigkeit auch sehr vorteilhaft. Hinter einem Zweijahresvorrat mit recht üppigen Zutaten und einem weiteren Jahresvorrat, der schon etwas magerer war, stand noch ein Regal, das mit BP5 Energie-Riegeln gefüllt war. Sozusagen als letzte Reserve.

Da wir einen Garten und Gewächshäuser und einen sonnigen Hof hatten, wollten wir die Vorräte natürlich mit Selbstgemachtem strecken. Aber schon Jahre vorher hatte ich erkannt, dass ich nicht für das Leben als Fulltime-Bäuerin oder Gärtnerin geschaffen war. Eine vollständige Selbstversorgung mit Getreide und Milchprodukten würde ich nicht so bald hinbekommen. Aber je mehr wir selber hinbekommen konnten, desto besser.

Wahrscheinlich würden wir im Frühling sogar mit Kaninchen- und Hühner-Haltung anfangen. Bisher hatten wir darauf verzichtet, weil wir durch die Firma schon genug zu tun hatten. Aber dieser Teil unseres Lebens war jetzt ja sehr eingeschränkt und es gab völlig neue Prioritäten. Über den Bau von Ställen hatte ich schon öfters nachgedacht; das dürfte kein grösseres Problem werden. Und von einem Bauern im richtigen (grösseren) Dorf konnte ich junge Hühner und Kaninchen bekommen, wann immer ich wollte. Das hatte ich schon länger geklärt und sie auch schon quasi vorab bezahlt, damit er sich im Ernstfall gebunden fühlen würde. Der Bauer hatte sich zwar über mein Ansinnen etwas gewundert, aber er sah ein, dass man sich die Pflege von Tieren nur aufladen sollte, wenn man auch die Zeit dafür hat. Ob wir uns die Tiere vielleicht schon vorher holen sollten, bevor die hungrigen Bauern sie im Winter essen würden? So ein Mist; Felix war schon unterwegs ins Dorf. Naja, das hatte wohl Zeit bis zum nächsten Mal. Wir mussten uns sowieso schon um genug kümmern.

Ganz hinten in der Reihe der Essensvorräte stand noch ein etwas kleinerer Schrank mit den Feiertags-Vorräten. Das haltet ihr jetzt bestimmt für einen schlechten Witz, aber wir hatten tatsächlich spezielle Vorräte für Feiertage in Notzeiten. Denn wenn man jeden Tag eher langweilige Konserven-Nahrung essen muss, vor allem noch später, wenn die Vorräte richtig knapp werden, dann braucht man besonders dringend ab und zu mal ein paar Leckereien und einen Tag lang Essen, das einen richtig satt macht.

Da gab es also zum Beispiel fünf spezielle Pakete mit Weihnachts-Füllung. Da hatte ich sowas wie Spekulatius, Baumkuchen, Schokolade zum Schlecken, besonders hübsche Kerzen für die Romantik und Schoko-Müsli, Trockenmilch, Semmelknödel, Apfelrotkraut und eine grössere Fleischdose fürs Essen reingepackt. In die Ostermischungen hatte ich natürlich Schoko-Eier usw. gepackt und ein extra Päckchen mit Kresse-Samen. Für die jeweiligen Geburtstage gab es spezielle Wunsch-Pakete mit Lieblings-Essen und Kuchen in der Dose, für Silvester eine Flasche Sekt und noch weitere zwei Flaschen Sekt pro Jahr für unvorhergesehene Gründe zum Feiern. Um das Ganze abzurunden gab es noch für jedes Jahr ein neutrales Fest-Paket, denn manchmal braucht man einfach ein Fest, um sich aufzumuntern. Die Idee mit den Fest-Paketen war mir erstmalig gekommen, als ich anfing, ernsthaft über einen ganzen Jahresvorrat nachzudenken. Nachdem ich uns da mit sehr vielen Spaghettis und viel Öl gedanklich spottbillig und eintönig durchs Jahr gebracht hatte, hatte ich sofort anschliessend die Auswahl der Vorräte erweitert, um alles, was mir an bezahlbaren haltbaren Nahrungsmitteln so einfiel. Und irgendwann war ich dann beim Schoko-Müsli angekommen, das ich bisher auch immer als preiswertes Produkt empfunden hatte (zumindest meine Lieblings-Sorte). Aber im Vergleich zu den nackten Haferflocken war es plötzlich superteuer. Also schrieb ich als Anzahl eine "2" hin und dachte mir: Eine für Weihnachten und eine für Ostern. Und damit fing es an. Plötzlich fielen mir ganz viele Sachen ein, die man für bestimmte Gelegenheiten als Extra einpacken könnte. Von dort bis zum Feiertags-Paket war es gedanklich nur ein kleiner Schritt.

Die Durchführung erwies sich als langwieriger, denn so richtige Weihnachts-Süssigkeiten gibt es eben nur vor Weihnachten usw.. Aber es sollte ja sowieso ein langjähriges Projekt werden. In der nächsten Vorweihnachtszeit hab ich also erstmal die Leckereien fürs aktuelle Jahr und einen Satz halbwegs haltbarer Sachen für den Vorrat fürs nächste Jahr und noch ein paar Einzelstücke für Haltbarkeits-Tests darüberhinaus gekauft und die Vorrats-Sachen ordentlich dicht verpackt und in den kühlen Keller gelegt.

Das Problem bei den Süssigkeiten ist nämlich, dass die meisten Sachen normalerweise nur drei bis sechs Monate halten. Und weil ich unbedingt einen Fünf-Jahresvorrat mit Feiertags-Paketen aufbauen wollte, musste ich viel experimentieren mit kühler Lagerung, Schutzatmosphäre und dergleichen mehr. Im nächsten Jahr war es dann lustig, das erste Weihnachts-Paket testweise auszupacken und zu probieren. Natürlich hatte ich auch frische Sachen und neue Vorräte gekauft, aber zumindest was die frischen Sachen anging, wäre das gar nicht unbedingt nötig gewesen, denn ein Grossteil der Sachen vom letzten Jahr hat noch gut geschmeckt. Wahrscheinlich hatte der kühle, dunkle Keller geholfen, die Sachen frisch zu halten. Und so testeten wir uns durch die Feiertage der Jahre und hatten immer viel Spass dabei. Manche Sachen und einige Verfahren mussten wir auch aus dem Projekt streichen, aber insgesamt lief es ganz zufriedenstellend. Und ausserdem hatte ich am Beispiel leichter verderblicher Sachen viel über die fortgeschrittene Haltbarmachung gelernt.

Vielleicht denkt ihr euch, solche Sperenzien, wie Weihnachts-Pakete seien unvernünftiger Luxus und man sollte das Geld und die Zeit lieber in noch ein Jahr Spaghetti oder ein besseres Zelt stecken. Das hatte ich mir auch überlegt. Und sowas wie Spaghetti und Zelte gehen natürlich vor. Aber ich dachte mir auch, dass Festtage gerade in schweren Zeiten besonders wichtig sind. Normalerweise schmeckt das Weihnachtsessen gut, wenn es lecker gekocht ist, aber wenn man sich nach vielen vielen Tagen mit Spaghetti pur auf ein besonderes Festmahl zu einem bestimmten Tag freuen kann, dann hilft schon die Vorfreude, die Laune zu verbessern. Wann man diese Fest-Tage hält, ob als Atheist oder Hexe lieber zur Wintersonnenwende, oder als gläubiger Christ am 24. oder 25.12. ist für diese Wirkung völlig egal. Hauptsache ein Festtag gibt ein bisschen Hoffnung und Freude. Dafür wurden sie schliesslich ursprünglich erfunden. Und man kann wohl davon ausgehen, dass die Erfinder des Prinzips der Fest-Tage jeden Winter Angst ums Sattwerden hatten, denn das war früher der Normalzustand. Diese Leute (wahrscheinlich Steinzeitmenschen) waren also Spezialisten in puncto "harte Zeiten". Und ich hatte bisher nie Hunger wegen Nahrungsmangel erlebt. Das kannte ich nur aus Geschichten. Aber ich konnte mir vorstellen, dass es vielleicht helfen könnte, ein Fest in harten Zeiten zu bereichern, wenn man schon für jedes Fest ein Paket mit ein paar Zutaten auf Lager hat.

Auch die Kräuter-Vorräte sahen gut aus. Jetzt würden meine Unmengen von Wasserdost-Tinktur, Salbei-Tee und Ringelblumen-Salbe bestimmt bald gebraucht werden. Anstatt dem echten Bauerntum hatte ich mich nämlich eher den Heilkräutern verschrieben, denn das lag mir mehr und damit kannte ich mich schon seit Jahrzehnten recht gut aus. Heilkräuter und gesundheitlicher Rat konnten in Notzeiten durchaus ein gutes Zahlungsmittel für Getreide, Fleisch und Milch sein. Und ich durfte sowas sogar ohne schlechtes Gewissen machen, denn ich hatte noch von früher einen Heilpraktiker-Schein in der Schublade. Ob da noch jemand fragen würde in solchen Zeiten? Bestimmt erstmal nicht, aber sicher ist sicher.

Ausser Kräutern und Tinkturen hatte ich natürlich auch noch chemische Medikamente vorrätig. Unzählige Packungen mit Aspirin und Paracetamol, freiverkäuflichem Fusspilz-Mittel, Mobilat, Kohle-Tabletten, Fiebermittel, Desinfektionsmittel und Beruhigungsmittel standen neben etlichen Flaschen Schnaps; nicht etwa zum Saufen, sondern zur Desinfektion und für Tinkturen. Zum Trinken nur aus medizinischen Gründen, wenn besipielsweise mal jemand eine sehr schmerzhafte Behandlung brauchen würde. Sogar ein echtes Chirurgen-Besteck hatte ich in meinem Medizin-Schrank. Das war aber eher dafür vorgesehen, es einem echten Chirurgen zur Verfügung zu stellen, der sein Werkzeug in den Tumulten verloren hatte. An einem toten Schwein hatte ich beim Bauern im kleinen Dorf zwar mal "Amputieren" geübt, aber das war wirklich nicht meine Sache. Und wenn ich mir vorstellte, das an einem lebenden Menschen zu machen, der nichtmal richtig schlief - schauder. Aber für eine mittelgrosse Splitter-Entfernung fühlte ich mich durchaus gut vorbereitet.

Meine Antibiotika-Vorräte hatte ich einem verständnisvollen Arzt zu verdanken, der von meinen Notfall-Vorbereitungen durchaus fasziniert war und auch erkannte, dass ich die verschreibungspflichtigen Medikamente nicht für Unfug einsetzen wollte. Also hatte er mir nach und nach verschiedene Breitband-Antibiotika, stärkere Schmerzmittel und diverse Notfallmittel z.B. gegen anaphylaktischen Schock verschrieben, die ich natürlich selbst bezahlt habe.

Mehrere Jahre lang hatte ich einen Teil der eingesparten Krankenkassen-Beiträge (weil ich aus Überzeugung nicht mehr versichert war) in medizinische Ausrüstung, Fachbücher und Medikamente investiert. Und obwohl der eingesetzte Betrag nur ein kleiner Teil des sonst üblichen monatlichen Krankenkassen-Beitrags war, hatte ich inzwischen schon eine gute Ausstattung zusammen. Ein gutes Lichtmikroskop mit Zubehör, ein batteriebetriebenes EKG-Gerät und ein Sterilisiergerät, das auch ohne Strom funktionierte, gehörten zu den High-Lights der Ausrüstung. Mit den vorhandenen Sachen konnte ich ein mittelgrosses Dorf jahrelang durch kleine und mittlere Krankheiten bringen und vielleicht auch durch ein paar grössere Sachen. Und Nachschub für viele Dinge würde mir mein Kräutergarten bringen, der schon recht gut entwickelt war, wenn auch noch nicht ganz so gut, wie mein Kräutergarten im alten Haus.

Vom Medizin-Lager kam ich zu den Wasser-Vorräten. Trinkwasser für ein Viertel-Jahr hatten wir in Flaschen, aber mehr Trinkwaser flaschenweise zu lagern, hätte zuviel Platz verbraucht. Also hatten wir auch die ganze Palette von Wasserdesinfektions-Tabletten und -Tropfen, über diverse Hand-Filter-Pumpen bis hin zur kleinen Umkehr-Osmose-Anlage. Die verschiedenen Sachen hatten sich durch unsere Versuche angesammelt und es ist ja auch nicht schlecht, für jeden denkbaren Einsatz-Zweck was da zu haben. Und dann stand da auch noch unsere kleine "Modul-Zisterne", die aus zehn mittelgrossen viereckigen Regentonnen bestand. Damit hatten wir knapp drei Kubikmeter Wasser vorrätig, das wir entweder einfach so fürs Klospülen und Waschen benutzen konnten, oder gefiltert zum Trinken. Die vielen Regentonnen hatten gegenüber einer echten Zisterne mehrere Vorteile. Man konnte sie zum Beispiel einzeln recht einfach leeren, putzen und wieder auffüllen. Bei einer grossen Zisterne muss man dann alles komplett austauschen. Und wenn mal das Wasser in einer Tonne faulen sollte, wären die anderen nicht zwangsläufig auch davon betroffen. Ausserdem gab es Regentonnen immer recht günstig in den Baumärkten. Zuguterletzt braucht man für grosse Zisternen eine behördliche Genehmigung und anscheinend wird es gar nicht so gern gesehen. Für normale Billig-Regentonnen interessiert sich hingegen kein Mensch.

Für eine komfortable und regelmässige Wasserversorgung wollten wir demnächst einen Brunnen im Keller bauen und das Wasserumleitungs-System vom Bach, was schon sehr gut bei den Gemüsebeeten und den bisher benutzten Gewächshäusern funktionierte, wollten wir auch für die Versorgung mit fliessendem Wasser im Haus umsetzen. Bisher waren wir vor lauter Arbeit nicht dazu gekommen, die beiden Vorhaben in die Wirklichkeit umzusetzen, aber immerhin hatten wir schon die Materialien und die Informationen darüber, wie es geht.

Glücklicherweise beeinträchtigt ein EMP-Schlag nicht den Lauf von kleinen Bächen und daher sah ich kaum Probleme bei der Einrichtung unserer Wasserversorgung. Mir schwebte da sowas ähnliches vor, wie mein Sohn Fritz in seinem Haus schon realisiert hatte.

Ausserdem musste ich immer wieder an das uralte Bauernhaus in den Vogesen denken, dass ich mir vor vielen Jahren mal angeschaut hatte. Da war ein kleiner Teil eines Baches mitten durch das Haus geflossen. Es sprudelte ständig aus einem Rohr in ein grösseres Becken in der Küche. Von dort aus lief es durch ein Rohr in Richtung Boden und dort über eine offene Rinne quer durch den Raum, bis es dann durch ein weiteres Rohr aus dem Haus plätscherte. So wollte ich es natürlich nicht machen, aber es hatte mir dennoch sehr gut gefallen und mir auch die ständige Verfügbarkeit von fliessendem Bachwasser vor Augen geführt.

Am hinteren Ende des Kellers standen noch Regale, die gefüllt waren mit Bergen von Küchenrollen, Toilettenpapier, Shampoo und dergleichen, damit man auch in schlechten Zeiten gut sauber werden konnte.

Die Bestands-Überprüfung entsprach so ziemlich meinen Listen, ausser dass ich etwa zwanzig Spaghetti-Sossen aus Versehen der falschen Sorte zugeordnet hatte und sie gab mir ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Wenn uns das niemand wegnehmen würde, brauchten wir vor Hunger erstmal wirklich keine Angst zu haben.

Zu allerletzt ging ich zu den Kühltruhen. Da sie super-moderne Geräte mit 200 Stunden Kühlhalte-Zeit bei Stromausfällen waren, war es darin noch recht kalt, vor allem in der zweiten, die fast ausschliesslich BP5-Rationen enthielt, um sie noch haltbarer, als sonst schon zu machen. Die andere Kühltruhe näherte sich durch das tägliche Aufmachen allmählich dem Gefrierpunkt, aber das war zu Erwarten gewesen. Die fertig gekochten Gerichte würden wir schon rechtzeitig aufessen und auch einen Teil der leckeren Kuchen. Die anderen Kuchen würde ich irgendwie möglichst kühl unterbingen müssen, wenn es mal zu warm werden würde. Aus dem auftauenden Gemüse würde ich wohl Würz-Sossen und aus dem Obst Marmelade kochen. Damit wären sie am besten versorgt.

Bevor ich den Keller verliess, nahm ich natürlich noch Fertig-Essen, ein Baguette und Kuchen für den heutigen Tag aus der Kühltruhe und legte sie zum Auftauen in die Küche. Jedesmal, wenn mir unser üppiger aktueller Speisezettel bewusst wurde, fand ich das irgendwie ganz absonderlich. Dass Notzeiten mit überüppigen Kuchen-Orgien und anderen Schlemmereien beginnen konnten, stellt man sich im Normalfall einfach nicht so vor. Woanders würde es auch bestimmt nicht so üppig ausfallen, aber bei fast allen Kühltruhen-Besitzern müsste es erstmal viel zu essen geben.

Zwischendrin noch ein kleiner Sprung ins Büro, um zu checken, ob unser Server ordentlich lief. Er lief wunderbar und da war sogar jemand im Chat, mit dem ich eine Viertelstunde schwätzte. Der Chatter war in einer ähnlichen Situation wie wir und seine Frau wollte auch Garten-Gemüse einkochen. Ich empfahl, fertige scharfe Spaghetti-Sossen aus den Zucchinis zu machen oder sie einzulegen wie Gurken. Beide Varianten waren dem Chatter neu und er freute sich über die Anregungen. Im Gegenzug empfahl er mir die Äpfel zu trocknen, wenn ich zuviele für die Gläser hätte.

Nach dem kurzen Chat ging ich beschwingt in den Garten, bepackt mit einer grossen Schüssel, um das anstehende Gemüse zu ernten. Als ich an den Gewächshäusern vorbeiging, die wir bisher nur teilweise in Betrieb genommen hatten, kam ich spontan auf die Idee, darin noch einen späten Versuch mit Schnittsalat und Herbstrüben zu machen. Im Gewächshaus konnten sie vielleicht den ersten Wintereinbrüchen trotzen und uns dann im Spätherbst noch mit Salat und leckerem Suppengemüse versorgen. Draussen im Freiland sprossen schon die ersten Herbstgemüse, aber bisher hatte ich mich nicht auf den erhöhten Bedarf durch ausgefallene Supermärkte eingerichtet und daher war ich sparsam mit dem Ansäen gewesen, um nicht zuviel Salat und Rüben zu haben. Nun stellte sich die Frage "zuerst säen oder zuerst ernten?".

Ich entschied mich für zuerst säen, denn dann wären die geernteten Gemüse besonders frisch bei der Verarbeitung. Also stellte ich die Schüssel auf einen Tisch und holte mir Werkzeug und Samen. Erfreulicherweise hatte ich schon eine Ecke im Gewächshaus vorbereitet, nachdem die Gurken abgeerntet waren und so hatte ich die recht ausgiebige Säaktion nach einer Viertelstunde beendet. Wenn es einen milden langen Herbst geben würde, hätten wir im Gewächshaus wohl reelle Chancen, noch einige knackige Salate und Rüben für warme Suppen zu ernten.

So nach und nach kam mir der Ernst der Situation immer mehr ins Bewusstsein. Das Gärtnern hatte ich zwar schon einige Jahre recht ausgiebig betrieben, aber jetzt würde vielleicht unser Leben davon abhängen, dass ich alles richtig mache. Vorher konnte ich mich bei kleinen Unglücken immer damit trösten, dass es ja nur ein Hobby sei und dass es im Supermarkt Ersatz geben würde. Auch die Zucchinis, die ich heute ernten und einmachen wollte, hätte ich in normalen Jahren wohl eher dem Kompost anvertraut, weil ich schon genug Gläser mit eingelegten Zucchinis im Keller hatte, um mich locker ein Jahr lang damit zu versorgen.

Die vier erntereifen Zucchinis waren in den drei Tagen der Aufregung schon wieder zu Keulen herangewachsen. Kurz überschlug ich, was ich damit anfangen wollte: Eine zum Einlegen für Pixed Pickles mit Zwiebeln und den Karotten dahinten, zwei für Spaghetti-Sosse mit Gemüse und ein zum Trocknen? Das Trocknen war mir bei den Zucchinis meistens eine zwiespältige Sache, aber wenn man sie lange genug einweichte und dann lecker verkochte, waren sie in Notzeiten bestimmt sehr beliebt. Ob es wohl noch lange genug trocken und warm bleiben würde fürs Trocknen? Das wagte ich zu bezweifeln.

Und dann waren da noch viele erntereife Karotten. Nach dem Umzug in die neue Gegend war es mir endlich gelungen, grössere Mengen Karotten erfolgreich anzubauen. Die meisten wollte ich etwas später einmieten, aber einen immernoch recht ansehnlichen Teil verplante ich geschwind für die Mixed Pickles und für ein Experiment mit eingekochten Möhren. Leider hatte ich keine Erbsen zur Hand, sonst hätte ich die klassischen Erbsen mit Möhren machen können.

Auch ein paar der Zwiebeln und Peperonis waren erntereif und natürlich durften Kräuter nicht fehlen und so zog ich denn schwer bepackt vom Garten in die Küche. Im Keller machte ich kurz Bestandsaufnahme bei den Gläsern, die ich vorhin übergangen hatte und kam zu dem Schluss, dass ich zwar recht viele Gläser, aber auch nicht unbegrenzt viele hatte. Das könnte womöglich in späteren Jahren zu Problemen führen, wenn wir mehr und mehr auf Selbstversorgung umsteigen würden. Nunja, vielleicht würden ja irgendwo auf der Welt noch Gläser hergestellt und vielleicht würde auch jemand alte Glasereien wiederbeleben.

Die Mixed Pickles waren schnell vorbereitet und köchelten auf dem grossen Holzherd vor sich hin, während ich mich um das heisse Spülen der ersten Gläser kümmerte. Natürlich hatten wir den üblichen Wasserbehälter an diesem Ofen, der immer heisses Wasser lieferte, wenn der Ofen lange genug an war. Aber das Raus und Rein mit dem Wasser war recht umständlich und ausserdem reichte das heisse Wasser nicht für den ausgiebigen Heisswasser-Bedarf.

Darum und weil die klassischen "Küchenhexen" zwar schnell befeuert aber nur schwer unter Dauerfeuer zu halten und zum Heizen benutzt werden konnten, hatten wir noch einen kompakten Ofen nebendran stehen, der eine sehr bessere Ausnutzung der Holzenergie hatte und der ausserdem spezielle Vorrichtungen zum Erhitzen von Wasser hatte. Man konnte zum Beispiel ein Röhrensystem damit beheizen und als Fussbodenheizung für das obere Stockwerk nutzen und man konnte einen recht grossen Behälter mit Wasser aufheizen, um warmes Wasser zu haben. Das erwärmte Wasser wurde ohne externen Strom zu brauchen, nach oben in einen weiteren Behälter gepumpt und dann stand es zum Abzapfen zur Verfügung.

Mir stand also am Waschbecken jetzt schon ein extra Wasserhahn zur Verfügung, aus dem ich heisses Wasser zapfen konnte, solange der Ofen brannte. Der einzige Haken war bisher, dass ich das Wasser zur Zeit noch von Hand nachfüllen musste, weil es ja kein normales fliessendes Wasser mehr gab. Aber das würde sich ja bald ändern. Weil das Wasser zwischenzeitlich zum Kochen gebracht wurde, war es sozusagen abgekocht und für heikle Reinigungsarbeiten durchaus geeignet.

Obwohl das alles so schick gelöst war und ich mich auch schnell wieder ans Feuer-Betreiben gewöhnt hatte, war dies doch der erste Moment, wo ich die moderne Technik wirklich vermisste. Vorher hatte ich für die supergründliche Reinigung meine Spülmaschine und im Zweifelsfall immer heisses Wasser aus der Leitung, auch ohne Holz nachzuwerfen.

Und mit Schaudern dachte ich an den kommenden Winter. Wir hatten zwar einen guten Teil des Hauses sehr gut isoliert und somit tauglich für zusammengezogenes Winterleben gemacht, aber bisher hatten wir uns immer gerne den Luxus einer ordentlichen Heizung gegönnt, bei der man nicht ständig ackern muss. Früher hatte ich mal mehrere Jahre nur mit Holz und Kohle geheizt und hatte nur wenig Lust darauf, für jedes Quentchen Wärme erstmal den Hintern in Bewegung zu bringen und zu hoffen, dass der Ofen heute gut zieht. Nun denn, wenn das meine ärgsten Sorgen waren...

Das Einkochen schritt gut voran. Nach den Pickles kam die Spaghetti-Sosse alla Zucchini dran. Da hatte ich jahrelang dran rumgefeilt, wie man unter Verwendung von möglichst viel Zucchini eine wohlschmeckende Nudel-Sosse hinkriegt, auch wenn frische Tomaten schon nicht mehr zur Verfügung stehen. Die wesentliche Zutat hierfür war, ausser den Zucchinis natürlich, ein wenig Tomatenmark, denn bei uns musste eine Spaghetti-Sosse rot sein. Parallel zur Sosse hatte ich noch die Karotten in handliche Stücke geschnitten und zum Kochen aufgesetzt. Als beides fertig gekocht war, füllte ich alles in Gläser und stellte die Gläser in den Sterilisiertopf. Darin liess ich sie eine Weile sanft köcheln, verschloss sie dann richtig gut und stellte sie zum Abkühlen hin. Zwanzig kleine und mittlere Gläser hatte ich zusammenbekommen. Eine gute Aufstockung der Vorräte und im Laufe der Woche würde bestimmt noch mehr zusammenkommen.

Das Radio hatte inzwischen immer wieder ähnlichklingende Nachrichten erzählt. Die Hilfsorganisationen wären hoffnungslos überfordert, das jeweilige Militär funktionierte wohl noch recht gut, war aber vollauf mit der Sicherung von wichtigen Stellen, wie Regierungsviertel, Grossstädte und Grenzen beschäftigt. In den Städten gab es nahezu überall Plünderungen, an manchen Orten sogar Mord und Totschlag. Äthiopien und Argentinien hatten Hilfslieferungen auf den Weg geschickt.

Es war schon fast dunkel, als ich endlich Felix Fahrradbremse quietschen hörte. Ausserdem hörte ich lautes Gegacker. Gegacker? Was mochte das wohl sein? So schnell ich konnte, eilte ich nach draussen, nicht nur, weil ich mich freute, dass Felix wieder daheim war, sondern auch um die Quelle des Gackerns zu sehen.

Fast hatte ich es bei den Geräuschen schon vermutet, aber ich war doch ziemlich erschrocken, als ich im Fahrrad-Anhänger ausser der Milchkanne noch zwei Draht-Käfige mit Hühnern und Kaninchen erspähte. Das kam überraschend, obwohl ich ja eigentlich an diesem Tag schon über die Tiere nachgedacht hatte.

Zuerst umarmte ich Felix und wartete ab, welche Reihenfolge er vorschlug. "Bring schnell die Milch ins Kühle und dann komm, mir zu helfen, den Tieren ein Nachtquartier zu bauen." schlug Felix vor. Das klang vernünftig, also brachte ich zuerst die Milch ins Haus und ging dann wieder nach draussen. Felix hatte inzwischen schon eine unserer Rollen mit Maschendraht geholt und war dabei mithilfe von ein paar Kisten zwei kleine Not-Gehege zu bauen. Ich hielt ihm dies und das und nach zehn Minuten waren wir mit dem Ergebnis für diese eine Nacht zufrieden. Während Felix die Hühner in den einen und die Kaninchen in den anderen Stall setzte, lief ich noch schnell im letzten Tageslicht in den Garten und zupfte ein paar Gräser und Blätter für die Tiere. Anschliessend holte ich aus dem Haus noch eine Handvoll Getreide und zwei Näpfe mit Wasser. Die Tiere waren inwischen wohlbehalten in den Ställen angekommen und trauten sich nach wenigen Minuten vom angebotenen Futter zu kosten.

Nachdem das erledigt war, gingen Felix und ich ins Haus und ich setzte erstmal das Essen zum Aufwärmen auf den Herd. Felix bot ich was zu trinken an, was er gerne entgegennahm. Obwohl er bestimmt am liebsten erstmal in Ruhe gegessen hätte, wusste er wohl wie neugierig ich auf seinen Bericht war, und daher fing er nach ein paar tiefen Schlucken an, von seinen Erlebnissen zu erzählen.

"Also beim Bauern um die Ecke war noch alles beim Alten. Bisher ist niemand aufgetaucht von den erwarteten jungen Leuten. Aber sie werden jeden Tag erwartet. Den alten Bauersleut geht es gut und sie haben immernoch nicht richtig verstanden, was eigentlich passiert ist. Aber das wär wohl auch zuviel verlangt.

Im Dorf unten war schon mehr los, aber im Grossen und Ganzen alles friedlich. Ein paar Leute hatten wohl Radios und waren grob informiert, aber die ganze Tragweite musste ich ihnen erstmal erklären. Dazu hab ich mich ein bisschen zu den Männern in die Kneipe gesetzt. Der Kneipenbetrieb lief ein bisschen anders als sonst, wegen der ausgefallenen Lampen und Zapfanlage, aber dadurch bekam die Kneipe einen gewissen mittelalterlichen Tavernen-Flair.

Tja, und dann hab ich mit dem einen Bauern geschwätzt, dem du in deinem jugendlichen Wahn zwei Sätze Jungtiere als zukünftige Option abgekauft hast. Eigentlich ist das ja ne gute Idee gewesen angesichts der Situation, aber da sass ich dann und musste für dich entscheiden, was zu tun sei, denn der Bauer hatte gerade ausreichend ziemlich junge Tiere auf dem Hof. Und weil ich mitbekommen hatte, wie verständnislos er auf meine Informationen reagiert hatte, dachte ich mir, lieber nehm ich die Tiere gleich mit, solange er noch keinen Hunger hat und sie dann im Winter isst. Jetzt müssen wir sie natürlich durch den Winter bringen. Am besten fängst du gleich morgen an, Grünzeugs abzuschneiden, damit wir wenigstens davon genug haben. Naja, vielleicht helf ich dir auch; schliesslich stehen ein paar Nutz-Tiere sowieso an.

Und dann hat einer der Getreide-Bauern erzählt, dass seine schwangere Frau wieder erbrechen müsste, und dass sie den ganzen Tag weint und Angst hat. Das tat mir dann so leid, vor allem auch, weil der Bauer so hilflos schien und es auch das erste Baby von den beiden ist, dass ich ihm versprochen hab, dass du in den nächsten Tagen mal bei der Frau vorbeikommst. Ich hoffe, dass ist ok so für dich."

"Hm, nunja, dann muss ich mich wohl aufmachen. Das ist schon ok, schliesslich wollen wir die arme Frau ja nicht in ihrem Unglück alllein lassen. Hast du erfahren, in welchem Monat sie ist?".

"Der Bauer sagte, dass sie Ende des Winters mit dem Kind rechnen." antworte Felix.

"Dann ist sie wohl so im vierten oder fünften Monat." sagte ich noch, bevor sich meine Gedanken überschlugen, auf der Suche nach Möglichkeiten, wie man einer Schwangeren in einer solchen Situation helfen könnte.

"Und keine Plünderungen im grossen Dorf?" fragte ich, nachdem ich mit meinem groben medizinischen Plan zufrieden war.

"Bisher ist da noch niemand unerfreuliches angekommen. Aber als ich Plünderer erwähnte, grinsten die meisten der erfahrenen Bauern und murmelten was von ihren Waffen und dass die Plünderer es nur mal riskieren sollten. Das fand ich doch sehr aufmunternd."

Nach diesem langen Tag waren wir beide sehr müde und fielen wie Steine in unsere Betten.

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