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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 8


  
Am Morgen wachte Ulli mit einem unguten Gefühl auf. Zuerst wusste er nicht, woher dieses miese Gefühl kam, aber nach wenigen Sekunden erinnerte er sich an die Dramen des letzten Tages. Ob der Strom immernoch weg war? Wahrscheinlich.

Ulli rappelte sich auf und probierte als erstes den Schalter seiner Nachttischlampe. Nichts. Nun, das war geklärt und auch bestätigte auch, dass ihn seine grässlichen Erinnerungen nicht getrogen hatten. Ob wohl noch was zu essen da war? Er durchsuchte den Kühlschrank, sein Regal und die Notfallkiste, aber da war nichts mehr. Nur einen alten Teebeutel hatten sie ihm gelassen, aber wohl auch nur, weil er ziemlich versteckt in einer Ecke lag. Da er kein Wasser mehr hatte und auch den schrecklichen Kocher nicht wieder in Betrieb nehmen wollte, nutzte ihm der Teebeutel herzlich wenig. Nichtmal eine Dusche konnte er nehmen, um seine Stimmung zu verbessern.

Da erinnerte er sich an seine Freunde von gestern und entschloss sich, bei ihnen nachzufragen, ob sie was zu essen oder trinken für ihn hätten. Also stieg er ein Stockwerk höher und klopfte beim ersten seiner Freunde. Der machte die Tür nur einen Spalt auf und fragte "Was willst du?". "Ich hab nichts mehr zu essen nach dem gestrigen Abend und da wollte ich fragen, ob du vielleicht was für mich hast." "Ne, sorry, du, tut mir echt leid, aber das bisschen was ich hab, brauch ich für mich selbst. Du weisst ja, wir haben eine echte Notsituation." "Aber..." "Du meinst wegen der Party gestern? Da war ja noch nicht klar, wie schlimm es aussieht. Tut mir echt leid." Und er schloss seine Tür wieder.

Zuerst stand Ulli da, wie vom Donner gerührt, aber dann zuckte er die Achseln und ging zum nächsten der Kumpels. Er hörte, wie jemand zur Tür schlurfte und konnte auch sehen, dass jemand durch den Spion schaute, aber dann entfernten sich die Schritte wieder. Der Nächste bot ihm immerhin ein halbes Stück Knäckebrot an, aber ansonsten müsste auch er sein Zeug zusammenhalten, meinte er. Beim vierten war es wie beim zweiten; er öffnete nichtmal die Tür. Der fünfte Studienkollege schliesslich lallte etwas, als er seine Tür öffnete. "Kannst mein Bier haben" sagte er grosszügig, "aber erst nehm ich nochmal nen Schluck.". Er setzte die Bierflasche an und trank in grossen Schlücken etwas mehr als die Hälfte der Flasche leer. Dann reichte er sie gönnerhaft an Ulli weiter. "Nee, danke, vor dem Frühstück trink ich noch keinen Alkohol." lehnte Ulli ab und zog von dannen.

Was für eine Pleite. Freunde waren diese Leute wohl nur, wenn er ihnen was zu bieten hatte. Betrübt holte er seine Tasche aus seinem Zimmer und machte sich auf den Weg in die Stadt. Kaum hatte er das Wohnheim verlassen, rief ihm ein entfernt bekannter Komolitone freundlich zu. "Willste nen Kaffee?" fragte er "Hab grad zwei Becher voll ergattert, mir reicht aber einer." Völlig verblüfft nahm Ulli den Becher entgegen und murmelte verdattert seinen Dank.

"Was haste denn vor?" fragte der freundliche Studienkollege. "Ich weiss noch nicht. Mich haben Hunger und Durst aus dem Haus getrieben. Das eine Problem habe ich dank deiner aber jetzt schon gelöst." Und ein vorsichtiges Lächeln stahl sich auf Ullis Gesicht. "Wenn de Hunger hast, hier hab ich noch was kleines." sagte der andere und zog einen leicht zerdrückten Müsliriegel aus der Tasche. Ulli konnte sein Glück kaum fassen und nahm den Riegel dankbar entgegen. "Danke," sagte er, "du bist das Beste was mir heute bisher begegnet ist."

"Ich werd hier fortgehen, aufs Land. Da kenn ich Leute, die haben einen Hof mit eigener Quelle und allen Schikanen." "Ist ja cool. Und wie kommste dort hin?" "Vorhin hab ich nen alten Kumpel getroffen, der hat einen uralten Laster. Und stell dir vor, der fährt noch. Für 500 Mäuse fährt der raus aufs Land. Aber der blöde Geldautomat tut natürlich nicht mehr, und ich hab nur noch 20 Euro." "Nimmt der auch noch mehr Leute mit?" fragte Ulli. "Ja klar, darum bin ich ja jetzt hier. Ich such noch ein paar Leute, die Geld haben und mitkommen wollen." Spontan entschloss sich Ulli das Abenteuer zu wagen, was hatte er hier schliesslich verloren, solange es keine Uni gab. "Gemacht, ich bin dabei. Mal schauen, wieviel Bargeld ich noch hab." Sein Portemonnaie enthielt genau 156 Euro und 54 Cent, ergab die sorgfältige Zählung. "Reichen 150?" fragte er sein Gegenüber. "Klar, das reicht locker, wenn wir noch ein paar andere finden." "Wie heisst du eigentlich?". "Gestatten, Franz ist mein Name. Und wie heisst du?". "Ich heisse Ulli.".

Sie verabredeten, dass Ulli schnell seine Sachen packen und dann wiederkommen und bei der Suche nach weiteren zahlungskräftigen Mitfahrern helfen sollte. Ulli eilte zurück in sein Zimmer und sah sich hektisch um. Ah, da war der Rucksack, ein guter Anfang. Er war zwar noch schmutzig von der letzten Nacht, aber nachdem Ulli etwas daran rumgewischt hatte, war es ein bisschen besser. Neugierig spähte er hinein und kurze Zeit später pries er seine Mutter für ihre Weitsicht. Im Prinzip war alles schon eingepackt, was man so für unterwegs brauchte. Sogar ein paar praktisch aussehende Klamotten in seiner Grösse. Ein Schlafsack war auch dabei. Und sogar ein paar nahrhafte Riegel. "Was bin ich doch für ein Esel" dachte Ulli sich "die frustierende Tour durchs Haus hätte ich mir echt sparen können. Aber vielleicht wär ich dann Franz nicht begegnet." Er stopfte die Sachen wieder zurück in den Rucksack und suchte noch seine wichtigsten Dokumente und Ausweise zusammen. Und vor allem den Kompass, den durfte er nicht zurücklassen. Der Kompass war ein Familienerbstück und wurde immer am 18. Geburtstag vom Vater an den ältesten Sohn übergeben. Er sollte angeblich Glück bringen. "Na, Glück kann ich gebrauchen" dachte Ulli und steckte den Kompass sorgfältig in ein Seitenfach des Rucksacks.

Als er vor dem Haus ankam, hatte Franz schon zwei weitere Studenten gefunden, die Geld hatten und mitkommen wollten. Beide waren schon beim Packen. Es fehlten noch 150 Euro, um auf die 500 zu kommen. Locker wie Franz war, hatte er im Handumdrehen noch zwei Leute gefunden, die es zusammen auf 150 Euro brachten.

"Ok, denn lasst uns mal losmarschieren." forderte Franz die kleine Gruppe auf, als sich alle versammelt hatten. "Wo gehts denn hin?" fragte einer der Mitreisenden. "Erstmal nur ein paar Strassen weiter. Dort steht der LKW von meinem Kumpel. Und dann nach Hörgertshausen, eine ganze Ecke nördlich von Freising."

So zogen sie also los. Ullis Füsse taten bei jedem Schritt noch von den gestrigen Blasen weh, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Der Weg führte sie durch Nebenstrassen, die Ulli noch gar nicht kannte, obwohl er eigentlich gedacht hatte, dass er sich in München schon halbwegs auskennen würde. Ein gutes Dutzend Querstrassen später trafen sie einen Mann, der dem Studentenalter schon deutlich entwachsen war und der neben einem sehr betagt aussehenden Kleinlaster stand. Nach kurzer Begrüssung sammelte Franz das Geld ein und übergab es feierlich. Franz setzte sich zum Fahrer nach vorn und die anderen fanden hinten Platz. Sehr gemütlich war es nicht und die Säcke, auf denen sie sitzen konnten, waren schwarz verschmiert. Aber Hauptsache raus hier.

Der Laster stotterte etwas, als er angelassen wurde, aber dann lief er gleichmässiger und fuhr langsam los. Sie fuhren durch Nebenstrassen, weil hier die Chance grösser war, zügig durchzukommen. Die Hauptstrassen waren noch ziemlich verstopft, wie die Studenten auf ihrem Weg gesehen hatten.

Sie hatten gerade erst ein paar Kilometer hinter sich gebracht, als der Laster plötzlich stoppte. Durch die dünne Plane konnte Ulli hören, wie eine energische Stimme sagte: "Ihr Wagen ist beschlagnahmt. Bitte steigen Sie aus.". Man hörte, wie vorne wurde die Tür geöffnet wurde. Die Plane des Verdecks öffnete sich einen Spalt und ein kräftiger junger Mann in Uniform mit einem grossen gefährlich aussehenden Gewehr schaute zu ihnen herein.

"Wer sind Sie? Wo wollen sie hin?" fragte der Soldat. Ulli gewann zuerst die Fassung wieder und stammelte: "Wir sind Studenten und wollen aufs Land fliehen." "Ok, dann können Sie mitkommen. Wir fahren ins Flüchtlingslager auf der Theresienwiese. Bleiben Sie sitzen." "Wir haben aber all unser Geld bezahlt, um hier mitzufahren." sprang einer der anderen Studenten auf. "Dann holen sie es sich wieder, wenn sie können. In zwei Minuten fahren wir ab." antwortete der Soldat.

Der Student sprang vom Laster und ging nach vorne. Doch da war kein LKW-Besitzer mehr, nur noch Soldaten. Der Fahrer hatte sich wohl mit ihrem Geld ganz schnell aus dem Staub gemacht. Von Franz fehlte auch jede Spur. Frustriert gesellte sich der Student wieder zu den anderen. Jetzt waren sie alle mittellos. Ulli hielt seinen Rucksack fest. Wenigstens den hatte er noch.

Sie fuhren langsam und eine schiere Ewigkeit durch die Stadt. Immer wieder hielten sie an und einer der Soldaten schickte weitere Reisende zu ihnen auf die Säcke. Es wurde immer enger in dem kleinen Laster. Als Ulli glaubte, kaum noch atmen zu können, blieben sie endlich stehen und der Soldat forderte sie zum Aussteigen auf.

Auf der Wiesn war er noch nicht sehr oft gewesen, aber trotzdem liess ihn der Anblick der verwandelten Theresienwiese schaudern. Die Brauereien und Schausteller waren wohl gerade mittenbeim Aufbau gewesen, als die Katastrophe hereinbrach. Die üblichen grossen Bierzelte standen auch schon dort, wo sie hingehören, aber dort, wo sonst die Fahrgeschäfte waren, wurden mehrere normalgrosse Bierzelte aufgebaut. Überall wimmelte es vor lauter Geschäftigkeit auf der einen Seite, vorwiegend von uniformierten Menschen betrieben und langen Schlangen von wartenden Menschen, auf der anderen Seite. Von der sonst üblichen Fröhligkeit auf der Wiesn war nichts zu spüren. Es fühlte sich irgendwie grotesk an.

Einer der Soldaten schickte sie zu einer sehr langen Schlange, um sich registrieren zu lassen. In dieser Schlange verbrachte Ulli die nächsten Stunden. Jetzt war er ein Flüchtling in einem Flüchtlingslager. So schnell konnte es gehen. Vor allem war es mühsam, immer seinen Rucksack mitzuschleppen und zentimeterweise die Schlange entlang zu bewegen. Die Stunden vergingen und Ulli unterhielt sich ein bisschen mit seinen Mitwartenden. Tiefschürfende Erkenntnisse kamen aber nicht zustande. Gegen Nachmittag war er endlich dran und durfte in das Registrierungszelt treten. Dort ging alles recht zügig, weil er seine Ausweise dabei hatte und er erhielt ein grünes Bänchen fürs Handgelenk, einen schlecht gedruckten Merkzettel und einen Bezugsschein für drei Tagesrationen. Er erfuhr, dass es heute und morgen noch Gemeinschaftsessen geben würde und wo die Schlange dafür sei und dass er sich übermorgen die Tagesrationen abholen können würde, um unabhängiger zu sein. Ausserdem wurde eine Zeltnummer auf sein Bändchen geschrieben. Am Schluss wurde er auf den grossen Lageplan hingewiesen, der sich vor dem Anmeldezelt und an mehreren wichtigen Stellen befinden würde und der ihm bei der Orientierung helfen würde. Dann durfte er gehen.

Da er inzwischen schon sehr hungrig war, entschloss er sich, zuerst zur Essensschlange zu gehen. Diese Schlange war noch erheblich länger, als die Anmelde-Schlange, aber da die Prozedur des Essenfassens schneller ging, bewegte sich die Schlange auch schneller voran. Die Arme taten ihm schon allmählich weh vom ewigen Rucksack mitschleppen. Und die Füsse sowieso. Diesmal gab es Linsensuppe, als er endlich drankam und da Ulli sehr gern Linsensuppe ass, besserte sich seine Stimmung ein wenig.

Nun noch die Kloschlange und er war soweit, sich den Weg zu seinem Zelt zu suchen. Dort angekommen musste es mit Bedauern feststellen, dass schon fast alle Schlafplätze belegt waren. Schliesslich fand er noch einen zugigen Platz am Rand des Zeltes. Jetzt war er sehr froh über seinen Schlafsack und das versöhnte ihn ein wenig mit der langen Schlepperei.

In der Nacht konnte er nur sehr unruhig schlafen, denn er war es nicht gewohnt mit hunderten von anderen Menschen in einem Zelt zu schlafen, die husteten, schnarchten, weinten und allerlei andere Geräusche von sich gaben.

Der nächste Tag bestand fast ausschliesslich aus Warteschlangen. Von der Kloschlange ging es zur Essensschlage und dann wieder zur Kloschlange. Zwischendrin die Schlange vor dem Informations-Center, um Neuigkeiten zu erfahren, was aber leider nicht sehr ergiebig war.

Ulli kam sich unendlich nutzlos vor. Was sollte dieser Unfug hier? Gab es nicht genug zu tun in solchen Katastrophen-Zeiten? Das Lager diente anscheinend dem Schutz der Flüchtlinge vor Plünderern, denn weite Teile der Stadt waren Opfer wilder Plünderungen geworden. Dabei hatte es anscheinend auch viele Tote gegeben. Und dieses Lager konnte eben gut bewacht werden und es gab sowieso schon Zelte und mobile Toilettenanlagen. Aber leider nicht genug Toilettenanlagen. Und auch mit der Essensverteilung lief es sehr schleppend. Wie lief das denn sonst hier auf dem Oktoberfest? Da kamen doch auch viele Leute. Naja, Klos gibt es wohl immer zu wenig, wenn viele Leute zusammenkommen.

Die angekündigten Tagesrationen klangen nach einem Fortschritt, denn dann müsste er drei Tage lang nicht mehr wegen Essen anstehen. Er versuchte, sich die finanziellen Auswirkungen dieses Lagers allein in Bezug auf den Verdienstausfall der Schausteller und Brauereien und den Arbeitsausfall der normalerweiser arbeitenden Flüchtlinge durchzurechnen. Schliesslich hatte er nichts zu tun und langweilte sich. Die Verluste allein durch dieses Lager waren erschreckend hoch. Hochgerechnet auf ganz München, Deutschland und alle anderen Industrienationen war es eine nie dagewesene Summe. Dabei hatte er ja nur ein paar wenige Faktoren berücksichtigt. Das wahre Ausmass würde noch sehr viel schlimmer sein. Die Versicherungen konnten einpacken. Dabei hatte er gedacht, wenn er bei einer der grossen Rückversicherer anfangen würde, hätte er einen lebenslangen sicheren Arbeitsplatz. Die ganze Katastrophe war schlichtweg nicht bezahlbar.

Er war so in seine Berechnungen vertieft, dass er ganz erstaunt war, als er plötzlich an der Essensausgabe stand. Seinen Napf hatte er griffbereit, denn für jeden gab es nur einen Napf und den musste man immer wieder mitbringen. An die dicken Suppen hatte er sich inzwischen schon fast gewöhnt und so ging er gut gesättigt zu seinem Zelt.

Dort verbrachte er eine weitere Nacht mit vielen Geräuschen und träumte von unendlich grossen Geldbeträgen und immer wieder hallte eine Frage durch seinen Kopf "Wer soll das bezahlen?".





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